4. Die drei Blicke.

[50] Ein frommer Mann wurde einst gefragt: woher es komme, daß er, trotz allen Drangsalen des Lebens, doch solchen Gleichmuth in sich bewahren könne. Der antwortete: »das kommt daher, daß ich meine Augen wohl[50] in Acht nehme; denn alles Böse kommt durch die Sinne zum Herzen, aber auch das Gute.« Auf die weitere Frage, wie er das mache, sagte er: »Jeden Morgen, ehe ich an die Geschäfte und unter die Menschen gehe, richte ich meine Augen bedachtsam auf drei Dinge: erstens hebe ich sie gen Himmel, und erinnere mich, daß mein Hauptgeschäft und das Ziel meines Lebens und Strebens dort oben sei. Zweitens senk' ich sie zur Erde, und bedenke, wie wenig Raum ich bedarf, um einst meist Grab darin zu finden. Drittens endlich schau ich um mich, und betrachte die Menge derer, denen es noch schlimmer ergeht, als mir. Auf diese Art getröste ich mich alles Leides, und lebe mit Welt und Menschen zufrieden in Gott.«

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Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 2, Leipzig [um 1878/79], S. 50-51.
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