Zehnte Szene.

[70] Franz, die Schwärzer, dann Ferner.

Melodram

Gewitter, Sturm, Donner und Blitz. Leiser, eigenartig aufzufassender Marsch, unter dem die Schwärzer, mit großen Warenpäcken auf dem Rücken, oben über die Brücke marschieren (fünf bis sechs Mann), bis zur Mitte des Weges stumm.


ERSTER SCHWÄRZER. Sakramentisches Wetter, hurtig, wenn der Wald drüben nit den Wind auffanget, blaset's uns samt die Bündeln von der Wand runter. Schaut's zu, daß wir's in Rücken krieg'n.

FRANZ tritt auf von rechts. Ich find' mich nimmer zurecht – zurück weiß ich noch, doch was vorwärts liegt? Bis hierher ging es herab – hier geht's wieder aufwärts.


Der letzte Schwärzer in der Reihe ersieht ihn, die andern sind schon in der Kulisse.


ZWEITER SCHWÄRZER pfeift grell. He! Ös da unten, wart's a wen'g, der Steig is nur für ein' breit g'nug, wart's, bis wir unt' sein. Verschwindet. Mit dem Verschwinden schließt der leise Marsch.[70]

FERNER noch hinter der Szene. He, holla – Ferner Franz! – Franz!

FRANZ. Wer ruft? – Holla he!

FERNER stürzt in die Szene. Da war's! Bist du's, Franz?

FRANZ. Ihr treibt Euch noch da herum?

FERNER. Is unnötig, weiß's schon! Komm mit, kennst dich eh da nit aus, ich führ dich.

FRANZ. Ich brauche Eure Führerschaft nicht, unsere Wege gehen auseinander!


Musik nimmt den Marsch wieder auf.

Die Schwärzer marschieren langsam im Hintergrunde über die Szene.


FERNER zieht Franz noch mehr nach dem Vordergrunde, entschieden. Franz, du hast 'n Brief!

FRANZ. Wer sagt das?

FERNER. Die Dirn selber.

FRANZ. Ihr wart dort? – Nun, wenn sie's sagt, wird's wohl so sein!

FERNER. Na, wenn's so is, so gib ihn heraus!

FRANZ. Nein! Wendet sich.


Die Schwärzer sind von der Bühne verschwunden.


FERNER hält ihn zurück. Franz, um unser aller Seelenheil willen, trutz mir nur jetzt nit, gib ihn raus, den Brief, ich muß 'n hab'n. Schau, dein alter Vater bitt dich mit aufgehobenen Händen, treib ihn nit zur Verzweiflung; ich weiß nit, was alles g'schehen könnt, Franz, wo ich jetzt mich selber nit kenn, zwischen Furcht und Hoffnung.

FRANZ reißt sich los. Entschuldigt nicht schon früher, was etwa geschehen könnte – ich will's erwarten, was Ihr beginnt!

FERNER faßt ihn neuerdings. Du bleibst! Mir, dem Vater, hast z' g'horchen, so steht schon in der Heilig' Schrift.

FRANZ. Laßt mich, sag ich – ich hab mit Euch nichts mehr gemein.


Er stößt ihn von sich, daß Ferner an das Felsstück taumelt, welches Franz nun hinaufsteigt.


FERNER sich aufrichtend. Schuft, du vergreifst dich an mir? Du willst dein'm Vatern sein Unglück ausnutzen.[71] – Oh, daß ich dich damal lebig aus mein'n Händen lassen hab. Eilt gegen den Hintergrund.


Franz ist oben erschienen und schreitet gegen die Brücke vor.


FERNER aufschreiend. Bei allen Heiligen, Franz, wenn du nit stillhaltst und den Brief herausgibst, ich schieß dich herunter wie a Gems'!

FRANZ an der Brücke. Denk, daß die Finger an dem Schlosse deiner Büchse die Schwurfinger sind – und dann heb – hebe den Arm, wenn du kannst!

FERNER außer sich. Höllteufel! Schießt.


Franz fällt lautlos von der Brücke.

Furioso

unter dem Ferner nach dem Vordergrunde wankt.

Tremolo


FERNER zitternd mit verhülltem Gesicht. Oh, du mein Heiland, hat dös a noch sein müssen?! – Kleine Pause, läßt die Hände herabsinken. Er hat's selber nit anderscht woll'n, es is ihm völlig von Kind auf b'stimmt g'wesen durch meine Hand. – Tief liegt er jetzt unt' – der Wildbach reißt ihn mit – bis zum scharfen G'fäll dort über die Kanten bleibt kein Stuck von ihm ganz – den Brief verschwemmt's – den Aufweis gegen mich und den Mitwisser bringt keins mehr ans Licht. Dös is a Schickung, dös muß a Schickung sein. Kniet an der Martersäule nieder. Ich hab's ja ehnder g'wußt, du wurdst mich nit verlassen in derer Not! Seine Kräfte verlassen ihn, und er sinkt an der Säule mit den Händen abgleitend zu Boden.


Kurze Melodie, eine düstere Gebetform, in die sich der Marsch der Schwärzer verschlingt, welche oben, ein zweiter Zug, an der Brücke erscheinen.[72]


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Der Meineidbauer. Stuttgart 1959, S. 70-73.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Meineidbauer
Der Meineidbauer (Dodo Press)
Der Meineidbauer
Der Meineidbauer.
Der Meineidbauer
Der Meineidbauer

Buchempfehlung

Haller, Albrecht von

Versuch Schweizerischer Gedichte

Versuch Schweizerischer Gedichte

»Zwar der Weise wählt nicht sein Geschicke; Doch er wendet Elend selbst zum Glücke. Fällt der Himmel, er kann Weise decken, Aber nicht schrecken.« Aus »Die Tugend« von Albrecht von Haller

130 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon