501. Der unverwesliche Ebersbach.

[366] In einem meklenburgischen Orte starb ein junger Mann, den man in Verdacht hatte, daß er seiner Braut die Treue gebrochen, mit Namen Ebersbach. Und wunderbarer Weise hielt sich der Leichnam frisch und roth und schien eher einem Lebenden, als einem Todten ähnlich, so daß die ganze Stadt von der wunderbaren Begebenheit erfüllt war. Nach vielen, vielen Jahren aber sollten die Gräber des Kirchhofes geöffnet und derselbe zu andern Zwecken verwendet werden; die Särge waren meist zerfallen, die Leichen zerstiebt und vermodert. Nur Ebersbach blühte auch jetzt noch in jugendlicher Frische. Da wurde denn für die Leiche ein neuer Sarg gemacht und er mit demselben nach der Kapelle gebracht, wo er noch jahrelang durch seine wunderbare Erhaltung die allgemeine Aufmerksamkeit von Einheimischen und Fremden erregte. So kamen auch eines Abends Gäste zu einem Gastwirthe, die die wunderbare, vielbesprochene Leiche gern[366] gesehen hätten; sie scheuten sich aber, bei nächtlicher Weile die Kapelle zu betreten und doch führte sie ihr Weg am nächsten Morgen gleich weiter. Gleichwohl glaubte der Wirth, dem Wunsche seiner Gäste entsprechen zu können; er hatte nämlich eine frische, kecke Magd in seinem Dienst, der es selbst nicht zu viel gewesen wäre, mit dem Teufel anzubinden, und diese erklärt sich in der That bereit, für ein gutes Trinkgeld den Gästen die Leiche selbst herbeizuschaffen. Gesagt, gethan. Sie eilt schnell zur Kapelle, schwingt sich Ebersbach auf den Nacken und bringt ihn ohne weitere Zögerung vor die erstaunten Fremden, die über ihren Muth fast nicht weniger in Verwunderung gerathen als über die so seltsame Leiche. Nachdem sie genug geschaut, erklärt die Magd ihnen, gleich den Leichnam wieder zurückbringen zu wollen, schwingt ihn sich auf den Nacken, und macht getrosten Muthes denselben Weg zum zweitenmal. Mitten aber auf dem Kirchhof hört sie, wie die Füße des Todten auf dem Boden nachschurren und gleich darauf vernimmt sie auch aus seinem Munde die Aufforderung, ihn etwas höher zu nehmen, damit seine Füße nicht den Boden berührten. Ruhig gehorcht sie dem Gebote und gelangt denn ohne Störung in die Kapelle. Als sie nun den Leichnam in den Sarg gelegt hat, spricht der Todte zu ihr: sie habe nun ihn aufgestört, sie müsse ihn jetzt auch erlösen. Gerne ist die Magd dazu bereit und hört nun von ihm weiter, sie solle gleich in die Kirche gehen, dort werde sie einen Brautzug und die von ihm verlassene Braut auf der Kanzel finden. Diese solle sie für ihn um Vergebung bitten. Sie geht hin, findet Alles, wie es Ebersbach gesagt, den Festzug, die predigende Braut; ihre Vergebung aber kann sie ihm nicht zurückbringen. Er heißt sie zum zweitenmale gehen; aber ebenso erfolglos. Zum drittenmale soll sie denn in seinem, in ihrem und in Jesu Christi Namen nochmals die Vergebung der Braut erbitten. Und nun gewährte sie die Verrathene und Verlassene. Als aber die Magd mit der tröstlichen Botschaft zurückkehrt, findet sie schon den Leichnam in Staub und Asche zerfallen; und in ihrer jugendlichen Keckheit tritt sie den Rückweg zu dem Hause ihres Dienstherrn an. Hier aber will sie Niemand kennen, und erst nach langer Erkundigung stellt sich heraus, daß vor vielen Jahren bei einem früheren Besitzer die Magd in nächtlicher Stunde zum Kirchhof gegangen, aber nicht[367] zurückgekehrt sei. Da erkennt die Zurückgekehrte, daß ihres Bleibens auf der Erde nicht mehr lange sei; sie bereitete sich fromm zum Tode und verschied nach drei Tagen.


Fr. Latendorf bei Niederh. 4, 64 ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 366-368.
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