Lied einer schlesischen Weberin

[17] Wenn's in den Bergen rastet,

Der Mühlbach stärker rauscht,

Der Mond in stummer Klage

Durch's stille Strohdach lauscht;

Wenn trüb die Lampe flackert

Im Winkel auf den Schrein:

Dann fallen meine Hände

Müd in den Schooß hinein.


So hab' ich oft gesessen

Bis in die tiefe Nacht,

Geträumt mit offnen Augen,

Weiß nicht, was ich gedacht;

Doch immer heißer fielen

Die Thränen auf die Händ' –

Gedacht mag ich wohl haben:

Hat's Elend gar kein End? –
[17]

Gestorben ist mein Vater, –

Vor Kurzem war's ein Jahr –

Wie sanft und selig schlief er

Auf seiner Todtenbahr'!

Der Liebste nahm die Büchse,

Zu helfen in der Noth;

Nicht wieder ist er kommen,

Der Förster schoß ihn todt. –


Es sagen oft die Leute:

»Du bist so jung und schön,

Und doch so bleich und traurig

Sollst du in Schmerz vergehn?« –

»Nicht bleich und auch nicht traurig!«

Wie spricht sich das geschwind

Wo an dem weiten Himmel

Kein Sternlein mehr ich find'!


Der Fabrikant ist kommen,

Sagt mir: »mein Herzenskind,

Wohl weiß ich, wie die Deinen

In Noth und Kummer sind;[18]

Drum willst Du bei mir ruhen

Der Nächte drei und vier,

Sieh' dieses blanke Goldstück!

Sogleich gehört es Dir!«


Ich wußt' nicht, was ich hörte –

Sei Himmel du gerecht

Und lasse mir mein Elend,

Nur mache mich nicht schlecht!

O lasse mich nicht sinken!

Fast halt' ich's nicht mehr aus,

Seh' ich die kranke Mutter

Und's Schwesterlein zu Haus'!


Jetzt ruh'n so still sie alle,

Verloschen ist das Licht,

Nur in der Brust das Wehe,

Die Thränen sind es nicht.

Kannst du, o Gott, nicht helfen,

So lass' uns lieber gehn,

Wo drunten tief im Thale

Die Trauerbirken steh'n! –
[19]

Quelle:
Louise Aston: Freischärler-Reminiscenzen. Leipzig 1850, S. 17-20.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon