Die Geschichte von dem Prinzen und der Ghulah[31] 1

Ein König hatte einen Sohn, der übermäßig dem Reiten und Jagen ergeben war, und so befahl er einem Vezier, ihn zu begleiten, wohin er sich auch wandte. Eines Tages brach nun der Jüngling, begleitet von seines Vaters Minister, zur Jagd auf; und als sie dahintrabten, kam ein großes, wildes Tier in Sicht. Und es rief der Vezier: ›Auf! diesem edlen Wilde nach!‹ So folgte der Prinz ihm, bis er aller Augen entschwunden war und die Jagd sich in der Wüste von ihm entfernte. Das beunruhigte ihn, und er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte, als plötzlich ein Mädchen vor ihm erschien, und siehe, sie war in Tränen. Der Königssohn fragte: ›Wer bist du?‹ und sie antwortete: ›Ich bin die Tochter eines Königs unter den Königen von Hind2; und ich reiste mit einer Karawane, als mich in der Wüste Mattigkeit überkam, und ohne es zu merken, fiel ich im Schlaf von meinem Tier; so bin ich von den Meinen abgeschnitten und sehr in Not.‹ Als der Prinz diese Worte hörte, faßte ihn Mitleid, und er nahm sie auf die Kruppe seines Pferdes und ritt weiter, bis er zu einer alten Ruine kam; da sagte das Mädchen zu ihm: ›O mein Herr, ich wünsche, einem Rufe der Natur zu folgen‹; er setzte sie also bei der Ruine nieder, aber sie blieb so lange aus, daß der Königssohn dachte, sie verschwende ihre Zeit; so folgte er ihr ohne ihr Wissen, und siehe, sie war eine Ghulah, eine arge Dämonin, die zu ihren Jungen sagte: ›O meine Kinder, heute bringe ich euch einen schönen, fetten Jüngling zum Essen‹; worauf sie erwiderten: ›Bringe ihn schnell, o unsere Mutter, daß wir uns den Bauch an ihm füllen.‹ Und als der Prinz ihre Worte hörte, war er seines Todes gewiß, die Flanken zitterten ihm aus Furcht um sein Leben, und er wandte sich und wollte fliehen. Da kam die[32] Ghulah heraus, und als sie ihn in blassem Schrecken sah (denn er zitterte an jedem Gliede) rief sie: ›Weshalb fürchtest du dich?‹ Und er erwiderte: ›Ich habe einen Feind getroffen, den ich äußerst fürchte.‹ Fragte die Ghulah: ›Sagtest du nicht, du seiest ein Königssohn?‹ Und er versetzte: ›Freilich.‹ Da sprach sie: ›Weshalb gibst du deinem Feinde nicht etwas Geld und befriedigst ihn so?‹ Sprach er: ›Er wird sich mit Geld nicht zufriedengeben, und ich fürchte ihn tödlich und bin ein Mensch in Bedrängnis.‹ Und sie erwiderte: ›Wenn du so in Not bist, wie du meinest, so rufe Allah gegen ihn zu Hilfe, er wird dich sicherlich vor seiner Missetat schützen, und vor dem Übel, das du so fürchtest.‹ Da hob der Prinz die Augen gen Himmel und rief: ›O du, der du dem Bedrängten antwortest, wenn er dich ruft, und die Not zerstreust, o mein Gott, gib mir den Sieg über meinen Feind und wende ihn von mir; denn du bist über alle Dinge allmächtig.‹ Die Ghulah aber wandte sich, als sie dies Gebet vernahm, von ihm, und der Prinz kehrte zu seinem Vater zurück und erzählte ihm die Geschichte von dem Vezier. Da ließ der König den Minister vor sich kommen und erschlug ihn auf der Stelle. Auch du, o König, wirst, wenn du noch weiter diesem Arzte traust, des schlimmsten Todes getötet werden. Denn wahrlich, er, den du hochhieltest und den du als Vertrauten behandeltest, wird deinen Untergang bewirken. Siehest du nicht, wie er die Krankheit deines Leibes von außen heilte, durch etwas, was du in der Hand hieltest? Sei nicht zu sicher, daß er dich nicht durch etwas töte, was du ebenso gefaßt hältst!‹ Und es versetzte Junan: ›Du sprichst die Wahrheit, o Vezier, es kann wohl sein, wie du vermutest, mein gutratender Minister; und vielleicht ist dieser Weise als Spion gekommen, der mich zu töten sucht; denn wahrlich, wenn er mich heilte durch etwas, was ich in der Hand hielt, so kann er mich töten, indem er mir etwas zu riechen gibt.‹ Und König Junan fragte: ›O Minister, was soll mit ihm geschehen?‹ und der Vezier versetzte: ›Schicke sofort nach ihm und fordere ihn vor dich; und wenn er kommt, triff ihn im Nacken; und so wirst du dich seiner und seiner Arglist erwehren und ihn täuschen, ehe er dich zu täuschen vermag.‹ ›Du hast wieder, o Vezier, die Wahrheit gesprochen‹, sagte der König und schickte einen, den[33] Weisen zu rufen; und er kam in freudiger Stimmung, denn er wußte nicht, was der Erbarmende ihm bestimmte. Und als Duban, der Arzt, eintrat, begrüßte er den König mit fröhlichen Worten. Sprach der König statt aller Antwort: ›Weißt du, weshalb ich dich rufen ließ?‹ Und der Weise erwiderte: ›Allah, der Höchste, allein, weiß die verborgenen Dinge!‹ Aber der König versetzte: ›Ich ließ dich nur rufen, um dir das Leben zu nehmen und dich ganz zu vernichten.‹ Duban, der Weise, wunderte sich über diese Worte in äußerster Verwunderung und fragte: ›O König, und weshalb wolltest du mich wohl erschlagen; und was habe ich dir Arges getan?‹ Und der König erwiderte: ›Leute sagen mir, du seiest ein Spion, hierhergesandt, mich zu erschlagen; und siehe, da will ich dich töten, ehe du mich tötest‹; und er rief seinem Schwertträger zu und sagte: ›Schlag mir diesem Verräter den Kopf ab und befreie uns von seinen argen Anschlägen.‹ Aber der Weise sprach: ›Verschone mich, und Allah wird dich verschonen; erschlage mich nicht, oder Allah wird dich erschlagen.‹ Und er sagte ihm diese Worte, genau wie ich sie dir sagte, o Ifrit, und doch wolltest du mich nicht gehen lassen und warst erpicht auf meinen Tod. König Junan erwiderte nur: ›Ich kann nicht sicher sein, ohne dich zu erschlagen; denn wie du mich durch etwas heiltest, was ich in der Hand hielt, so bin ich nicht sicher, daß du mich nicht tötest, indem du mir etwas zu riechen gibst, oder sonstwie.‹ Sprach der Arzt: ›Dies also, o König, ist deine Vergeltung und dein Lohn; du gibst nur Böses für Gutes.‹ Und der König erwiderte: ›Es hilft nichts, du mußt sterben, und zwar sofort.‹ Als nun der Arzt gewiß war, daß der König ihn unverzüglich erschlagen würde, weinte er und bereute, anderen als Guten Gutes getan zu haben.

Da trat der Schwertträger vor und verband dem Weisen Duban die Augen und entblößte sein Schwert, indem er zu dem König sagte: ›Mit deiner Erlaubnis.‹ Derweilen weinte der Arzt und rief: ›Verschone mich, und Allah wird dich verschonen, und erschlage mich nicht, oder Allah wird dich erschlagen. Ist dies die Vergeltung, die ich von dir erfahre? Du gibst mir, scheint es, nur die Wohltat des Krokodils.‹ Sprach der König: ›Welches ist die Geschichte des Krokodils?‹ Sprach der Arzt: ›Unmöglich kann ich sie in diesem Zustand erzählen;[34] Allah sei mit dir, verschone mich, wenn du hoffst, daß Allah dich verschone.‹ Und er weinte in herzbrechendem Weinen. Da stand einer der Günstlinge des Königs auf und sagte: ›O König, schenke mir das Blut dieses Arztes; wir haben ihn nie gegen dich sündigen noch sonst etwas tun sehn, außer daß er dich von einer Krankheit heilte, die allen Ärzten und Gelehrten trotzte.‹ Sprach der König: ›Ihr wißt den Grund nicht, weshalb ich diesen Arzt hinrichten lasse; es ist aber dieser: wenn ich ihn schone, so weihe ich mich sicherem Tode; denn einer, der mich dadurch von solcher Krankheit heilt, daß er mir etwas in die Hand gibt, kann mich sicherlich auch durch etwas erschlagen, was er mir vor die Nase hält; und ich fürchte, er wird mich um einen Kaufpreis töten, denn vielleicht ist er nur ein Spion, der nur zu dem Zwecke hergekommen ist, meinen Untergang zu bewirken. Also hilft es nichts; sterben muß er; dann nur kann ich meines Lebens sicher sein.‹ Und wieder rief Duban: ›Schone mich, und Allah wird dich schonen; erschlage mich nicht, oder Allah soll dich erschlagen‹. Aber es war vergeblich. Als nun der Arzt, o Ifrit, gewißlich wußte, daß der König ihn töten würde, sagte er: ›O König, wenn es nichts hilft und ich sterben muß, so gewähre mir eine kurze Frist, damit ich in mein Haus hinuntergehen, meine Verbindlichkeiten lösen und den Meinen und meinen Nachbarn sagen kann, wo sie mich begraben und wem sie meine Bücher der Heilkunst geben sollen. Unter diesen habe ich eins, die seltenste Seltenheit, das möchte ich dir als Gabe geben: bewahre es als einen Schatz in deiner Schatzkammer.‹ ›Und was steht in dem Buch?‹ fragte der König, und der Weise erwiderte: ›Dinge ohne Zahl; das geringste aber der Geheimnisse ist dies: gleich wenn du mir den Kopf abgeschlagen hast, so blättre um drei Blätter nach hinten und lies drei Zeilen der Seite zur Linken, und mein Kopf wird reden und auf jede Frage Antwort geben, die du ihm zu stellen geruhst.‹ Der König staunte in höchstem Staunen und schüttelte sich vor Freude über diese Botschaft und sagte: ›O Arzt, sagst du wirklich, wenn ich dir den Kopf abschlage, so werde er reden?‹ Und er erwiderte: ›Ja, o König!‹ Sprach der König: ›Dies ist wirklich seltsam!‹ Und alsbald schickte er ihn streng bewacht in sein Haus, und Duban erledigte seine Verbindlichkeiten. Und am nächsten[35] Tage trat er wieder in die Audienzhalle des Königs, wo Emire und Veziere versammelt waren, Kämmerlinge, Nabobs3, Große und Herren des Reiches; und der Saal war bunt wie ein Garten von Blumenbeeten. Und siehe, der Arzt trat ein und stand vor dem König, und er hatte ein vergriffenes altes Buch und ein Metallbüchschen voll Pulver in der Hand, dem gleich, das man für die Augen verwendet. Dann setzte er sich nieder und sprach: ›Gebt mir ein Tablett.‹ Und sie brachten ihm eins, und er schüttete das Pulver darauf, glättete es und sagte zuletzt: ›O König, nimm dies Buch, aber öffne es nicht, bis mein Kopf gefallen ist; und dann setze ihn auf dies Tablett und lasse ihn auf das Pulver drücken, so wird alsbald das Blut aufhören zu fließen. Und das ist der Augenblick, das Buch zu öffnen.‹ Da nahm der König das Buch und gab dem Schwertträger ein Zeichen, und der stand auf und schlug dem Arzte den Kopf ab und stellte ihn mitten auf das Tablett und drückte ihn in das Pulver hinein. Und das Blut hörte auf zu fließen, und der Weise Duban schlug die Augen auf und sprach: ›Jetzt öffne das Buch, o König!‹ Und der König öffnete das Buch und fand, daß die Blätter zusammenhafteten; da hob er den Finger zum Munde, befeuchtete ihn und wandte nun mühelos das erste Blatt, und ebenso das zweite und das dritte, und jedes Blatt haftete an dem andern; und als er sechs Blätter umgewandt hatte, sah er sie durch, und als er nichts darauf geschrieben fand, sprach er: ›O Arzt, hier ist keine Schrift!‹ Duban aber erwiderte: ›Wende noch mehr‹; und er wandte auf dieselbe Art noch drei. Nun war das Buch vergiftet, und bald hatte das Gift seinen Leib durchdrungen, und er verfiel in starke Krämpfe, und er rief: ›Das Gift hat seine Arbeit getan!‹ Und sogleich stürzte der König tot zu Boden.

Nun möchte ich dir zu wissen tun, o Ifrit, daß, wenn der König Junan den Weisen Duban verschont hätte, Allah auch ihn verschont haben würde; aber er weigerte sich dessen und beschloß seinen Tod, und dafür erschlug ihn Allah; und auch du, o Ifrit, hättest du mich verschont, so hätte auch ich dich verschont, aber nichts wollte dir genügen als mein Tod; so will ich dich jetzt sterben lassen, indem ich[36] dich in dieser Flasche gefangensetze und dich hinausschleudere in dies Meer.‹ Da brüllte der Marid laut und schrie: ›Allah sei mit dir, o Fischer; nein! Verschone mich und vergib mir, was vergangen ist; und wie ich tyrannisch war, so sei du edel, denn in den Sprüchen, die im Volke laufen, steht: O du, der du Gutes tust dem, der dir Böses tat, lasse den Missetäter seiner Missetat, und tue mir nicht, wie Umanah Atikah tat.‹ Und es fragte der Fischer: ›Und wie war ihre Geschichte?‹ und der Ifrit versetzte: ›Dies ist nicht die Stunde zum Erzählen, denn ich bin gefangen. Aber laß mich frei, und ich will dir die Geschichte erzählen.‹ Sprach der Fischer: ›Laß solches Reden; es hilft dir alles nicht, du wirst ins Meer geworfen, und es bleibt kein Weg, auf dem du je wieder herauskommst. Vergebens stellte ich mich unter deinen Schutz und demütigte mich vor dir und weinte, während du mich nur zu erschlagen suchtest, und ich hatte dir doch nichts getan, womit ich es verdiente; ja, nicht Schaden tat ich dir durch eine arge Handlung, sondern einzig Gutes, und befreite dich aus dem Gefängnis da. Nun erkannte ich dich als einen Übeltäter, als du an mir tatest, was du tatest, und wisse, wenn ich dich ins Meer zurückgeworfen habe, so will ich jeden warnen, der dich etwa auffischt, und will ihm erzählen, was zwischen uns geschah, und will ihm raten, dich zurückzuschleudern; so sollst du hier unter diesen Wassern liegen, bis das Ende der Zeit ein Ende mit dir macht.‹ Aber der Ifrit schrie laut: ›Setze mich in Freiheit; dies ist eine herrliche Gelegenheit zum Edelmut, und ich mache einen Bund mit dir und gelobe, dir niemals Schlimmes und Schlechtes anzutun; ja, ich will dir helfen, daß du von der Not befreit wirst.‹

Der Fischer nahm seine Versprechungen unter den beiden Bedingungen an, daß er ihn nicht wieder wie zuvor verfolgen, sondern ihm vielmehr dienen sollte; und nachdem er sich durch sein Gelöbnis gesichert und ihm bei Allah, dem Höchsten, einen feierlichen Eid abgenommen hatte, öffnete er die Flasche. Da stieg die Rauchsäule auf und empor, bis sie ganz in der Luft stand; und sie verdichtete sich und wurde nochmals zu einem Ifriten von scheußlichem Anblick, und er gab alsbald der Flasche einen Fußtritt, so daß sie weit ins Meer flog. Als aber der Fischer sah, wie es der Flasche erging,[37] machte er sich auf seinen Tod gefaßt, näßte ins Gewand und sprach bei sich: ›Das ist ein schlimmes Zeichen‹; aber er faßte sich ein Herz und rief: ›O Ifrit, Allah spricht: Halte deinen Vertrag; denn einst wirst du über die Erfüllung deines Vertrages Rechenschaft ablegen müssen. Du hast ein Gelübde getan und mir einen Eid geschworen, keinen Verrat an mir zu üben, damit Allah keinen Verrat an dir übe; denn wahrlich, er ist ein eifersüchtiger Gott, der dem Sünder Frist gibt, aber ihn nicht entschlüpfen läßt. Ich sage zu dir, wie der Weise Duban zu König Junan sagte: Verschone mich, so wird Allah dich verschonen!‹ Der Ifrit aber brach in Lachen aus und stelzte hinweg und sagte zu dem Fischer: ›Folge mir‹; und der Fischer schritt ihm in sicherer Entfernung nach (denn er war noch immer seines Entkommens nicht sicher), bis sie den Rand der Stadt umgangen hatten. Dann bogen sie ab durch das unbebaute Land und durchquerten es und stiegen hinab in eine breite Wildnis, und siehe, in ihrer Mitte lag ein Bergsee. Der Ifrit watete hinein und rief wieder: ›Folge mir‹; in der Mitte des Sees aber blieb er stehen und hieß den Fischer sein Netz auswerfen und seine Fische fangen. Der Fischer nun blickte ins Wasser und sah in großem Staunen vielfarbige Fische darin, weiße und rote, blaue und gelbe; und er warf sein Netz aus und holte es ein und sah, daß er vier Fische gefangen hatte, einen von jeder Farbe. Da freute er sich sehr, und mehr noch, als der Ifrit zu ihm sagte: ›Bringe die dem Sultan und setze sie ihm vor; er wird dir genügend geben, um dich zum reichen Manne zu machen; und jetzt entschuldige mich, denn bei Allah, ich weiß heute keine andere Art dir wohlzutun, zumal ich achtzehnhundert Jahre in jenem Meere gelegen habe, und habe das Angesicht der Erde erst diese eine Stunde gesehen. Aber ich möchte, daß du hier nur einmal am Tage fischest.‹ Dann befahl der Ifrit ihn Allahs Hände und sagte: ›Allah gebe, daß wir uns wiedersehen.‹ Und er stampfte mit einem Fuß auf den Boden, und die Erde spaltete sich und verschlang ihn.

Der Fischer staunte sehr über alles, was zwischen ihm und dem Ifriten vorgefallen war, nahm die Fische und machte sich auf den Weg zur Stadt; und sowie er nach Hause kam, füllte er eine irdene[38] Schüssel mit Wasser und warf die Fische hinein, die alsbald zu zappeln und umherzuschießen begannen. Da trug er die Schüssel auf dem Kopfe in den Palast (wie ihm der Ifrit befohlen hatte) und setzte sie dem König vor; und der König staunte in höchstem Staunen über den Anblick, denn nie in seinem Leben hatte er noch Fische gesehen, wie diese in Art und Bildung. So sagte er: ›Gib diese Fische dem fremden Sklavenmädchen, das jetzt für uns kocht‹; und er meinte die Sklavin, die ihm der König von Roum4 drei Tage zuvor geschickt hatte, so daß er ihr Geschick in der Bereitung von Gerichten noch nicht hatte erproben können. Da trug der Vezier die Fische zur Köchin und hieß sie sie braten und sagte: ›O Mädchen, der König schickt dir dieses Wort: Ich habe dich aufgespart, o meine Träne, nur für Zeiten der Not; drum beweise uns heute deine leckere Kunst und deine Fertigkeit, schmackhaft zu kochen; denn das Gericht Fische ist ein Geschenk, das dem Sultan gesandt ist, und offenbar eine Seltenheit.‹ Und als der Vezier ihr genaue Anweisungen gegeben hatte, kehrte er zum König zurück, der ihm befahl, dem Fischer vierhundert Dinare zu geben; und er tat es, und der Fischer nahm sie ans Herz und lief stolpernd und stürzend und wieder aufspringend nach Hause, denn er hielt das Ganze für einen Traum. Er kaufte aber seiner Familie alles, was sie brauchte, und schließlich ging er in heller Freude zu seinem Weibe. So viel von ihm.

Die Sklavin aber nahm die Fische, säuberte sie und legte sie in die Pfanne und betropfte sie mit Öl, bis die eine Seite gar war; dann wandte sie sie um. Und siehe, die Küchenwand klaffte auseinander, und heraus trat ein Mädchen, schön von Gestalt, eirunden Gesichts, vollendet in Anmut, mit Augen, gefaßt in Linien von Kohl.5 Ihr Gewand war ein seidenes Kopftuch mit blauen Fransen und Troddeln; in jedem Ohr hing ihr ein großer Ring; die Handgelenke umschloß ein Paar Spangen, und Ringe mit unschätzbaren Edelsteinen saßen ihr auf den Fingern; in der Hand aber hielt sie eine lange Rute aus Rotangrohr, mit der sie in die Pfanne stieß, und dazu sagte: ›Ihr Fische, ihr Fische, seid ihr getreu dem Vertrag?‹ Und als die Köchin diese Erscheinung sah, fiel sie in Ohnmacht. Das Mädchen aber wiederholte ihre Worte[39] ein zweites und ein drittes Mal, und schließlich hoben die Fische die Köpfe aus der Pfanne und sprachen in deutlicher Rede: ›Ja, Ja!‹

Und das Mädchen stieß die Pfanne um und trat zurück, wie sie gekommen war, und die Wand schloß sich hinter ihr. Als aber die Köchin wieder zu Sinnen kam, sah sie die vier Fische schwarz verkohlt wie Kohle und rief aus: ›Sein Schaft zerbrach im ersten Kampf‹; und sie fiel von neuem zu Boden. Und als sie so dalag, kam der Vezier, und da er sie ohne Besinnung liegen sah, nicht imstande, den Sonntag vom Donnerstag zu unterscheiden, stieß er mit dem Fuß nach ihr und sagte: ›Bringe die Fische für den Sultan.‹ Und sie erholte sich und weinte und erzählte ihm alles, was ihr widerfahren war. Der Vezier erstaunte sehr und rief: ›Dies ist nicht anders als höchst seltsam!‹ Und er schickte nach dem Fischer und sagte zu ihm: ›O Fischer, du mußt uns notwendig noch vier Fische bringen, denen gleich, die du zuvor gebracht.‹ Und der Fischer begab sich zum Bergsee und warf sein Netz; und als er es landete, siehe, da waren darin vier Fische genau gleich den ersten. Und er trug sie sofort zum Vezier, und der brachte sie der Köchin hinein und sagte: ›Auf! und brate diese in meiner Gegenwart, damit ich es sehe.‹ Das Mädchen stand auf und säuberte sie und legte sie in die Pfanne über dem Feuer; aber sie lagen erst eine kleine Weile darin, so klaffte die Wand auseinander, und das Mädchen trat vor, gekleidet wie das erstemal, und in der Hand hielt sie die Rute, mit der sie wiederum in die Pfanne stieß, und sagte: ›Ihr Fische, ihr Fische, seid ihr getreu dem alten Vertrag?‹ Und siehe, die Fische erhoben die Köpfe und sagten: ›Ja, ja!‹ Und als die Fische sprachen und das Mädchen mit ihrer Rute die Pfanne umstieß und zurücktrat, wie sie gekommen war, und die Mauer sich hinter ihr schloß, da rief der Vezier: ›Dies darf dem Könige nicht verborgen bleiben.‹ Und er ging hin und erzählte ihm, was geschehen war, und der König sprach: ›Es hilft nichts, ich muß es mit eignen Augen sehen.‹ Und er schickte nach dem Fischer und befahl ihm, vier Fische zu bringen, den ersten gleich, und drei Leute als Zeugen mitzunehmen. Und der Fischer brachte die Fische alsbald; und der König befahl, ihm vierhundert Dinare zu geben, und wandte sich zu dem Minister und sagte: ›Auf! und brate mir diese Fische hier[40] vor meinen Augen!‹ Und der Minister sprach: ›Hören ist gehorchen‹; und er ließ sich die Pfanne bringen und warf die gesäuberten Fische hinein und setzte sie über das Feuer. Und siehe, die Mauer klaffte auseinander, und heraus sprang ein schwarzer Sklave, einem riesigen Felsen gleich, und in der Hand hielt er den Ast eines grünen Baumes; und er rief in lauten und furchtbaren Tönen: ›Ihr Fische, ihr Fische, seid ihr getreu dem uralten Vertrag?‹ Und die Fische hoben die Köpfe aus der Pfanne und sagten: ›Ja, ja, wir sind dem Gelübde treu.‹

Da trat der riesige Mohr an die Pfanne und stieß sie um mit dem Ast und ging, wie er gekommen war. Als er fort war, besah sich der König die Fische, und da er sie alle schwarz verkohlt fand wie Kohlen, war er in großer Verwunderung und sagte: ›Wahrlich, dies ist ein Vorfall, über den man nicht Schweigen bewahren kann, und an den Fischen hängt ohne Zweifel irgendein wunderbares Abenteuer.‹ So ließ er den Fischer bringen und fragte ihn und sagte: ›Pfui, du Bursche! Woher kommen diese Fische?‹ und er erwiderte: ›Von einem Bergsee zwischen vier Höhen, die hinter der Kette liegen vor deiner Stadt.‹ Sprach der König: ›Wieviele Tagemärsche?‹ und er erwiderte: ›O unser Herr, hoher Sultan, eine halbe Stunde Gehens.‹ Und der König staunte und befahl stracks seinem Fußvolk zu marschieren und seinen Reitern aufzusitzen und ging mit dem Fischer, der ihn führte und insgeheim dem Ifriten fluchte. Sie gingen, bis sie die Gebirgskette erklommen hatten und niederstiegen in eine große Wüste, die sie zeit ihres Lebens noch nicht gesehen hatten; und der Sultan und seine wackeren Leute staunten sehr ob der Höhenfläche, die inmitten der vier Höhen lag, und über den Bergsee mit seinen Fischen in vier Farben, in Rot und Weiß und Gelb und Blau. Der König stand da, vom Staunen gefesselt, und fragte seine Truppen und alle, die anwesend waren: ›Hat einer unter euch je diesen See zuvor gesehen?‹ und alle gaben zur Antwort: ›O König der Zeit, nie kam er uns in all unsern Tagen zu Gesicht.‹ Und sie fragten auch die ältesten Einwohner, die sie trafen, hochbetagte Leute, aber sie gaben, einer und alle, zur Antwort: ›Einen See wie diesen sahen wir nie an dieser Stelle.‹ Da sprach der König: ›Bei Allah, ich will nicht in meine Hauptstadt kehren, noch auf dem Thron meiner[41] Väter sitzen, ehe ich nicht die Wahrheit über diesen See und die Fische darin erfahre.‹ Und er befahl seinen Leuten, abzusitzen und sich rings um die Berge zu lagern; und sie taten es; und er aber ließ seinen Vezier kommen, einen Minister von großer Erfahrung, von Scharfblick und durchdringendem Verstand und wohlbewandert in allen Geschäften; und er sagte zu ihm: ›Ich habe etwas zu tun im Sinn, davon ich dich unterrichten will; mein Herz treibt mich, heute nacht allein auszuziehen und das Geheimnis dieses Bergsees und seiner Fische aufzuwühlen. Nimm du den Platz an meiner Zelttür ein und sage den Emiren und Vezieren und den Nabobs und den Kämmerlingen und allen, die dich fragen: ›Der Sultan fühlt sich nicht wohl, und er hat mir befohlen, niemanden einzulassen‹; und hüte dich, meinen Plan zu verraten.‹ Und der Vezier konnte ihn nicht zurückhalten.

Da wechselte der König Kleidung und Schmuck und schlang sich das Schwert um die Schulter und schlug einen Pfad ein, der einen der Berge hinauflief; und er zog den ganzen Rest der Nacht dahin, bis schließlich der Tag zu grauen begann; aber auch da noch machte er nicht Halt, sondern wanderte weiter, bis ihm die Hitze zuviel wurde. Und nach seinem langen Marsche ruhte er eine Weile, und dann nahm er seinen Marsch wieder auf und wanderte weiter, die zweite Nacht hindurch, bis zum Tagesgrauen; da aber sah er plötzlich in weiter Ferne einen schwarzen Punkt. Und er freute sich und sprach zu sich selber: ›Vielleicht wird mich hier jemand aufklären über das Geheimnis des Bergsees und der Fische.‹ Und als er dem schwarzen Punkte näher kam, fand er, daß es ein Palast war, gebaut aus schwarzen Steinen und belegt mit Eisenplatten; und einer der Flügel des Tores stand weit offen, während der andere geschlossen war. Des Königs Brust schwoll hoch, als er vor dem Tore stand und leise klopfte; aber da er keine Antwort hörte, klopfte er ein zweites und ein drittes Mal; aber es kam kein Zeichen. Da pochte er sehr laut; und als noch immer keine Antwort erfolgte, sagte er: ›Ohne Zweifel steht es leer.‹ Und er faßte einen Entschluß und schritt kühn durch das Haupttor in die große Halle und rief: ›Holla, ihr Leute vom Palast! Ich bin ein Fremder und ein Wanderer, habt ihr ein wenig Zehrung?‹ Und er wiederholte seinen Ruf ein zweites und ein drittes Mal, aber es[42] kam keine Antwort; so faßte er sich ein Herz und einen Entschluß und schritt durch die Vorhalle bis mitten in den Palast und fand keinen Menschen darin. Und doch war er behangen mit seidenen, goldgestickten Stoffen; und vor den Türen waren die Vorhänge niedergelassen. In der Mitte aber war ein geräumiger Hof, auf den sich vier Säle öffneten, ein jeder mit einer erhöhten Estrade, und einer dem andern gegenüber; und ein Baldachin beschattete den Hof, und im Mittelpunkt war ein Speibrunnen mit vier Löwen aus rotem Golde, die aus ihren Mäulern Wasser spieen, klar wie Perlen und durchsichtiges Edelgestein. Rings am Palast aber flatterten Vögel, und darüber war ein Netz aus goldenem Draht gespannt, das sie am Fortfliegen hinderte; und alles war da, nur keine Menschen. Und der König staunte gewaltig darob und war doch traurig, weil er niemanden sah, der ihm Auskunft geben konnte über die Wildnis und ihren Bergsee, über die Fische, die Berge und diesen Palast. Als er aber tief in Gedanken zwischen den Türen saß, siehe, da erklang eine Stimme der Klage, und wie aus einem Herzen, gramverzehrt, hörte er die Stimme singen.

Als nun der Sultan die traurige Stimme hörte, sprang er auf die Füße; und indem er dem Klange folgte, fand er einen Vorhang, der vor der Tür eines Gemaches niedergelassen war. Er hob ihn und sah dahinter einen Jüngling auf einem Polster sitzen, das etwa eine Elle hoch war; und er war schön anzuschauen, von großer Wohlgestalt und beweglicher Stimme; seine Stirn war blütenweiß, seine Wange rosig, und auf ihr ein Mal wie ein Scherf aus grauem Amber.

Der König freute sich und grüßte ihn, aber er blieb sitzen in seinem Kaftan aus Seidenstoff, bestickt mit ägyptischem Golde, und mit seiner Krone, in der die kostbarsten Edelsteine saßen; und sein Gesicht war traurig von den Spuren des Grams. Er erwiderte den königlichen Gruß auf die höflichste Art und sprach: ›Hoher Herr, deine Würde verlangt, daß ich aufstehe in deiner Gegenwart; und meine einzige Entschuldigung ist, daß ich dich um Vergebung bitte.‹ Sprach der König: ›Du bist entschuldigt, o Jüngling; so siehe mich an als deinen Gast, der in besonderer Sache hierher kam. Ich möchte du machtest mich mit den Geheimnissen jenes Bergsees und seiner Fische und dieses Palastes und deiner Einsamkeit darinnen bekannt, und mit dem Anlaß deines[43] Seufzens und Klagens.‹ Und als der Jüngling seine Worte hörte, weinte er ein bitteres Weinen, bis ihm die Brust von Tränen naß war.

Der König staunte und fragte ihn: ›Worüber weinest du, o Jüngling?‹ Und er erwiderte: ›Wie sollte ich nicht weinen, da es so mit mir steht!‹ Und er streckte die Hand aus und hob den Saum des Gewandes, und siehe, der untere Teil seines Leibes war bis zu den Füßen hinab aus Stein, vom Nabel aber bis zum Haar seines Kopfes war er Mensch. Und als der König diesen seinen Zustand sah, erfaßte ihn großer Schmerz, und in seinem Mitleid rief er: ›Wehe! Wahrlich, o Jüngling, du häufest Gram auf meinen Gram. Ich wollte dich nur nach dem Geheimnis der Fische fragen: jetzt aber verlangt es mich, so deine Geschichte wie ihre zu erfahren. Aber es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen! Verliere keine Zeit, o Jüngling, und berichte mir alsbald dein ganzes Schicksal.‹ Und der sprach: ›Leih mir dein Ohr, dein Auge und deine Einsicht.‹ Und der König sagte: ›Sie alle stehen dir zu Diensten!‹ Da begann der Jüngling: ›Wunderbar und erstaunlich ist meine Geschichte und die dieser Fische; und würde sie mit Sticheln in die Augenwinkel gestichelt, sie wäre eine Warnung für jeden, der sich warnen ließe.‹ ›Und wie ist sie?‹ fragte der König, und der Jüngling begann

Fußnoten

1 Ghul (wörtlich Schrecknis) = Menschenfresser; Ghulah = Menschenfresserin.

2 Indien.

3 Statthalter.

4 Griechenland.

5 Spießglanz, ein schwarzes Färbemittel.


Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 31-44.
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