485. Das Bild in der Nikolaikirche zu Rostock.

[355] Ein reicher Geizhals, der sein großes Vermögen wohl nicht auf ganz redliche Art zusammengebracht und wahrscheinlich die Armuth viel gedrückt hatte, glaubte durch ein Geschenk an die St. Nikolaikirche seine Sünden abbüßen zu können. Er ging deshalb zu einem Maler, mit dem er viel in Geldsachen zu thun hatte, und ließ von diesem ein Bild anfertigen, doch ohne vorherigen Accord. Als das Bild fertig war, ging der Geizhals wieder zum Maler, um es zu besehen und zu bezahlen, fand aber die geforderte Summe viel zu hoch. Da der Künstler den reichen Mann nicht erzürnen wollte und konnte, so mußte er es für die Hälfte des geforderten Preises weggeben und noch obendrein als Zugabe eine Unterschrift hinzufügen. Der Maler, welchem die Unterschrift zu wählen überlassen worden war, schrieb darunter: ›Recht thun währt lange!‹ wornach denn das Bild in der Kirche aufgehängt wurde. Das Bild wurde alsbald als ein vorzügliches Kunstwerk anerkannt, jedoch die Unterschrift nicht für passend gehalten, indem sie sich zu sehr auf die Persönlichkeit des reichen Geizhalses beziehe. Dieser hatte das Urtheil kaum gehört, als er auch schon zum Maler eilte, ihm heftige Vorwürfe machte und von ihm verlangte, statt dieser Inschrift die Worte der Maria zu setzen: ›Bei Gott ist kein Ding unmöglich!‹ Der Maler sagte ›Das kann ich machen, aber es ist zu mühsam; ich muß fast das ganze Bild neu malen und deshalb müssen Sie mir jetzt noch einmal so viel Geld geben, als ich schon bekommen habe.‹ Der Geizhals mußte nothgedrungen einwilligen. Der Maler aber überarbeitete die ersten Worte so meisterhaft, daß sie scheinbar nicht zu sehen waren, und setzte dafür die zweite Unterschrift; worauf denn auch das zweite Honorar gezahlt wurde. Unser guter Künstler hatte aber so geschickt gearbeitet, daß in der Kirche allenthalben die letzte Unterschrift zu lesen war, während man auf einer Stelle von nur wenigen Quadratfuß ganz deutlich die erste und nicht die zweite Inschrift sah.

Allgemein fand man, daß dies nun ein noch größeres Kunstwerk sei, und so wurde denn beschlossen – da auch der Geizhals[356] inzwischen verstorben war – daß es mit den beiden Inschriften so bleiben solle.


Kämmerarius H. Pintz bei Niederh. 3, 24 ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 355-357.
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