Vierter Aufzug

[36] Inneres von St. Pietro in Vincoli. Nur die ewige Lampe brennt, aber wenn draußen der Karneval lärmt, huschen durch die Kirchenscheiben Lichter von Fackeln und Laternen herein. Im Hintergrunde das Juliusgrabmal, aus dem sich der Moses eindrucksvoll hervorhebt.


BRUDER.

Wie dank ich Gott, daß er dich finden ließ!

Komm, Fauste, hier herein, wo einst St. Petrus

In Fesseln lag, und laß uns beten, Bruder,

Für Rom und für die Kirche und für uns!

Was sahn und was erlebten wir! Wie helfen

Wir Armen, Schwachen, wenn auf Petri Thron

Der Heide sitzt! Was können wir, als beten?

Komm, laß uns beten!


Vertieft sich ins Gebet.


FAUST.

Zwar bist du eng, doch ehrlich bist du auch,

Und das tut wohl!


Steht still am Pfeiler.

Pause, während der man den Karneval-Lärm aus der Ferne hört. Dann durch eine kleine Tür der

greise Michelangelo mit seinem Diener, der ein Licht trägt. Sie gehn zum Moses.


MICHELANGELO am Gewande des Moses bemüht.

Halt's Licht mehr links, Augusto! So! Halt's ruhig,

Daß ich erkennen kann.


Meißelt.


Die Falt' im Stein

Hat mich im Schlaf gedrückt ...


Lärm draußen.


Ja, lärmt ihr nur:

Das wußt ich wohl, daß ich beim Karneval

Hier ungestört, wie in der Werkstatt bin ...


Sieht Augusto.


Ach so, du? Deiner Hilfe brauch' ich nicht mehr,

Dank schön! Geh' Freund, und schlaf' dich aus, Augusto!


Diener geht. Michelangelo in die Betrachtung der Statue vertieft. Wieder Lärm draußen. Zum steinernen Moses.


Hörst du's? Sie tanzen um das goldne Kalb!


Faust aus dem Dunkel hervor.
[37]

FAUST.

Ich knie hier nicht vor Euch, hinknie ich vor

Dem Geiste, der sich Eurer Hand bedient.

Ihr seid ein Mensch wie ich, nicht mehr als ich.

Vor Euren Werken aber spürt' ich Gott,

Denn Schaffen spürt' ich da.

MICHELANGELO.

Sein Schaffen spürt' ich

Auf Stunden. Was die Selbstqual mir im Hirn

Niemals erkämpfen konnte, noch des Herzens

Hinblutendes Gebet – dann war es da,

Und leicht, wie Wind die Schwanenfeder lenkt,

Regt' es den Meißel meiner armen Hand ...

In Stunden, seltnen Stunden! Aber sonst

Ist Dienst. – Wer seid Ihr, Mann?

FAUST.

Ein Sucher

Vom Norden.

MICHELANGELO.

Und Ihr sucht?

FAUST.

Das sagt mir Ihr:

Was suche ich?


Pause.


MICHELANGELO.

Ihr fragt, als wäret Ihr von meiner Art.

Doch wäret Ihr's, so wüßtet Ihr ja: wir,

Wonach wir suchen, wir erfahren's nie.

Der Wandrer weiß es, der sein Ziel erstrebt,

Der Arzt, der heilen will, der Richter, der

Urteilen muß, der Denker, den die Frage

Zur Antwort ruft, der Krieger, der den Feind

Besiegen will, der Künstler, der ein Bild

Aus Erz, aus Farben oder Steinen baut

Zu dem und jenem Zweck. Wir wissen's nicht.

FAUST.

Doch bautet Ihr und bildetet Ihr selbst![38]

MICHELANGELO.

Ich diente! Diente, wie die andern auch.

Wir sind ja nicht allein, uns nährt und kleidet

Und hilft und schmerzt und freut der andre Mensch ...

Der Nächste, sagt die Bibel. Wohl: wir dienen

Im Ausgleich ihm. Mein Ich, das dient ihm – mit,

Nun: dem, was uns gemeinsam.

FAUST.

Und es fragt

Nach Brudergeist, indem es sich bekennt.

MICHELANGELO.

Meist nennt man so, was ich Verlangen nenne

Nach Ehr' und Ruhm. Die schätzt' ich, als ich jung.

FAUST.

Wann wart Ihr glücklich?

MICHELANGELO.

Glücklich, gilt Euch das?

FAUST.

Wann lebtet Ihr am höchsten?

MICHELANGELO.

Ei, ich könnt'

Euch allerlei erzählen, daß Ihr Euch

Verwundertet, wie der, den alle preisen,

So kindisch sei. Einst stach mich eine Mücke,

Da fing ich sie, und wie ich sie besah,

Bestaunt ich erstmals ihren Wunderbau.

Saht Ihr, und wär' es von Cellinis Hand,

Ein Formerwerk wie diese Spinn' am Pfeiler?

Trug je der Papst ein Meßgewand, der Kaiser

Den Krönungsmantel edelschön wie dort

Ihr Kleid die Motte? Und der Menschenleib!

Mir ward einmal ein toter Mohr geschenkt,

Das Messer in der Hand, ging seinen Wundern[39]

Ich Tag' und Nächte nach – nie lebt' ich höher!

Mann: jede Form der Welt ist eine Kraft.

Erfaßt die Form und bildet sie in Euch,

In Euch hinein und dann aus Euch heraus, –

Und in Euch lebt die Kraft. Als ich Gestalten

Für jene Decke hinwarf, da hab' ich ...

Ja: Mensch auf Menschen aberhundertmal

Einströmen in mich fühlen, in mir sein.

Ich durft' sie bannen. Und sie leben noch.

Für mich. Für andre? Ach, die malten ab,

Krausten, verrenkten, trumpften, bliesen auf,

Und sagten: das ist Kunst. Wie viele Narren

Hab' ich gemacht!

FAUST.

Und gab das Gott?

MICHELANGELO.

Er duldet es, denn wißt:

Die Narren zählen nicht. Die Menschheit geht

Mit leisem Tritt durch ihr Geschrei. Fühlt einer,

Nur einer im Jahrhundert jenen Hauch

Der Gottheit, der durch mich ging, aus dem Werk,

Befruchtet's weiter auch die Kommenden.

FAUST.

Du Glücklicher, der das


Auf Moses hinweisend.


vollendet hat!

MICHELANGELO.

Jung war ich, und der edelste der Päpste

Vertraute mir sein Grab. Aus Marmorblöcken

Rief mich Gestalt an auf Gestalt: erlöse

Mich aus dem Stoff, damit ich sprechen kann!

Wo nur ein Höcker war im Stein, ein Fleck,

Erkannt' ich eine Seele, die mich rief.

Und wie sie mich umringten, ordnete

Sich Stimm zu Stimme und Gebild zu Bild,

Daß eine heil'ge Insel – nicht aus Stein:

Aus Licht sich hob, die Ewigkeiten sang. –

Was du hier siehst, ist ein geretteter

Schiffbrüchiger von dem, was ich verlor.[40]

FAUST.

Der aber ist vollendet ...

MICHELANGELO.

Das ist nichts,

Was noch den Weg durch Menschenseelen geht.

Wir stammeln weiter, was die Gottheit sprach.

Zehn Hiebe nur, die selber sie geführt,

Dann weg die Hand, denn ob du Bruchwerk nur

Und Wunden siehst, das, was sie will, das sagt's.

Ein andermal: Drei Jahre Müh' auf Müh',

Ihr nachzutasten, fühlst du, daß du's sollst –

Und daß du's sollst, bleibt alles, was du fühlst,

Und daß du tastest. Aber andern singt's.

Du sprichst von Brudergeist, nach dem du suchst?

Es sucht durch dich, das Unbekannte sucht,

Und sagt durch dich wohl, was du selbst nicht weißt,

Zu Unbekannten, wie der Funke springt,

Den Unbekannten, die es sucht. – Ich dien'.


Er fängt wieder an zu arbeiten. Draußen abermals Karneval-Lärm und Lichter, deren Scheine über Moses hinhuschen und sein Gesicht zum Drohenden beleben.


DER BRUDER tritt vor.

Komm, wir verstehn den Sonderbaren nicht,

Komm nun und laß uns weiterziehn, mein Faust!

FAUST vor dem Moses.

Furchtbarste der Gestalten, die nur Zorn

Und Kraft und Zorn, und nichts als Kraft und Zorn,

Hast du denn stets gedroht und drohst du stets?

Auch die zu Götzen beten, suchen Gott!

Wie find' ich denn den rechten, frag' ich nicht

Das, was im eignen Herzen wärmt und drängt?

Und äfft es mich, was äffte mich als das,

Wer äffte mich, als der es in mich tat?


Zu Michelangelo.


Dich, Sucher, Irrer, Finder, Meister – dich

Frag' ich: wie hör ich Gottes Stimm heraus,[41]

Die eine leise, echte, wenn die Welt,

Die er geschaffen, meiner eignen Brust

Die Antwort braust im Chor?

MICHELANGELO.

Ich dien'.

Vorhang.


Quelle:
Avenarius, Ferdinand: Faust. Ein Spiel. 3. Tausend, München 1919, S. 36-42.
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