388. Die Muttergottes am Wasserstein.

[343] Vor Zeiten diente zu Miltenberg, in einem Wirthshaus am Main, ein frommes Mädchen. Wenn abgängiges Essen da war, gab sie es den Armen, besonders am Samstage, zu Ehren der Muttergottes. Als die Wirthin es erfuhr, befahl sie, ungeachtet ihres Reichthums, der Magd, mit diesem Abgang ihre Schweine zu fütterrn. Um ein solches Gebot nicht befolgen zu müssen, bettelte das Mädchen in andern Häusern so viel Spülig für die Schweine zusammen, daß sie die übriggebliebenen Speisen auch fernerhin den Armen konnte[343] zukommen lassen. Damit aber ihre Frau es nicht mehr inne werde, mußten die Bettelleute abends spät, wenn die Magd noch allein in der Küche spülte, außen an den Wasserstein kommen; diesen schwenkte dann das Mädchen mit frischem Wasser rein, und schüttete hierauf das Essen zu ihm hinaus, welches die Leute mit ihren Geschirren auffingen und heimtrugen. Auf dem Wasserstein erschien der Magd öfters die Muttergottes mit dem Jesuskind auf dem Arme. Unterdessen fiel die Wirthin in eine lange, schmerzhafte Krankheit, woran sie, nach Empfang der Sakramente, verschied. Als, in der Nacht nach der Beerdigung, das Mädchen in den Saustall kam, fand sie darin ein fremdes, schwarzes Schwein mit den beiden andern fressen. Sie meldete es ihrem Herrn, der sich vergebens bemühte, das unbekannte Schwein durch Stoßen und Schlagen aus dem Stalle zu bringen. Hierdurch stutzig gemacht, ließ er zwei fromme Kapuziner vom Engelsberge kommen. Diese beschwuren das Schwein, zu offenbaren, wer es sei und was es wolle. »Ich bin die verstorbene Wirthin,« erwiederte dasselbe, »und muß hier in dieser Gestalt umgehen, weil ich die übriggebliebenen Speisen nicht den Nothleidenden, sondern den Schweinen geben wollte. Wenn mir aber die Magd die Hälfte der ›Vergelt's Gott!‹ schenkt, mit denen die Armen ihr für das abgängige Essen zu danken pflegten, so bin ich erlös't.« Hierauf herbeigeholt und von allem unterrichtet, schenkte das Mädchen gerne der Wirthin die verlangten »Vergelt's Gott!« wofür dieselbe dankte und dann auf immer verschwand. Nicht lange hernach starb die Magd eines seligen Todes.

Da sie die Erscheinungen der Muttergottes auf dem[344] Wasserstein geoffenbart hatte, so wurde das Wirthshaus in eine Marienkapelle umgewandelt, ein hölzernes Standbild der seligsten Jungfrau mit dem Jesuskind auf dem Arme, so wie sie dem Mädchen erschienen war, auf den Altar gestellt, neben diesem der Wasserstein eingemauert, und außen an der Wand der Schweinskopf und die Köpfe des Wirths und der Magd in Stein abgebildet.

Alsbald geschahen zu dem Mariabild Wallfahrten, und es leuchtete mit vielen Wundern. Diese Andacht ward im dreißigjährigen Kriege durch die Schweden gestört, welche das Bild in den Main warfen. Nachdem es etwa hundert Jahre darin gelegen, träumte in einer Nacht einem Miltenberger Fischer, Namens Zweibrück, er solle aufstehen und im Main sein Netz auswerfen, um das Muttergottesbild aufzufangen. Auf diesen Traum achtete Zweibrück nicht; aber, als derselbe in der folgenden Nacht sich wiederholte, stand er gleich auf, weckte noch einen andern Fischer, dem er die Sache erzählte, und ging mit ihm an den Fluß. Auf dessen Oberfläche sahen sie eine Stelle von einem goldnen Schimmer erhellt; sie schifften dahin, warfen ihr Netz aus, und als sie es wieder einzogen, fanden sie darin das Gnadenbild. Obschon es so lange im Wasser gelegen, war es doch unversehrt wie zur Zeit seiner Versenkung. Zweibrück nahm es mit sich, schnitt in dessen Rückseite mit einer Hippe seinen Namen und zeigte dann den ganzen Hergang an. Mit großer Freude und Feierlichkeit brachte man das Bild wieder auf den Altar der Kapelle, und die Wunder und die Pilgerfahrten erneuerten sich. Dessenungeachtet wollte man später die Kapelle eingehen lassen und stellte das Bild zweimal in die nahe Pfarrkirche. Beidemal aber kehrte es in die Kapelle zurück, und da[345] in dieser auch die Muttergottes selbst geläutet hatte, stand man von dem Abbruche ab. In neuerer Zeit hat er jedoch stattgefunden, und das Bild auf dem linken Seitenaltar der Pfarrkirche einen Platz erhalten, wo es geblieben ist. Schon einigemal ist dasselbe neu angemalt worden; es hat aber stets die Farben gleich wieder abgeworfen.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 343-346.
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