Achte Szene.

[29] Im Großvaterstuhl sitzt die alte Burgerlies mit Strickzeug, Geldtaschel und Schlüsselbund am Gurt. Neben am Tische sitzt Levy, den Hausierbündel neben sich auf der Bank, ein Glas Wein und Eßwaren im Papier vor sich.


LEVY steckt den letzten Bissen in den Mund, wischt mit dem Papier über den Tisch, rückt den Stuhl und schaut behaglich ins Freie. 's is doch a schöne Sach', Burgerlies, nach langer Zeit wieder da heroben bei Euch zu sitzen, unangefochten wie daheim, und hinabzuschau'n auf das Land. Gott, was for a reiche, weite Natur und was for arme beschränkte Leut' um sie.

LIES altes, aber kräftiges Mütterchen, weiße Scheitel. Mußt nit groß tun, Levy, bist a g'scheiter Mann, ich weiß; aber ich schau dir doch schon jahrelang zu, wie d' dein Fressen allweil im Papierl mitbringst, statt daß d' herob'n fein mit zulangst.[29]

LEVY. Kenn ich's denn riskier'n, daß ich komm ohne Proviant da ins Geberg' zu Euch? Könnt Ihr doch etwa hab'n an dem Tag nor a treefene Woor.

LIES. Na siehst, du bist selber so a Bauchfrummer und hätt grad dich für g'scheiter g'halten.

LEVY. Mein! Was hilft alle G'scheitheit gegen a alte Satzung? Mer werd's gewöhnt. Wer gibt mir a neuchen Mogen zu der neuen Speis'?

LIES. Mein lieber Levy, grad wie mit euere Mägen is's mit denen ihnere Köpf.

LEVY kopfschüttelnd. Möcht sein, Burgerlies, kenn vielleicht sein a Wahrheit. Aber ich muß Ihr sagen, seht Sie mir zu schon jahrelang, seh ich Ihr auch zu af kein kürzere Zeit. A gescheite Frau war Sie immer, aber Sie war nix e soi nachdenklich wie jetzt, hot jeden gelossen bei dem, was er denkt, und hat nix Ihre Meinung aufgedrängt. Das taugt nix. Burgerlies, for Ihr Geschäft taugt dos gor nix. Wollt Ihr alle Leut' e soi denken machen wie Ihr? Gott meiner Väter!

LIES. Laß mich aus mit 'n Gott der Väter, den habt's ös alte Schippeln doch nur für d' Weiber aufbracht, damit s' Zucht halten und nit auf d' Jüngern neben schau'n.

LEVY. Was ich sag? Sagt ein' andern so was, der Euch nix kennt, nehmt er's for übel und kümmt nix mehr. Trinkt. Is an angenehmer, milder Tropfen. Muß mer sich doch neuzeit gewöhnen, kommt mer zu Euch, daß abwechslich bald Ihr a Schneid habt, bald Euer Wein. Früher war Wein und Wirtschaft gleich angenehm. Mein, mir is noch erinnerlich, wenn ich vor so a Stück a fünf Jahr bei Euch bin eingekehrt, wie noch hat Eur' Tochter gelebt und wie die beiden Enkelkinder – der Bub' und das Madl, fünfzehn, sechzehn Jahr alt, a Paar prächtige junge Leut. – da in der Wirtschaft mitgeholfen haben – was is doch geworden aus die zwei, habt Ihr sie nimmer gesehen seither?

LIES. Weißt ja, nach der Vroni ihr'm Tod hat mir der Vormund 'n Buben nimmer lass'n, ich war ihm z'[30] gottlos, dem frummen Mann, und die Dirn hat mir a so a frummer Bauerssuhn abg'red't.

LEVY. Schad um die jung' Leut'. – War a schöne Zeit gewesen damal herob'n. Is mer gekimmen, hat alles gewimmelt von Gäst', mer is da gesessen unter de Pauern, hat einer ja angefangen zu sticheln und ein geheißen e Mauschel! Püh! Wie seid Ihr ihm da gefahren übers Maul. Alles hat gelacht, mer hat gelangt in die Tasch', hat gezahlt a Wein, da war der Frieden hergestellt, die Gläser haben geklungen und alles war wieder gut. Mein, aber jetzt –

LIES. Freilich, seit mein' Vroni tot is und die jung' Leut' weg, bin ich nur älter und tramhaperter word'n; dös dumm' G'sindel da herum feind't mich an, bin neamand mehr anständig, mir zum allerwenigsten, und haus' jetzt da herob'n allein mit ein einzig'n alten tauben Knecht.

LEVY. Drum seid Ihr auch geworden zu viel nachdenklich, und kommt emal einer, so sprecht Ihr Euch gern aus; aber es taugt nix, Burgerlies! Ich sag's nit weg'n mir, nein, ich komm zu Euch, solange uns beiden der Herr das Leben laßt, aber es tut mer weh, daß, kümm ich amol, ich find't da alles so leer, und es is a Ereignis, daß tagüber is eingekehrt bei Ihr a Jud'.

LIES. Der noch dazu 's Fressen im Papierl mitbringt! Da kann mer fett werd'n.

LEVY ernst. Werd't Ihr fett, Burgerlies, sagt emol aufrichtig, werd't Ihr fett von dem verdächtigen Volk, was bei Euch kehrt ein die Nacht über?

LIES gedämpft. Du meinst die Schwärzer? 's sein meine einzig'n Kundschaft'n, die da noch was sitzen lass'n; soll ich ihnen leicht die Tür weisen? Sie sein nit so uneb'n, sag ich dir! Dieb' und Rauber sein s' nit. Von Urzeit geht Berg und Tal in ein' Trum fort und die Grenzpfähl' sein nit wie die Bäum' aus der Erd' g'wachsen – und soll ich wohl dafür mehr zahl'n, weil die Spanfudler herenten dös nit z'weg'n bringen a so wie die Leut' da draußt? – Freilich hat's oft G'fahr, wenn einer kimmt: »Mutter Lies, versteckt's mich, sie sein hinter mir her!« Soll ich 'n ausweisen[31] in seiner höchsten Not? Ich kunnt's nit, ich weiß recht gut, ich verbesser mir nix in der Leut' Augen durch selb'n Zuspruch, aber im G'schrei bin ich früher schon g'wesen, auf a mehr oder minder kimmt's mir nit an, und die paar Jahrln, die mir noch b'schied'n sein, will ich doch noch leb'n können.


Vroni geht an dem Fenster vorüber.


LEVY hat Geld auf den Tisch gelegt, den Bündel genommen und reicht der Lies beide Hände. Und um das bissel Leben streitet Ihr Euch herum mit aller Welt? Weiß das, versteh Euch, Burgerlies, müßt nit selber sein an armer Teufel und obendrein a Jud', der in dem Land da muß sein Stück Brot suchen. – B'hüt Gott! Ab.

LIES nachrufend. Glück auf 'n Weg, Levy, und kehr fein wieder zu. Wischt an dem Tisch, wo er gesessen. Es klopft. Nur rein, wer draußt is!


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Der Meineidbauer. Stuttgart 1959, S. 29-32.
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