Die siebente Reise Sindbads des Seefahrers

[444] Wisset, o meine Gäste, nach der Heimkehr von meiner sechsten Reise, die mir großen Gewinn abwarf, nahm ich in aller möglichen Freude und Heiterkeit mein früheres Leben wieder auf, indem ich mich Tag und Nacht in Lustbarkeiten vergnügte; und in solcher Zufriedenheit und Ruhe lebte ich eine Weile, bis meine Seele sich von neuem nach Fahrten über die Meere und nach dem Anblick fremder Länder und der Gesellschaft der Kaufleute und den Berichten über neue Dinge zu sehnen begann. Und als ich entschlossen war, packte ich eine Menge kostbarer Stoffe, wie sie sich[444] eigneten für den Handel zur See, in Ballen und begab mich damit von Bagdad nach Bassorah, wo ich ein Schiff zur Ausfahrt bereit fand und darauf eine Schar bedeutender Handelsherren. Ich schiffte mich zu ihnen ein, und da wir Freundschaft schlossen, so brachen wir gesund und wohlbehalten auf zu unserer Fahrt; und wir segelten mit günstigem Winde dahin, als wir eine Stadt erreichten, die da Madinat al-Sin geheißen war; doch als wir sie verlassen hatten und in aller Heiterkeit und Zuversicht weiterfuhren, indem wir Pläne entwarfen, wie wir reisen und handeln wollten, siehe, da erhob sich ein heftiger Gegenwind, und ein Regensturm überfiel uns und durchnäßte uns wie unsere Waren. Wir deckten die Ballen mit unseren Mänteln und Gewändern, mit Wollteppichen und Leinwand zu, damit der Regen sie nicht verdürbe; und wir begannen zu beten und den allmächtigen Allah anzuflehen, und wir demütigten uns vor ihm, damit er uns errette aus der Gefahr, in der wir schwebten. Der Schiffsführer aber stand auf, straffte sich den Gürtel, nahm die Säume empor, suchte Zuflucht bei Allah vor Satan, dem Gesteinigten, stieg in den Mast hinauf und spähte nach rechts und nach links; dann blickte er auf die Reisenden und die Mannschaft hinab, schlug sich das Gesicht und raufte sich den Bart. Da riefen wir ihm zu: ›O Kapitän, was gibt es?‹ Und er erwiderte und sprach: ›Fleht um Errettung zum Höchsten aus der Not, in die wir geraten sind, und klagt um euch und nehmt voneinander Abschied; denn wisset, der Wind ist unser Herr geworden und hat uns in das letzte der Meere der Welt verschlagen.‹ Dann stieg er herab vom Mast, öffnete seine Kiste und holte einen Sack aus blauer Baumwolle hervor, dem er ein aschenartiges Pulver entnahm. Das tat er in einen Topf und befeuchtete es mit ein wenig Wasser; und nachdem er eine Weile gewartet hatte, roch er daran und schmeckte es. Dann nahm er ein kleines Buch aus der Kiste, las eine Weile darin und sprach zuletzt unter Tränen: ›Wisset, o ihr Reisenden, in diesem Buch steht eine wunderbare Geschichte, die beweist, daß, wer in diese Gegenden kommt, ohne Hoffnung auf Rettung gewißlich des Todes ist; denn dieser Ozean heißt das Meer des Landstrichs der Könige, und hier steht das Grab unseres Herrn Salomo, des Sohnes Davids (mit[445] beiden sei Friede!), und es leben in diesen Wassern Schlangen von ungeheurem Wuchs und furchtbarem Anblick; und wenn jemals ein Schiff in diese Striche kommt, so steigt ein großer Fisch empor aus dem Meere und verschluckt es mit allen und allem, was an Bord ist.‹ Als wir nun diese Worte aus dem Munde des Schiffsführers vernahmen, da war unser Staunen groß; aber kaum noch hatte er ausgeredet, so wurde das Schiff aus dem Wasser emporgehoben, und dann fiel es wieder zurück, und wir begannen das Todesgebet zu beten und empfahlen Allah unsere Seelen. Und plötzlich vernahmen wir einen furchtbar lauten Schrei, der da war wie der krachende Donner, so daß wir erstarrten vor Angst und wie tot waren, denn wir gaben uns verloren. Und siehe, es kam ein riesiger Fisch zu uns empor, so groß wie ein hoher Berg, und bei seinem Anblick wurden wir wild vor Entsetzen und machten uns, bitterlich weinend, zum Tode bereit, indem wir staunten ob seines riesenhaften Wuchses und seines schauerlichen Anblicks. Doch siehe, da erschien ein zweiter Fisch, ungeheuerlicher noch als irgend etwas, was wir bis jetzt gesehen hatten. Wir aber klagten um unser Leben und nahmen Abschied voneinander. Doch plötzlich tauchte ein dritter Fisch empor, der war noch größer als die beiden ersten; und bei seinem Anblick floh uns die Kraft des Denkens und die Vernunft, und wir waren betäubt vor dem Übermaß unserer Angst und unseres Grauens. Und diese drei Fische begannen das Schiff zu umkreisen, und der dritte und größte sperrte das Maul auf, um es zu verschlucken, also, daß wir ihm ins Maul hineinsehen konnten, und siehe, es war weiter als das Tor einer Stadt, und sein Schlund war wie ein langes Tal. Da flehten wir inbrünstig zum Allmächtigen und riefen seinen Apostel (auf dem Segen ruhe und Frieden!) um Hilfe an, und plötzlich erhob sich eine gewaltige Bö und traf das Schiff, das aus dem Wasser emporsprang und auf ein großes Riff aufschlug, das die Stätte der Meeresungeheuer war, und dort zerbrach es und fiel in seine Planken auseinander, und alle und alles an Bord stürzten ins Meer hinab. Ich riß mir alle Kleider bis auf das Hemd vom Leibe und schwamm eine Weile umher, bis ich eine der Schiffsplanken fand, an die ich mich klammerte; dann bestieg ich sie wie ein[446] Pferd, und die Winde und Wasser spielten mit mir, und die Wogen hoben mich hoch empor und schleuderten mich tief hinab; und vor Furcht und Not und Hunger und Durst war ich in der schlimmsten Lage. Da machte ich mir Vorwürfe ob dessen, was ich getan hatte, und meine Seele lechzte nach einem Leben des Behagens und der Ruhe, so daß ich bei mir selber sprach: ›O Sindbad, o Seefahrer, du bereust nicht, und doch erduldest du immer Mühsal und Beschwerden. Du willst nicht verzichten auf die Fahrten zur See; und wenn du sagst: Ich verzichte, so lügst du in deinem Verzicht. Also trage geduldig, was du erleidest, denn wahrlich, du verdienst, was dir widerfährt; denn solches ist mir von Allah bestimmt (Sein Name sei erhöht!), um mich abzuwenden von meiner Gier nach dem Gewinn, der alles entspringt, was ich erdulde, denn ich habe Reichtum die Fülle.‹ Und als ich zu Verstande kam, sprach ich: ›Wahrlich, diesmal bereue ich meine Lust an Gewinn und Abenteuern vor dem Höchsten in aufrichtiger Reue; und nie wieder will ich mit der Zunge oder in Gedanken auch nur von Reisen reden.‹ Und ich ließ nicht ab, mich vor dem allmächtigen Allah zu demütigen und zu weinen und mich zu beklagen, indem ich meines früheren Lebens der Ruhe und Zufriedenheit, der Lust, des Genusses und des Vergnügens dachte; und so schwamm ich zwei Tage lang dahin, bis ich endlich zu einer großen Insel kam, die reich war an Bäumen und Bächen. Dort landete ich und aß von den Früchten der Insel und trank von ihrem Wasser, bis ich erfrischt war; das Leben kehrte in mich zurück, und Kraft und Mut erwachten von neuem, und ich sprach die Verse:


Oft, wenn dein Los verwirrte und knotige Strähnen zeigte – Ist das Schicksal vom Himmel gestiegen und hat ihm Glättung geboten;

Bis es sich klärt, fasse du in Ruh und Geduld deine Seele – Denn wer den Knoten schürzt, der vermag ihn auch zu entknoten.


Dann ging ich umher, bis ich auf der andern Seite einen großen Strom süßen Wassers fand, der in kräftiger Strömung dahinfloß; und sogleich fiel mir das Floß ein, das ich mir ehedem verfertigt[447] hatte, und ich sprach bei mir selber: ›Ich muß mir wieder ein solches machen; vielleicht errette ich mich dadurch aus dieser Not. Wenn ich entrinne, so habe ich mein Ziel erreicht, und ich gelobe dem allmächtigen Allah, daß ich die Reisen abschwören will; und wenn ich umkomme, so habe ich Frieden und Ruhe vor aller Mühsal und Qual.‹ Ich stand also auf und sammelte mir große Mengen vom Holz der Bäume (sie waren aber, ohne daß ich es wußte, sämtlich aus dem schönsten Sandelholz, dessengleichen es nirgends gibt), flocht mir aus Schlinggewächsen und Zweigen eine Art Seil und band damit die Hölzer zusammen, so daß ich ein Floß daraus machte. Dann schiffte ich mich mit den Worten: ›Wenn ich mich rette, so geschieht es durch Allahs Gnade,‹ darauf ein und überließ mich dem Strom, der mich einen und zwei und drei Tage lang dahintrug, nachdem ich die Insel verlassen hatte; ich aber lag, ohne zu essen, auf dem Floß, und wenn mich dürstete, so trank ich vom Wasser des Stromes; und schließlich wurde ich vor dem Übermaß der Anstrengung und der Angst schwach und schwindlig wie ein Kücken. Und als jene Zeit verstrichen war, kam ich zu einem hohen Berg, unter dem der Fluß verschwand; bei diesem Anblick fürchtete ich für mein Leben, denn ich dachte der Not, die ich auf meiner früheren Reise erduldet hatte, und gern hätte ich das Floß zum Stehen gebracht und wäre auf dem Bergeshang gelandet; doch der Strom übermannte mich und riß mich, wie in ein Tor, in den unterirdischen Lauf hinein; da gab ich mich verloren und sprach: ›Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen.‹ Aber nach kurzer Weile schon glitt das Floß wieder ins Freie hinaus, und vor mir sah ich ein weites Tal, in das der Strom mit einem Lärm gleich dem Rollen des Donners und mit der Geschwindigkeit des Windes hinabfiel. Ich klammerte mich an das Floß, denn ich fürchtete, von ihm fortgerissen zu werden, während die Wogen mich hierhin und dorthin schleuderten; und es schoß mit dem Strom hinab, da ich nichts tun konnte, um es anzuhalten oder zum Ufer zu wenden, bis es mit mir vor einer großen und herrlichen Stadt ankam, die in großer Pracht erbaut war und viel Volkes barg. Als diese Städter mich nun auf dem Floß erblickten,[448] wie ich mit dem Strom dahinschoß, warfen sie mir Taue zu, die zu halten ich die Kraft nicht hatte. Da warfen sie ein Netz aus über das Floß und zogen es mit mir ans Land, wo ich vor dem Übermaß der Furcht und des Hungers und der Schlaflosigkeit mitten unter ihnen wie tot zu Boden stürzte. Nach einer Weile aber trat aus der Menge ein hochbetagter Greis von ehrwürdiger Erscheinung auf mich zu, der mich willkommen hieß und viele schöne Kleider auf mich warf, mit denen ich meine Blöße bedeckte. Dann führte er mich ins Hammam und brachte mir stärkende Scherbette und köstliche Wohlgerüche; und als ich das Bad verließ, nahm er mich mit in sein Haus, wo die Seinen mir hohe Ehren erwiesen, indem sie mir einen schönen Sitz anboten und reiche Speisen vor mich hinstellten, an denen ich mich satt aß, indem ich Allah, dem Höchsten, für meine Rettung dankte. Und schließlich holten mir seine Knaben warmes Wasser, in dem ich mir die Hände wusch; und seine Sklavinnen brachten mir seidene Tücher, mit denen ich sie trocknete und mir den Mund abwischte. Auch wies mir der Greis in einem Flügel seines Hauses ein Gemach an, und er befahl seinen Sklaven und Sklavinnen, mir aufzuwarten, meine Befehle zu achten und für meine Bedürfnisse zu sorgen. Sie waren emsig in meinem Dienst, und drei Tage blieb ich bei ihm in dem Gastgemach, indem ich mich pflegte mit guten Speisen und gutem Trank und mit Wohlgerüchen, bis neues Leben in mir erwachte, meine Angst sich legte, mein Herz sich beruhigte und mein Geist wieder Frieden fand. Am vierten Tage aber kam der Schaikh, mein Gastgeber, zu mir und sprach: ›Du heiterst uns auf mit deiner Gesellschaft, o mein Sohn, und Preis sei Allah für deine Rettung! Sprich, willst du mit mir hinunterkommen an den Strand und in den Basar, und deine Waren verkaufen und ihren Erlös an dich nehmen? Vielleicht willst du dir dafür erstehen, womit du Handel treiben kannst. Ich habe meinen Dienern befohlen, deine Vorräte vom Meere einzuholen, und sie haben sie am Ufer aufgehäuft.‹ Ich schwieg eine Weile und sprach bei mir selber: ›Was bedeuten diese Worte, und was für Waren habe ich?‹ Und er fuhr fort: ›O mein Sohn, mache dir keine Sorge und keinen Kummer, sondern komm mit mir auf den Markt, und[449] wenn dir einer für deine Waren einen Preis bietet, der dich zufriedenstellt, so nimm ihn; doch wenn du nicht zufrieden bist, so will ich sie für dich in meinem Vorratshaus bewahren, bis sich eine passende Gelegenheit findet, sie zu verkaufen.‹ Ich aber dachte meiner Notlage und sprach bei mir selber: ›Tu, was er dir befiehlt, und sieh nach, worin diese Waren bestehen.‹ Und ich entgegnete ihm: ›O mein Oheim und Schaikh, ich höre und ich gehorche; ich darf dir in nichts widersprechen, denn Allahs Segen ruht auf allem, was du tust.‹ Da führte er mich in die Marktstraße, wo ich sah, daß er das Floß, das mich getragen hatte und das aus Sandelholz bestand, auseinandergenommen hatte, und ich hörte, wie der Ausrufer es zum Verkaufe ausbot. Da kamen die Kaufleute und öffneten das Tor der Gebote auf das Holz, und sie überboten einander, bis der Preis die Summe von tausend Dinaren erreichte; da aber ließen sie zu bieten ab, und mein Gastgeber sprach zu mir: ›Höre, o mein Sohn, dies ist der laufende Preis für deine Waren in schweren Zeiten wie unseren; willst du sie dafür verkaufen, oder soll ich sie für dich in meinem Vorratshause aufbewahren, bis die Preise wieder steigen?‹ ›O mein Herr,‹ erwiderte ich, ›das Geschäft liegt in deiner Hand; tu, wie du willst.‹ Fragte er: ›Willst du das Holz, o mein Sohn, mir verkaufen um hundert Goldstücke mehr, als die Händler dafür geboten haben?‹ Und ich erwiderte: ›Ja; ich habe es dir für empfangenes Geld verkauft.‹ Da befahl er seinen Dienern, das Holz in seine Vorratshäuser zu schaffen, und indem er mich in sein Haus zurückführte, ließ er mich Platz nehmen und zählte mir das Kaufgeld hin; dann tat er das Geld in Beutel, legte sie an einen geheimen Ort, schloß sie ein mit einem ehernen Schloß und übergab mir die Schlüssel. Ein paar Tage darauf sprach der Schaikh zu mir: ›O mein Sohn, ich habe dir einen Vorschlag zu machen, und ich hoffe, du wirst tun, was ich dich heiße.‹ Fragte ich: ›Was ist es?‹ Und er versetzte: ›Ich bin ein sehr alter Mann, und ich habe keinen Sohn; aber ich habe eine Tochter, die ist jung an Jahren und schön von Angesicht und begabt mit großem Reichtum und hoher Schönheit. Nun möchte ich sie dir vermählen, damit du bei ihr bleibest in diesem, unserem Lande, so will ich dich zum Herrn über alles machen,[450] was in meiner Hand ist, denn ich bin ein alter Mann, und du wirst bald an meine Stelle treten.‹ Ich schwieg vor Scham und gab ihm keine Antwort, bis er fortfuhr: ›Erfülle hierin meinen Wunsch, o mein Sohn, denn ich will nichts als dein Wohl, und wenn du nur tun willst, was ich dir sage, so sollst du sie gleich haben und mir sein als wie ein Sohn; und alles, was unter meiner Hand steht oder mir noch zuteil wird, soll dein sein. Wenn du Lust hast zu handeln und in deine Heimat zu reisen, so wird dich niemand hindern, und niemand wird über deinen Besitz verfügen können als du; also tu, was du willst.‹ ›Bei Allah, o mein Oheim,‹ erwiderte ich, ›du bist für mich geworden, was mein Vater mir war, und ich bin ein Fremdling, der viele Mühsal erfahren hat; und vor dem Übermaß dessen, was ich erduldet habe, ist mir weder Urteil noch Wissen geblieben. Deshalb steht es bei dir, zu entscheiden, was ich tun soll.‹ Da schickte er seine Diener nach dem Kasi und den Zeugen aus, und er vermählte mich seiner Tochter, indem er für uns ein großes Hochzeitsmahl und ein hohes Fest abhielt. Als ich zu ihr hineinging, fand ich ein Mädchen vollkommen an Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Ebenmaß, gekleidet in reiche Gewänder und bedeckt mit einem Überfluß an Schmuck und Halsbändern und anderem Zierat, aus Gold und Silber und Edelsteinen, der einen Schatz Geldes wert war und eine Summe, die niemand bezahlen konnte. Sie gefiel mir, und wir liebten einander; und ich lebte mit ihr in aller Freude und Tröstlichkeit des Lebens, bis ihr Vater aufgenommen wurde in die Gnade Allahs, des Allmächtigen. Da hüllten wir ihn in das Totenlaken und begruben ihn, und ich legte die Hand auf seinen ganzen Besitz, und all seine Diener und Sklaven wurden mein Eigentum. Ferner setzten die Kaufleute mich ein in sein Amt, denn er war ihr Ältester und Vorsteher gewesen; und keiner von ihnen hatte je etwas ohne sein Wissen und seine Erlaubnis erstanden. Jetzt aber ging seine Stellung auf mich über. Als ich nun mit den Städtern bekannt wurde, entdeckte ich, daß sie sich mit Beginn jedes Monats verwandelten; ihre Gesichter schrumpften zusammen, und sie wurden wie Vögel; sie breiteten Flügel aus und flogen in die oberen Striche der Himmelsfeste empor, und niemand blieb in der[451] Stadt, außer den Frauen und Kindern. Sprach ich zu meiner Seele: ›Wenn der Erste des Monats kommt, so will ich einen von ihnen bitten, mich mitzunehmen, wohin sie gehen.‹ Und als die Zeit kam und ihre Züge anders wurden und ihre Gestalt sich verwandelte, ging ich zu einem aus der Stadt und sprach zu ihm: ›Allah sei mit dir! Trage mich, auf daß ich mich mit den anderen ergötze und mit dir heimkehre.‹ Doch er versetzte: ›Das kann nicht sein.‹ Ich aber ließ nicht ab, ihn anzuflehen und zu belästigen, bis er endlich eingewilligt hatte. Dann ging ich mit ihm hinaus, ohne irgendeinem der Meinen oder einem meiner Freunde oder Diener ein Wort zu sagen, und er nahm mich auf den Rücken und flog mit mir hoch in die Luft empor, bis ich die Engel hörte, wie sie im Himmelsdom den Herrn verherrlichten; da staunte ich und rief aus: ›Preis sei Allah! Erhöht sei Allahs Vollkommenheit!‹ Und kaum hatte ich die Lobpreisung gesprochen, so schoß ein Feuer vom Himmel herab, das die ganze Schar fast verschlungen hätte; und alle entflohen und fielen mit Flüchen über mich her und warfen mich auf einem hohen Berge nieder und gingen davon und ließen mich dort allein, schwer wider mich ergrimmt. Und als ich mich in dieser Lage sah, bereute ich, was ich getan hatte, und machte mir Vorwürfe, dieweil ich unternommen hatte, wozu ich nicht imstande war, indem ich sprach: ›Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen! Kaum bin ich erlöst aus einer Trübsal, so verfalle ich einer noch schlimmeren.‹ Und ich verharrte in dieser Not, da ich nicht wußte, wohin ich mich wenden sollte; aber siehe, es kamen zwei Jünglinge daher, Monden gleich, die benutzten als Stäbe Ruten roten Goldes. Ich trat auf sie zu und begrüßte sie; und als sie meinen Gruß erwiderten, sprach ich zu ihnen: ›Allah sei mit euch beiden! Wer seid ihr, und was seid ihr?‹ Sprachen sie: ›Wir gehören zu den Dienern Allahs, des Höchsten, und wohnen in diesem Berge.‹ Und indem sie mir eine der Ruten aus rotem Golde gaben, die sie bei sich hatten, gingen sie ihrer Wege und ließen mich allein. Ich ging auf dem Bergkamm dahin, indem ich meine Schritte mit dem Stabe stützte und nachsann über die beiden Jünglinge, als, siehe, eine Schlange unter dem Berge hervorkam, die[452] einen Mann in den Kiefern trug, den sie bis über den Nabel hinweg verschlungen hatte; er aber schrie und sprach: ›Wer mich befreit, den wird Allah aus allem Unglück befreien!‹ Da trat ich zu der Schlange hin und schlug sie mit dem goldenen Stab auf den Kopf, worauf sie den Mann aus dem Maule auswarf. Da traf ich sie ein zweites Mal, und sie wandte sich zur Flucht. Er aber trat zu mir her und sprach: ›Da meine Befreiung von jener Schlange durch deine Hand geschah, so will ich dich nimmer verlassen, und du sollst auf diesem Berge mein Gefährte sein.‹ ›Willkommen,‹ erwiderte ich; und wir schritten den Berg entlang, bis wir zu einer Schar von Leuten gelangten; und als ich hinsah, erkannte ich unter ihnen eben den, der mich getragen und mich dort niedergeworfen hatte. Ich ging auf ihn zu, gab ihm gute Worte und entschuldigte mich bei ihm, indem ich sprach: ›O mein Gefährte, nicht also sollte ein Freund am Freunde handeln.‹ Sprach er: ›Du hast uns durch deine Lobpreisung fast ins Verderben gestürzt, dieweil du Allah auf meinem Rücken priesest.‹ Sprach ich: ›Vergib mir, denn ich wußte nichts von diesen Dingen, doch wenn du mich mitnehmen willst, so schwöre ich dir, kein Wort zu sprechen.‹ Da gab er nach und willigte ein, mich mitzunehmen, aber er machte es ausdrücklich zur Bedingung, daß ich, solange ich auf seinem Rücken säße, die Preisesformel nicht aussprechen, noch auch sonstwie Allah verherrlichen dürfte. Dann gab ich den goldenen Stab dem, den ich von der Schlange befreit hatte, und bot ihm mein Lebewohl; und mein Freund nahm mich auf den Rücken und flog wie zuvor mit mir dahin, bis er mich in die Stadt gebracht und mich in meinem Hause abgesetzt hatte. Mein Weib kam mir entgegen und begrüßte mich, indem sie mir Glück wünschte zur wohlbehaltenen Heimkehr und zu mir sprach: ›Hüte dich, noch einmal mit jenen Leuten auszuziehen, und verkehre auch nicht mit ihnen, denn sie sind Brüder der Teufel und wissen nicht, wie sie den Namen des Allmächtigen nennen müssen; auch verehren sie ihn nicht.‹ ›Und was tat dein Vater mit ihnen?‹ fragte ich; worauf sie erwiderte: ›Mein Vater gehörte nicht zu ihnen und tat auch nicht wie sie; und da er gestorben ist, so dünkt mich, du tätest besser daran, zu verkaufen, was wir besitzen, und Waren für den Erlös zu erstehen und in[453] deine Heimat und zu den Deinen zu reisen, und ich will dich begleiten; denn ich mache mir nichts daraus, in dieser Stadt zu bleiben, da meine Mutter und mein Vater tot sind.‹ Ich verkaufte also den gesamten Besitz des Schaikhs und harrte eines, der von dort nach Bassorah zu reisen gedachte, damit ich mich ihm anschließen könnte. Und als ich das tat, vernahm ich auch schon von einer Schar der Städter, die die Reise zu machen gesonnen war, doch kein Schiff zu finden vermochte; deshalb kauften sie sich Holz und erbauten sich ein großes Schiff, in dem ich mich mit ihnen einschiffte und ihnen die ganze Fracht bezahlte. Und als ich mich mit meinem Weibe und mit all unserer beweglichen Habe eingeschifft hatte (unsere Häuser aber und Ländereien und so weiter ließen wir zurück), gingen wir unter Segel, und wir fuhren mit schönem, günstigem Winde von Insel zu Insel und von Meer zu Meer dahin, bis wir wohlbehalten in Bassorah ankamen. Ich machte dort keinen Aufenthalt, sondern befrachtete gleich ein anderes Schiff, lud meine Waren um und brach nach Bagdad auf, wo ich in aller Sicherheit anlangte, mich in mein Quartier und zu meinem Hause begab und die Meinen und meine Freunde und Vertrauten versammelte und meine Waren in meinen Vorratshäusern aufspeicherte. Als nun die Meinen, die die Zeit meiner Abwesenheit auf dieser siebenten Reise berechnet hatten auf siebenundzwanzig Jahre, so daß sie alle Hoffnung auf mich hatten fahren lassen, von meiner Rückkehr vernahmen, da strömten sie herbei, um mich willkommen zu heißen und mir Glück zu wünschen zu meiner Rettung; und ich erzählte ihnen alles, was mir widerfahren war, so daß sie in höchstem Staunen staunten. Dann schwor ich das Reisen ab und gelobte Allah, dem Höchsten, nicht mehr auszuziehen zu Lande oder zur See, denn diese siebente und letzte Reise hatte mir die Lust an Reisen und Abenteuern benommen; und ich dankte dem Herrn (Er sei gepriesen und verherrlicht!) und segnete ihn, dieweil er mich den Meinen und meiner Heimat und meinem Hause zurückgegeben hatte. Erwäge nun, o Sindbad vom Lande (fuhr Sindbad der Seefahrer fort), welche Leiden ich durchgemacht und wieviel Gefahren und Mühsal ich erduldet habe, ehe ich meine jetzige Höhe erreichte.‹ ›Allah sei mit dir, o mein Herr!‹ erwiderte[454] Sindbad, der Lastträger, ›verzeih mir das Unrecht, das ich dir antat.‹

Und sie ließen nicht ab von ihrer Freundschaft und lebten als Gefährten in aller Freude und Lust und allem Genuß des Lebens, bis zu ihnen kam der Vernichter der Wonnen und der Trenner aller Gemeinschaft, der Erschütterer der Paläste und der Sammler für die Gräber, nämlich der Becher des Todes; Ruhm aber sei dem Lebendigen, der niemals stirbt!

Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 444-455.
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