CLXIX.

[221] 1. Alde mus ich mich scheiden,

aus trawriglichem mut,

Bringet meim hertzen gros leiden,

ich hoff es werd bald gut,

Hewr zu diesem jar,

frew dich feins megdlein der stund,

sie tregt ein goldfarbes haare,

zwey braune äuglein klare,

und lachet jr roter mund.


2. Sie tritt dort her gar schöne,

gleich wie der pfawen art,

Von goldt tregt sie ein krone,

sie schreibt sich von hoher art,

Wolt Gott solt ich jr diener sein,

bis auff das ende mein,

wie köndt und möcht mir bas gesein,

wenn sie mir thet den willen mein,

wol hewr zu diesem jare.


3. Ir leib ist wol gezieret,

nach adelichem geschlecht,

Sie hat drey oder viere,

ich hoff ich sey dir recht,

Die liebe die ich zu jhr trag,

wo ich bey den leuten bin,

ich hab ein bulen auff gutem wahn,

sie sprach sie wolt kein lieber han,

alde wer ich bey jhr.


4. Kein lieber auff erd war nie geboren,

und die mir bas gefelt,

Gott hat mir sie selber außerkoren,

ich hab mir sie auserwelt,

Ob allen schönen jungfrawen,

das solt jr glauben mir,

mir liebt jhr weiblich wolgestalt,[222]

jhr trost der ist so manigfalt,

wolt Gott wer ich bey jhr.


5. So wer mein leid verschwunden,

vergangen wer mir mein klag,

Ich hoff ich hab gefunden,

die ich in meinem hertzen trag,

Ich fand sie in den rosen,

sie bracht der blümlein viel,

solt ich mit jr liebkosen,

solt sie meiner red aufflosen,

wer meines hertzen begier.


6. Alde schöns lieb zu guter nacht,

und spar dich Gott gesund,

Da hett sie sich gar bald bedacht,

und küst jn auff seinen mund,

Mus ich mich von dir scheiden,

geschicht meim hertzen wehe,

kan ich dich nit erwerben,

vor leid so mus ich sterben,

und ist mir doch nit wehe.


7. Und der uns dieses lidlein sang,

von newem gesungen hat,

Das hat gethan ein reutersknab,

Gott geb jm ein gut jar,

Er hats gar wol gesungen,

aus frischem freyem mut,

umb sein lieb ist er kommen,

doch ist er unverdrungen,

und hofft es werd noch gut.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 221-223.
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