2.

[93] Ein Bauernbube aus Pfaffendorf, der im Wirthshause zu Brunnen bis in die späte Nacht gezecht und getanzt hatte, ging um die Mitternachtsstunde über den Freythof nach Hause. Da sah er, wie auf jedem Grabe ein Laken von einem Hemd an dem Kreuze hing, und er vermuthete gleich, was er oft von den Leuten gehört, daß die Geister aus ihren Gräbern gestiegen, um ein Tänzlein aufzuführen im Mondschein. Nun hatte er aber auch oft vernommen: daß, wenn sich dann ein Lebendiger mit gespreizten Beinen über das Grab stellt, der Geist nicht mehr in sein Grab zurück könne. Das wollte er in seinem trunkenen Uebermuthe versuchen, und er that's. Auf den letzten Schlag zwölf Uhr verschwanden nun alle Laken auf den andern Gräbern, nur auf dem, wo er stand, blieb es[93] hängen. Das war ihm ein Zeichen, daß er den Geist gebannt habe. Aber seine Schadenfreude dauerte nicht lange. Denn es befiel ihn eine große Angst, die immer mehr wuchs, so daß ihm schier die Sinne schwanden. Und er konnte auch nicht vom Grabe weg, so sehr er sich auch anstrengte und oftmals versuchte. Morgens früh, als der Meßner zum Gebetläuten kam, vernahm der ein Aechzen und Stöhnen vom Grabe her; er ging hinzu, und trug den halb todten Menschen hinweg, der jedoch bald darauf, nachdem er kaum noch gebeichtet, des Todes verblichen ist. Der Geist aber wird wol noch vor dem Gebetläuten in's Grab gekommen sein; denn es ward weiter kein Laken an dem Kreuz gesehen.

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Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 2, Leipzig [um 1878/79], S. 93-94.
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