[32. Kapitel]

Wie die Lalen das Graß auff einer alten Mawern durch jr Viehe wöllen lassen abätzen.

[114] Die Lalen waren ernsthafft in jhrem thun / sonderlich in betrachtung des gemeinen Nutzes / damit derselb allenthalb auffgieng vnd zuneme / vnd nirgend schaden litte. Auff ein zeit giengen sie hinauß / ein alte Mawern zubesehen / welche von einem alten Gebäwe noch vberblieben war / ob sie vielleicht die Stein davon zunutz anwenden könten. Nu war auff der Mawrn schön lang Gras gewachsen / das bedaurt die Bawren / daß es solte verlohren werden / vnd niemand zunutz kommen / hielten derowegen rhat / wie man es solte zuehren ziehen. Davon fielen nun vielerley meinungen: die einen vermeinten man solt es abmäyen /aber niemand wolt sich eins solchen vnterstehn / vnd sich auff die Mawern wagen: andere vermeinten /wann[114] Schützen vnter jhn weren / so were am besten /daß man es mit einem Pfeyl abschusse. Endlich wischet der Schultheß herfür / vnd rieth / man solt Viehe darauff lassen gehn / das wurde es abetzen / so dörffte man es weder abmäyen noch abschiessen.

Solchem rhat / als dem besten / fiel die gantze Gemeinde zu / vnnd zur dancksagung ward ferner erkant / des Schulthessen Kuh solt die erste des guten Rhates geniessen: welches der Schultheß gern gestattet. Also machten sie der Kuh ein starckes Seil vmb den halß /werffens vber die Mawren / vnd fangen sie [an] am andern orte zuziehen. Als aber der strick zugieng /fieng die Kuh an zuerworgen / vnnd wie sie schier hinauff kam / streckt sie die Zunge herauß. Solches sahe ein grosser Lale / der schrey: Zieht liebe Lalen zieht / Leib vnd Seel hangt an einander. Zieht noch ein mal / zieht / sprach der Schultheß / sie hat das Gras schon geschmeckt / vnnd die Zungen darnach außgestreckt. Zieht / zieht / sie ist bald droben: sie ist so tölpisch vnnd vngeschickt / daß sie jhren selberst nicht helffen kan: es solt sie ewer einer zu vollem hinauff stossen.

Aber vergebens wars / die Lalen konten die Kuh nicht hinauffbringen / liessen sie herab / da war sie todt. Deß waren die Lalen froh / nur daß sie etwas zuschinden vnd zumetzgen hetten.[115]

Quelle:
[Anonym]: Das Lalebuch. Stuttgart 1971, S. 114-116.
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