221. Der spukende Erbsendieb.

[178] In einem der Klein-Niendörfer Hofgebäude, in dem sogenannten Schweinehause, soll es Nachts nicht recht geheuer sein. Ein Geist soll dann dort sein Wesen treiben, gewaltig herumpoltern und toben und die in seinem Spukreviere sich gerade aufhaltenden Menschen gar sehr beunruhigen und necken. In diesem Schweinehause ist auch die sogenannte Rollkammer – nach der sich dort befindenden Zeugrolle so benannt – in welcher gewöhnlich zwei Betten stehen, worin öfter, wenn sonst kein Platz mehr auf dem Hofe ist, fremde Kutscher oder daselbst beschäftigte Handwerker aus der Stadt schlafen müssen. Von der Rollkammer führt eine Treppe auf den Boden des Schweinehauses, der durch eine Fallthüre verschlossen wird. Und wie noch heute gewöhnlich Korn auf diesem Boden lagert, so wurde dort auch schon früher immer solches aufbewahrt. Der Sage nach diente vor vielen Jahren ein Knecht auf dem Hofe, der es ganz ausgezeichnet verstand, sich des Nachts unbemerkt in die Rollkammer zu schleichen, von wo er dann auf den Boden stieg und für seine Pferde das beste Korn stahl. Die anderen Hofknechte zerbrachen sich viel den Kopf darüber, wovon es wohl komme, daß das Gespann ihres Kameraden immer so auffallend schön, voll und wohlgenährt aussehe, obgleich er doch auch nicht mehr Korn für seine Pferde bekam, als jeder[178] Andere. Oft stellten sie ihn dieserhalb zur Rede und verschwiegen dann auch ihm gegenüber nicht ihre Vermuthung, daß er sich gewiß Korn stehle; denn sonst, meinten sie, sei es nicht möglich, daß seine Pferde, die doch früher auch nicht besser als die ihrigen gewesen waren, jetzt so gut im Stande sein könnten. Beharrlich leugnete er aber stets seinen nächtlichen Diebstahl, und als eines Abends seine Kameraden wieder in ihn drangen und ihn mit Fragen und Bitten förmlich bestürmten, sagte er endlich, um sich Ruhe zu verschaffen ›Ne Jungns, ik stęl warraftig keen Kurn nich, und will't Knick bręken, wenn ik leegen do!‹ In derselben Nacht aber schon, als Alles schlief, schlich unser Knecht wieder auf den Kornboden. Schon hatte er sich einen ganzen Sack mit Erbsen vollgeschaufelt, schon lag derselbe auf seinem breiten Rücken und eben war er im Begriff, sich damit zu entfernen, als er plötzlich fehltrat und die Treppen hinunterstürzte. Am nächsten Morgen fand man ihn mit gebrochenem Genicke als Leiche auf den Dielen der Rollkammer liegen und ihm zur Seite den vollen Sack mit den gestohlenen Erbsen. Das bereits erwähnte Spuken stammt nun noch von diesem Knechte her, der noch immer keine Ruhe gefunden und daher allnächtlich umgehen soll. ›Oft ists – erzählte ein alter Töpfermeister aus Lübz, der da ebenfalls eine Nacht geschlafen, nachher sich aber ein anderes Nachtquartier gesucht hatte – als stürze etwas Schweres, etwa wie ein Sack mit Korn oder wie ein menschlicher Körper anzuhören, von dem Boden auf der Treppe herunter an die Erde.‹ Andern dort Schlafenden ist es passirt, daß sie durch Abziehen ihres Deckbettes geweckt wurden, und wenn sie sich solches wieder hinaufgezogen, ists ihnen immer wieder weggerissen worden, und zwar mit immer größerer Kraft und Gewalt.


Niederh. 1, 158ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 178-179.
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