Sechszehnter Auftritt.

[35] Frau von Habicht, die Vorigen und hernach die Bedienten.


FRAU VON HABICHT mit einem Pack Musikalien. Nu! Hier ist das Quintett. Es ist betittelt: die Entführung des Ganymedes. – Die Geschichte ist ohnehin bekannt; nämlich: Jupiter ließ Ganymeden, als er auf dem Berge Ida jagte, durch seinen Adler zu sich in den Himmel überbringen, und machte ihn zu seinem Mundschenk. – Der Dichter läßt in dieser trocknen Geschichte den Ganymedes mit seinem Gefolge auf zwey Schäfershütten stossen; in welchen zwey Nymphen, unter den Namen Chloe, und Daphne wohnten. – Ein zahmes Reh, welches Beyde für ihren Unterhalt ernährten, wird durch das Gefolge des Ganymedes gejagt. – Chloe und Daphne deßwegen in Angst und Schrecken versetzet, unterbrechen die Jagd. – Ganymedes durch die Anmuth der Nymphen[35] gerührt, verliebt sich in beyde. – Da jede unter wechselnden Zärtlichkeiten, den Wahlspruch des vor Liebe schmachtenden Ganymedes für sich erwartet; entführt ihnen Jupiters Adler den geliebten.

HERR VON BÄR. Die Handlung ist gut ausgedacht, und sehr überraschend

FRAU VON HABICHT. Hier sind die Rollen. Sie theilet die Rollen aus. Nannette! Sie übernehmen den Parte der Daphne. Giebt ihr den Parte. Ich behalte den Parte der Chloe. Legt ihren Parte auf die Seite. Sie Herr von Bär spielen die Rolle des Jägers Tirus, und Herr von Wolf, jene des Jägers Dardos. – Volpin aber übernimmt die Rolle des Ganymedes. – Ihre Bedienten machen als Treiber die Choristen. Sie giebt jedem seinen Parte.

HERR VON BÄR ruft. Peter! Jakob! Beyde kommen bey der Eintrittthür herein, er übergiebt ihnen ihre Rollen. Uebersehet dieses!

VOLPIN. Aber Euer Gnaden! ich bitte, daß ich mich waschen darf; und meiner Parte in die Kuchel vorher übersehen.

FRAU VON HABICHT. Waschen kann er sich; allein seinen Parte muß er wegen der Action mit uns übersehen. – Halt er sich nicht lange auf.

VOLPIN. Gut euer Gnaden! – werd ich gleich wieder da seyn. Im Abgehen, gegen das Publikum ganz leise. Dieser Geschicht ist mir a pro [36] pos – Muß die Lisel Verwirrung anstellen. Geht ab.

Hier fängt eine Symphonie pianissimo an, unter welcher die agirende ihre Rollen lernen, und sich in der Action üben. Nach einer Weile kömmt Volpino und übt sich ebenfalls in seiner Rolle. Nach geendigter Symphonie.


FRAU VON HABICHT. Ich hoffe, daß alle ihre Rollen hinlänglich wissen werden. Alle geben ein Bejahungszeichen. Nun dann, so stellen Sie sich vor, Sie sind hier in einer Gegend des Berges Ida: – Mein Zimmer stellt vor die Hütte der Chloe; jenes der Nannette die Hütte der Daphne: – Volpin als Ganymedes, bleibt bis auf sein Schlagwort in der Kuchel – Tirus und Dardos jagen mit den Treibern in diesem Zimmer herum – Ich als Chloe werde Anfangs aus meiner Hütte kommen, und die Jagd unterbrechen – Hernach kömmt Nannette als Daphne, und die Jagd wird noch mehr erschwächet. – Endlich erscheinet Ganymedes, und stellet die Jagd ein. – Dann fängt das zärtliche der Handlung an, bis die Entführung geschieht; – die wir aber aus Ermanglung der Maschine nicht vorstellen können.

Die Frauen begeben sich in ihr Zimmer; Volpin geht durch die Kuchelthür ab; die Jäger und Treiber rollen ihre Parti zu sammen, stellen sich in Ordnung, und es fängt die Jagd an.

[37] Schlußgesang des ersten Aufzugs.

Die Jäger, und Treiber jagen im Zimmer Herum.


CHOR.

Jagt fort! Jagt fort! Jagt lustig fort!

Hier ist zur Rast, zur Ruh kein Ort.

Jagt fort! Jagt fort! Jagt lustig fort!

Es lebe! der das Reh ermordt.


Frau von Habicht als Chloe kömmt ganz erschrocken aus ihrem Zimmer.


CHLOE.

Ach ich bitte! hält zurücke,

Ach! verschont das liebe Thier!

Das so zahm und ohne Tücke

Scherzte stundenweis mit mir.


Sie setzt sich bey ihrer Zimmerthür, und weint. Die Jäger zeigen sich etwas betroffen; und jagen wieder fort.


CHOR.

Jagt fort! Jagt fort! Jagt lustig fort!

Hier ist zur Rast, zur Ruh kein Ort.

Jagt fort! Jagt fort! Jagt lustig fort!

Es lebe: der das Reh ermordt!


Die Fräule, als Daphne, kömmt ganz ängstig aus ihrem Zimmer.
[38]

DAPHNE.

Haltet ein, läßt euch hewegen,

Menschen! Götter! wer ihr seyd?

Wenn ihr wollt dieß Reh erlegen,

Bin ich selbst zum Tod bereit.

Daphne setzet sich an ihr Zimmerthür und weint.

Die Jäger zeigen sich gerührt, hören auf zu Jagen, und singen langsam.


CHOR.

Sie weinen ja, jagt nicht mehr fort,

Hier ist zur Ruh, zur Rast der Ort.

Volpino als Ganymedes kömmt, besonders gekleidet, hochmüthig bey der Kuchelthür herein, etwas aufgebracht.


GANYMEDES.

Wer unterbricht die Jagd?

Tirus und Dardos zeigen ihm die weinenden Nymphen.


TIRUS.

Herr! steh, wer sich beklagt.

DARDOS.

Die habens untersagt.

[39] Chloe und Daphne gehen dem Ganymedes entgegen, fallen Ihm zu Füssen; Er aber hebt sie gleich auf.


GANYMEDES.

Jupiter! wis seh ich hier?

Schönste! warum weinet Ihr?

Saget mir: Ach! sagt mir gleich:

Wer Ihr seyd? – wie nennt ihr Euch?

CHLOE.

Ich heiß Chloe.

DAPHNE.

Ich heiß Daphne.

CHLOE UND DAPHNE.

Und bin hier,

Schäferinn von der Revier.

GANYMEDES.

Götterskinder sagt mir an,

Hat euch jemand Leid gethan?

CHLOE.

Herr stell' ein den rohen Scherz,

Deiner Jagd; worinn du bist,[40]

DAPHNE.

Wenn ja noch dein edles Herz, eines Mitleids fähig ist.

CHLOE UND DAPHNE, weinend.

Lasse unser Reh am Leben,

Und du hast uns all's gegeben.

GANYMEDES zärtlich.

Wer kann eurer Bitt ihr Schönen!

Unbeweglich widerstehn?

Wenn sich huldvoll eure Thränen

Reizend aus den Augen drähn.

GANYMEDES zu seinen Gefolg.

Meine Jagd sey eingestellt!

CHLOE UND DAPHNE freudig.

Welch ein Gnad, die uns beseelt!

GANYMEDES beyde umfassend.

Träfe itzt mein Wünschen ein,

Wünscht ich euer Reh zu seyn.

TIRUS UND DARDOS zusammen.

Freund hier keimet Hymens Lust.

Freund sie wächst in jeder Brust.

GANYMEDES zu den Nymphen.

Träfe doch mein Wünschen ein!

Wünscht ich – –

[41] Hier wird die Musik unterbrochen, denn die Lisel ersieht den Volpino. In Liebesunterhandlungen; lauft auf ihn zu: reisset Ihm die Kappe vom Kopfe, zeigt sich rasend, und schreyt.


Du höllischer Raudi Maudi! wirst du dich gleich in die Kuchel scheren, und wirst den Rauchfang kehren – Ich will dir Spienzeln, du schwarzer Teufel!


Volpino entwischt. Lisel zu ihren Frauen, ernsthaft.


Geben mir euer Gnaden keine Schuld, wenn im Rauchfang Feuer entsteht. Dann ich habe heute keine kleine Kocherey – ja – ja!


Lisel geht ganz hastig ab, alle stehen betroffen, und sehen ihr nach. Nach einer kleinen Pause.


HERR VON BÄR ganz einfältig. Euer Gnaden! soll dieß des Jupiters Adler gewesen seyn?

FRAU VON HABICHT scherzhaft. Nein. Dießmal war es ein Kucheldrach.

CHOR von allen.

Ein Kucheldrach,

ja! ja! ja! ja!

Berderbt die Sach.

Hä! hä! hä! hä!

Am End zu machen

Jä! jä! jä! jä!

Daß alle Lachen.

Hä! hä! hä! hä!

Ende des ersten Aufzugs.
[42]

Quelle:
Antonio Salieri: Der Rauchfangkehrer. Wien 1781, S. 35-43.
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