Klage eines verliebten mädgens.

1.


Niemand hat so schöne sitten

Als der edle Lucius /

Niemand geht mit engern tritten

Und setzt netter seinen fuß /

Daß ihn auch ein iedes kind

Auff der gassen lieb gewinnt.


2.


Doch was hilfft das leere brennen /

Und der liebe gauckelspiel /

Wenn er keine neigung kennen

Und sie nicht erwiedern will?

Wenn er diese / so ihn liebt /

Dem verzweifeln übergibt?[94]


3.


Ach ihr götter dieser erden /

Denen meine brunst bekandt /

Wenn soll ich erlöset werden

Von dem heißen liebes-brand?

Soll ich unter solcher pein

Ewig unerquicket seyn?


4.


Ändert doch die harten sinnen /

Die er von mir abgelenckt /

Daß er mich muß lieb gewinnen /

Weil ich ihm mein hertz geschenckt.

Brechet seinen harten schluß /

Daß er mich doch lieben muß.


5.


Lasset doch die treuen blicke

Und des angesichtes schein /

Den ich täglich auf ihn schicke /

Nicht so gar vergebens seyn /

Sonst erstickt der rauhe schmertz

Endlich das verschmähtehertz.


6.


Ach ihr götter hört mein flehen /

Sehet meinen jammer an /

Lasset doch den wundsch geschehen /

Daß ich ihn umbfangen kan!

Denn ich muß und will allein

Nur von ihm geküsset seyn.[95]

Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher noch nie zusammen-gedruckter Gedichte Vierdter Theil. Glückstadt 1704.
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