Die Geschichte des versteinerten Prinzen

[44] Wisse denn, hoher Herr, weiland mein Vater war König in dieser Stadt, und sein Name war Mahmud, Herr der Schwarzen Inseln und Besitzer dessen, was du jetzt als die vier Berge kennst. Er herrschte sechzig Jahre und zehn, und als er zu Allahs Gnade einging, herrschte ich als Sultan an seiner Statt. Und ich nahm zum Weibe meine Base, die Tochter meines Vaterbruders, und sie liebte mich mit so überschwenglicher Liebe, daß sie, wenn ich[44] abwesend war, nicht aß und nicht trank. Und sie lebte mit mir fünf Jahre lang, bis zu einem Tage, da sie ausging ins Hammam; und ich hieß den Koch eilen, um alles zum Nachtmahl bereit zu haben. Und ich trat in diesen Palast und legte mich auf das Bett, auf dem ich zu schlafen gewohnt war, und befahl zwei Mädchen, mir das Gesicht zu fächeln; und eine setzte sich mir zu Häupten, und die andere zu Füßen. Aber ich war unruhig und rastlos wegen meines Weibes Abwesenheit und konnte nicht schlafen; denn, waren auch meine Augen geschlossen, so waren doch mein Geist und meine Gedanken wach. Da hörte ich die Sklavin zu Häupten zu der zu Füßen sagen: ›O Masudah, wie elend ist unser Herr, und wie verschwendet seine Jugend! Und o, welcher Jammer, daß er so von unserer Herrin verraten wird!‹ Und die andere erwiderte: ›Ja, wahrlich: Allah fluche allen treulosen und ehebrecherischen Frauen; aber unseres Herrn gleichen, mit seinen schönen Gaben, verdiente Besseres als diese Dirne, die eine jede Nacht draußen liegt.‹ Da sprach die zu meinen Häupten: ›Ist unser Herr stumm oder nur noch zum Äffen gemacht, daß er sie nicht zur Rede stellt?‹ und die andere: ›Pfui über dich! Weiß unser Herr von ihren Ränken, und läßt sie ihm seinen Willen? Ja, mischt sie ihm nicht jeden Abend den Trank, den sie ihm vor dem Schlafengehen gibt, und tut Bangh1 hinein? So schläft er und weiß nicht, wohin sie geht, noch was sie tut; wir aber wissen, wenn sie ihm den Wein mit dem Schlaftrunk gereicht hat, daß sie dann ihr reichstes Gewand anlegt, sich mit Wohlgerüchen besprengt und ausgeht und fortbleibt, bis zum Anbruch des Tages; dann aber kommt sie zu ihm und brennt unter seiner Nase eine Pastille ab, und er erwacht aus seinem todesgleichen Schlaf.‹ Als ich die Worte der Sklavin hörte, wurde das Licht mir schwarz vor meinen Augen, und ich dachte, die Nacht würde niemals kommen.

Bald aber kam meines Onkels Tochter aus dem Bade; und sie setzten die Tische vor uns hin, und wir aßen und saßen noch eine halbe Stunde zusammen und tranken unsern Wein, wie wir es immer taten. Dann rief sie nach eben dem Wein, den ich vor dem Schlafengehen zu trinken pflegte, und reichte mir die Schale; ich[45] aber tat, als tränke ich ihn wie gewöhnlich und goß dabei den Inhalt in das Gewand auf meiner Brust; und ich legte mich nieder und gab ihr zu hören, daß ich schlief. Und siehe, sie rief: ›Schlaf durch die Nacht, und erwache nie: bei Allah, ich verabscheue dich, und meine Seele wendet sich voll Ekel von dem gemeinschaftlichen Leben mit dir ab; und ich kann den Moment nicht erwarten, da Allah dein Leben hinwegrafft.‹ Und sie stand auf und legte ihr schönstes Kleid an und besprengte sich mit Wohlgerüchen und schlang sich mein Schwert um die Schulter; und sie öffnete die Tore des Palastes und ging ihren argen Weg. Und ich stand auf und folgte ihr, als sie den Palast verließ; und sie zog durch die Straßen, bis sie zum Stadttor kam, und dort sprach sie Worte, die ich nicht verstand, und die Riegel fielen von selber zerbrochen nieder, und die Flügel des Tores taten sich auf. Und sie ging hinaus (und ich folgte ihr, ohne daß sie es merkte), bis sie schließlich zu den Müllhügeln kam, und zu einem Rohrzaun um eine Lehmhütte mit einem runden Dach. Und als sie eintrat, stieg ich aufs Dach, durch das man ins Innere blicken konnte. Und siehe, meine schöne Base war zu einem scheußlichen Negersklaven getreten, dessen Oberlippe war wie der Deckel eines Topfes, und seine Unterlippe wie der Ausguß eines Topfes; also, daß er mit seinen Lippen den Sand vom Kiesflur der Hütte hätte fegen können. Obendrein war er aussätzig und gelähmt, und er lag auf einer Streu vom Abfall des Zuckerrohrs, gehüllt in ein altes Laken und in die schmutzigsten Lumpen und Fetzen. Sie küßte den Boden vor ihm, und er hob den Kopf, so daß er sie sehen konnte, und sprach: ›Wehe dir! Was hielt dich ab, daß du so lange fortbliebst? Hier sind ein paar meiner schwarzen Brüder bei mir gewesen, und sie haben ihren Wein getrunken, und jeder hatte die Geliebte da, ich aber mochte, weil du fehltest, selbst den Wein nicht mehr.‹ Und sie: ›O mein Herr, meines Herzens Liebe und Kühle meiner Augen, weißt du nicht, daß ich meinem Vetter vermählt bin, bei dessen bloßem Anblick mir ekelt, und mich hasse in seiner Gesellschaft? Und fürchtete ich nicht um deinetwillen, ich ließe die Sonne nicht wieder aufgehn, bevor ich nicht diese Stadt zu einem Trümmerhaufen verwandelt hätte, darinnen Raben krächzten[46] und Eulen schrien, und Wolf und Schakal ihre Hausung hätten und Beutestatt.‹ Versetzte der Sklave: ›Du lügst, Verfluchte! Nun schwöre ich einen Eid beim Heldentum und der Ehre der Mohren, wenn du von heute an noch einmal bis um diese Stunde ausbleibst, so will ich nicht mehr mit dir Gesellschaft pflegen.‹ Und als ich diese Worte hörte, da wurde dunkel mir vor den Augen die Welt, und meine Seele wußte nicht, wo sie war. Aber mein Weib stand demütig weinend vor dem Sklaven und schmeichelte ihm und sagte: ›O mein Geliebter, Frucht meines Herzens, niemand ist mehr, der mich aufheitern könnte außer deinem teuren Selbst; und wirfst du mich ab, wer soll mich dann wohl nehmen, o Geliebter, Licht meiner Augen?‹ Und sie hörte nicht auf zu weinen und sich vor ihm zu erniedrigen, bis er geruhte, sich versöhnen zu lassen. Da wurde sie froh, stand auf und sprach: ›O mein Herr, was hast du für deine Sklavin zu essen?‹ ›Nimm den Deckel vom Becken,‹ brummte er, ›und du wirst auf dem Boden die aufgebratenen Knochen von ein paar Ratten finden, die wir zu Mittag hatten, und dann geh zu jenem Spülnapf, und du wirst einige Überreste finden, die magst du trinken.‹ Sie aß nun und trank, und wusch sich die Hände und ging zu dem Sklaven.

Als aber ich mein Weib, meine Base, die Tochter meines Onkels, dieses tun sah, da verlor ich meine Selbstbeherrschung; und ich kletterte hinab vom Dach und nahm das Schwert, das sie bei sich hatte, und zog es und wollte sie beide erschlagen, und erst führte ich einen Hieb nach des Sklaven Nacken und glaubte, der Todesspruch sei ihm schon gesprochen, denn er röchelte in lautem, zischendem Röcheln; aber ich hatte ihm nur am Schlund die Haut und das Fleisch durchschnitten und die beiden Halsadern! Und die Tochter meines Onkels sah mich an, so daß ich das Schwert in die Scheide stieß und zur Stadt davonging; und als ich in meinen Palast kam, legte ich mich auf mein Bett und schlief bis zum Morgen; als aber mein Weib mich weckte, sah ich, daß sie sich das Haar beschnitten und Trauerkleidung angelegt hatte. Und sie sprach: ›O Sohn meines Onkels, tadle mich nicht um das, was ich tue; ich habe soeben vernommen, daß meine Mutter tot ist, und mein Vater ist im heiligen Kriege gefallen,[47] und einer meiner Brüder hat sein Leben durch einen Schlangenbiß verloren, und der andere durch den Sturz in einen Abgrund.‹ Und als ich ihre Worte hörte, enthielt ich mich allen Vorwurfs und sagte nur: ›Tu, wie du willst, ich werde dich sicherlich nicht hindern.‹ Und sie trauerte und weinte und klagte ein ganzes Jahr vom Anfang seines Kreises bis zum Ende; und als es verstrichen war, sagte sie zu mir: ›Ich möchte mir in deinem Palast ein Grab bauen, mit einer Kuppel, darin will ich trauern, und ich will es das Haus der Klagen nennen.‹ Sprach ich wieder: ›Tu, wie du willst!‹ Und sie baute sich ein Grabmal, darin zu trauern; und über die Mitte setzte sie eine Kuppel, unter der ein Grab war wie eines Mönches Ruhestatt. Und dorthin trug sie den Sklaven, damit er dort wohne; aber er war infolge seiner Wunde äußerst schwach und konnte nur noch Wein trinken, und vom Tage seiner Verletzung an sprach er kein Wort mehr und lebte doch weiter, weil seine bestimmte Stunde noch nicht gekommen war. Tag für Tag ging mein Weib am Morgen und am Abend zu ihm und weinte und klagte über ihn, und gab ihm Wein und starke Suppen und ließ davon ein zweites Jahr hindurch nicht ab; und ich ertrug das voll Langmut und achtete ihrer nicht. Doch eines Tages trat ich unversehens bei ihr ein: und ich fand sie weinend, und sie schlug sich das Gesicht und rief: ›Weshalb zeigst du dich nicht meinen Augen, o meines Herzens Wonne? Sprich zu mir, o mein Leben; rede mit mir, o meine Liebe!‹

Und als sie ihre Worte und ihr Weinen eine Weile unterbrach, sprach ich zu ihr: ›O meine Base, laß dies dein Trauern genügen, denn wenig nützt es, Tränen zu vergießen!‹ ›Hindre mich nicht‹, versetzte sie, ›in irgend etwas, was ich tue, sonst lege ich gar Hand an mich!‹ Da schwieg ich still und ließ sie ihres eignen Weges gehen; und sie hörte noch ein weiteres Jahr nicht auf zu weinen und zu wehklagen und ihrem Kummer zu frönen. Zu Ende des dritten Jahres aber wurde ich dieses langen Trauerns müde, und eines Tages trat ich in das Grabmal, als ich über etwas, was mir mißlungen war, grollte und zürnte; und plötzlich hörte ich sie sagen: ›O mein Herr, ich höre dich nie ein einziges Wort zu mir sprechen! Weshalb antwortest du mir nicht, o mein Gebieter?‹[48]

Als sie aber mich kommen hörte, sprang sie auf die Füße und rief: ›Pfui über dich, du Köter! All dies ist dein Werk: du hast den Geliebten meines Herzens verwundet und mir arges Wehe zugefügt, und du hast seine Jugend vernichtet, so daß er diese drei Jahre mehr tot als lebendig auf seinem Lager lag!‹ Und in meinem Zorne rief ich: ›O du schmutzigste der Dirnen, wahrlich, ich habe diese gute Tat getan‹; und indem ich mein Schwert aufgriff, zog ich es und sprang auf sie zu, um sie niederzuschlagen. Aber sie lachte verächtlich über meine Worte und meine Absicht und rief: ›Zurück, Hund, der du bist! Wehe um die Vergangenheit, die nicht wiederkommt, noch wird irgendwer vermögend sein, die Toten aufzuwecken. Jetzt hat Allah freilich den in meine Hand gegeben, der mir all dies antat: eine Tat, die mir das Herz mit einem Feuer brannte, das nicht starb, und mit einer Flamme, die sich nicht ersticken ließ!‹ Und sie stand auf und sprach ein paar Worte, die mir nicht verständlich waren, und sagte: ›Kraft meiner Zauberkunst werde du halb Stein, halb Mensch‹; und ich wurde, was du siehst, außerstande, aufzustehen und zu sitzen, weder tot noch lebend. Und dazu verzauberte sie die Stadt mit all ihren Straßen und Gärten, und die vier Inseln verwandelte sie durch ihre Kunst in vier Berge rings um den Bergsee, nach dem du mich fragtest; und die Bewohner, die von vier Bekenntnissen waren, Moslems, Nazarener, Juden und Magier, verwandelte sie durch ihre Sprüche in Fische: die Moslems in weiße, die Magier in rote, die Christen in blaue und die Juden in gelbe. Und jeden Tag foltert sie mich und geißelt mich mit hundert Riemen, deren jeder Ströme Blutes zieht und mir die Haut der Schultern zerschneidet; und zuletzt bekleidet sie mir die obere Hälfte mit einem härenen Hemd und wirft dann diese Kleider darüber.‹ Und der Jüngling vergoß von neuem Tränen.

Da wandte sich der Sultan dem jungen Prinzen zu und sagte: ›O Jüngling, du hast einen Kummer gehoben, nur um einen andern zuzufügen; aber jetzt, mein Freund, wo ist sie? Und wo ist das Grabmal, darin der verwundete Sklave liegt?‹ ›Der Sklave liegt unter jener Kuppel,‹ sprach der Jüngling, ›und sie sitzt in der Kammer gegenüber jener Tür. Und jeden Tag kommt sie mit Sonnenaufgang[49] hervor und zieht mich aus und peitscht mich mit hundert Streichen der ledernen Geißel, und ich weine und schreie; aber in meinen unteren Gliedern habe ich keine Kraft der Bewegung mehr, um sie abzuwehren. Und nachdem sie meine Folter beendet hat, sucht sie den Sklaven auf und bringt ihm Wein und gekochte Speisen. Und auch morgen wird sie zu früher Stunde hier sein.‹ Sprach der König: ›Bei Allah, o Jüngling, ich will gewißlich eine gute Tat an dir tun, die die Welt so bald nicht sterben lassen wird, und eine Heldentat, von der man berichten soll, nachdem ich längst tot und vergangen bin.‹ Und der König setzte sich neben den Prinzen und plauderte mit ihm bis zum Einbruch der Nacht, und legte sich dann nieder und schlief; als aber die Dämmerung sich zeigte, stand er auf und legte seine Überkleider ab, entblößte sein Schwert und eilte an den Ort, wo der Sklave lag. Da wurde er brennende Kerzen und Lampen gewahr, und den Duft von Weihrauch und Salben; und von ihnen geführt, kam er zum Sklaven und traf ihn mit einem einzigen Schlag, der ihn auf der Stelle tötete; und die Leiche hob er auf den Rücken und warf sie in einen Brunnen im Palaste. Sofort aber kehrte er zurück, zog sich des Sklaven Lumpen an und legte sich im Mausoleum nieder, das entblößte Schwert an seiner Seite. Und nach einer Stunde etwa kam die verfluchte Hexe; und erst ging sie zu ihrem Gatten, zog ihm die Kleider ab, nahm eine Geißel und peitschte ihn grausam, bis er aufschrie: ›Ah! genug sei dir an meinem Zustand! Habe Mitleid mit mir, meine Base!‹ Aber sie rief: ›Hattest du Mitleid mit mir und schontest das Leben meiner einzigen Liebe, an der ich hing?‹ Und sie zog ihm das härene Hemd über die wunde und blutende Haut und warf das Gewand darüber, und ging mit einem Becher Weins und einer Schale Fleischbrühe in der Hand hinab zu dem Sklaven. Und sie trat weinend und klagend unter die Kuppel: ›Wehe!‹ und sie rief: ›O mein Herr, sprich ein Wort zu mir! O mein Gebieter, rede eine Weile mit mir!‹ Und der König dämpfte die Stimme und verrenkte die Zunge und sprach in der Art der Neger und sagte: ›Ach! ach! Es gibt kaine Majestät, und es gibt kaine Macht, außer bai Allauh, das Glohrraiche, Große!‹ Als sie aber diese Worte vernahm, jauchzte sie auf vor Freude und fiel[50] bewußtlos zu Boden; und als ihr die Besinnung zurückkam, fragte sie: ›O mein Herr, kann es wahr sein, daß du die Gabe der Rede hast?‹ Und der König erwiderte mit leiser und matter Stimme: ›O mein Mäuschen, verdienst du, daß ich mit dir rede und zu dir spreche?‹ ›Wie und weshalb?‹ versetzte sie; und er erwiderte: ›Das weshalb ist, daß du den lieben langen Tag dein Männchen folterst; und er ruft in einem fort zum Hiemel von Morgen bis Aben', so daß das Schlaf mich fremd wird, und er betet und flucht und schimpft auf wir baide, und macht mir unruhig und viel Sorge: wär das nicht so, dann wär ich ald lang schon wieder gesund; und deshalb antworte ich dir nicht.‹ Sprach sie: ›Mit deiner Erlaubnis will ich ihn von dem Zauber, der auf ihm liegt, befreien‹; und der König versetzte: ›Befreie ihn, damit wir ein wenig Ruhe haben!‹ Und sie rief: ›Hören ist Gehorchen‹; und sie trat hinaus aus dem Grabmal und in den Palast; und sie nahm eine metallene Schale und füllte sie mit Wasser und sprach gewisse Worte darüber, so daß der Inhalt sprudelte und kochte, wie ein Kessel über dem Feuer siedet. Und damit besprengte sie ihren Gatten und sprach: ›Kraft der furchtbaren Worte, die ich gesprochen habe, tritt, wenn du durch meinen Zauber so wurdest, aus dieser Gestalt hervor und in die eigene Gestalt zurück.‹ Und siehe, der Jüngling schüttelte sich und erbebte; und er sprang auf und freute sich seiner Befreiung und rief: ›Ich bezeuge, es gibt keinen Gott als den Gott, und wahrlich, wahrlich, Mohammed ist sein Apostel, den Allah behüte und segne.‹ Und sie sprach zu ihm: ›Zieh aus und kehre nie hierher zurück; denn tust du es, so werde ich dich gewißlich erschlagen‹; und sie kreischte ihm diese Worte ins Gesicht. So ging er aus ihren Händen davon; und sie kehrte in die Kuppel zurück und ging hinab ins Gewölbe und sagte: ›O mein Herr, komme heraus zu mir, daß ich dich schaue und deine Schönheit!‹ Der König aber versetzte mit leisen matten Worten: ›Was hast du getan? Du hast mich von dem Ast befreit, aber nicht von der Wurzel.‹ Und sie fragte: ›O mein Geliebter, o mein Negerchen! welches ist die Wurzel?‹ Und er versetzte: ›Pfui auf dich, o mein Mäuschen! Jede Nacht, wenn es Mitternacht ist, heben die Einwohner dieser Stadt und der vier Inseln den Kopf aus dem[51] Teich, darin du sie in Fische verwandelt hast, und schreien zum Himmel und rufen seinen Zorn auf mich und dich herab; und das ist der Grund, weshalb meinem Leib die Heilung versperrt ist. Geh hin, so fort, und setze sie in Freiheit; und dann komme zu mir und nimm meine Hand und hebe mich auf, denn ein wenig meiner Kraft ist schon zurückgekehrt.‹ Und als sie des Königs Worte hörte (denn sie hielt ihn immer noch für den Sklaven), rief sie in Freuden: ›O mein Gebieter, auf meinem Haupt und meinen Augen liege dein Befehl, Bismillah2!‹ So sprang sie auf, und in Freude und Frohlocken lief sie hinab zum Bergsee; und sie nahm ein wenig von seinem Wasser in die hohle Hand und sprach darüber Worte, die nicht zu verstehen waren; da hoben die Fische die Köpfe und standen im Nu als Menschen auf, da der Zauber von den Leuten der Stadt genommen war. Und der See wurde wieder zu einer wimmelnden Hauptstadt; in den Basaren drängten sich Menschen, die kauften und feilboten, und jeglicher Bürger ging seinem Berufe nach, und die vier Berge wurden wieder wie einst vier Inseln. Aber das junge Weib, die böse Zauberin, kehrte zurück zum König (denn immer noch hielt sie ihn für den Neger) und sagte zu ihm: ›O mein Geliebter, strecke heraus deine herrliche Hand, daß ich dir helfe, dich zu erheben.‹ ›Näher heran‹, sprach der König mit matter, verstellter Stimme. Und als sie ganz nahe herantrat, um ihn in ihre Arme zu nehmen, griff er nach dem Schwert, das ihm zur Seite lag, und stieß es ihr durch die Brust, so daß ihr die Spitze blitzend zum Rücken herausstak. Und er traf sie noch ein zweites Mal und spaltete ihren Leib, also daß sie in zwei Hälften zu Boden fiel.

Dann aber ging er hinaus und fand den Jüngling, der jetzt vom Zauber befreit war und seiner harrte; und er wünschte ihm Freude zu seiner Errettung, und der Prinz küßte ihm in überströmendem Danke die Hand. Sprach der König: ›Willst du hier bleiben in dieser Stadt oder mit mir in meine Hauptstadt ziehen?‹ Sprach der Jüngling: ›König der Zeit, weißt du nicht, welche Reise zwischen dir und deiner Stadt liegt?‹ ›Zwei Tagemärsche und ein halber‹, erwiderte er; doch der andere rief: ›Wenn du schläfst, o König, erwache![52] Zwischen dir und deiner Stadt liegt eines Jahres Marsch für einen wohlgegürteten Wanderer, und du wärest nicht in fünf halben Tagen hergekommen, hätte die Stadt nicht unter dem Zauber gelegen. Und ich, o König, will mich nie mehr von dir trennen, nein, nicht auf die Zeit, da man mit dem Auge blinzelt.‹ Und der König freute sich seiner Worte und sagte: ›Dank sei Allah, der mir dich gegeben hat! Von dieser Stunde an bist du mein Sohn, und mein einziger Sohn, denn mein Leben lang ward ich mit Nachkommen nicht gesegnet.‹ Da umarmten sie sich und freuten sich in höchster Freude; und als sie den Palast betraten, tat der Prinz, der unter dem Zauber gestanden hatte, seinen Herren und Großen kund, daß er als Pilger die heiligen Orte besuchen wollte, und befahl, daß sie alles Notwendige rüsteten. Und die Vorbereitungen nahmen zehn Tage in Anspruch, und dann brach er auf mit dem Sultan, dessen Herz in Sehnsucht brannte nach seiner Stadt, der er ein ganzes Jahr ferngeblieben war. Und sie zogen dahin mit einem Geleit von Mamelucken3, die allerlei kostbare Gaben und Seltenheiten trugen; und ein volles Jahr lang ließen sie nicht ab vom Wandern bei Tag und Nacht, bis sie zur Hauptstadt des Sultans kamen und Boten entsandten, um ihre Ankunft zu melden. Und der Vezier und das ganze Heer kam ihm in Freude und Jubel entgegen, denn schon hatten sie alle Hoffnung fahren gelassen, je ihren König wiederzusehen; und die Truppen küßten vor ihm den Boden und wünschten ihm Freude zu seiner Rettung. Und er zog ein und nahm Platz auf seinem Thron, und der Minister trat vor ihn, und als er alles erfahren hatte, was dem jungen Prinzen geschehen war, wünschte er ihm Glück zu seiner Befreiung. Und als die Ordnung wiederhergestellt war im ganzen Lande, da gab der Sultan vielen seiner Untertanen reiche Geschenke und sprach zum Vezier: ›Her mit dem Fischer, der uns die Fische brachte.‹ Und er schickte nach dem, der die erste Ursache der Befreiung der Stadt und der Bewohner vom Zauber war; und als er vor ihn trat, verlieh ihm der Sultan ein Ehrengewand und fragte ihn nach seinem Wohlstand, und ob er Kinder habe. Und der Fischer tat ihm kund, daß er zwei Töchter[53] habe und einen Sohn, und so schickte der König nach ihnen und nahm die eine der Töchter zum Weibe und gab die andere dem jungen Prinzen und machte den Sohn zu seinem ersten Schatzmeister. Und er bekleidete seinen Vezier mit dem Sultanat der Stadt der vier Inseln, die einst dem jungen Prinzen gehörte, und er entsandte mit ihm das Geleit von fünfzig bewaffneten Sklaven, und Ehrengewänder für alle Emire und Großen. Und der Vezier küßte die Hände und machte sich auf; und derweilen blieb der Sultan und blieb der Prinz in allem Trost und in aller Freude des Lebens zu Hause; und der Fischer wurde der reichste Mann seiner Zeit, und seine Töchter lebten als Frauen der Könige, bis sie der Tod überkam.

Fußnoten

1 Betäubendes Gift aus Hanfsamen.

2 Im Namen Allahs.

3 Weiße Sklaven (Christen), die für den Krieg erzogen waren.


Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 44-54.
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