604. Der Gedenkstein in Selow.

[430] An der Landstraße zwischen Bützow und Doberan liegt das Dorf Selow. In der Nähe desselben auf den Höhen stand in den Zeiten der Anfänge des Christenthums in Meklenburg eine Ritterburg und in dem eine halbe Meile entfernten Neuenkirchen wohnte ebenfalls ein Ritter. Beide Herren hatten in Selow eine gemeinsame Kapelle, die sich allmälig jedoch zu klein erwies, so daß zum Bau einer neuen Kirche geschritten werden mußte. Jeder der Ritter nahm für sich das Recht in Anspruch, die Kirche auf seinem Gebiete zu haben. Da man sich gütlich nicht einigen konnte, wurde beschlossen, daß ein Zweikampf entscheiden sollte. Beide kamen überein, an einem bestimmten Tage sich auf dem Kirchhof vor der Thür der Kapelle einzufinden, dann um die Kapelle herumzureiten und an der Stelle, wo sie einander begegnen würden, zu kämpfen, bis Einer falle; der Sieger solle dann auf seinem Gebiete die Kirche bauen dürfen und die Erben des Erschlagenen verpflichtet sein, alle erforderlichen Dienste beim Bau zu leisten. Der Ritter von Neuenkirchen ging als Sieger aus dem Kampfe hervor und baute nun in Neuenkirchen ein großes Gotteshaus. Kurz nach der Bestattung des gefallenen Ritters stand jedoch eines Morgens auf dem Grabhügel ein großer Stein aufgerichtet,[430] von dem Niemand sagen konnte, woher er gekommen. Der Stein steht noch, es ist Granit, der Kopf beinahe kreisförmig und hat zu beiden Seiten ohrenförmige Ansätze. Die Hauptseite des Steins ist nach Norden gerichtet. In der Rundung des Kopfes ist Christus am Kreuze erhaben ausgehauen. Auf der nördlichen Seite kniet in der Mitte eine männliche Figur, ohne Waffen und Schmuck, die Hände betend emporhebend. Ueber ihr ein geschlungenes Band mit der Inschrift: Anno domini 1399 in die beati Viti obiit Hermanus Lameshovet. Miserere mei domine. Den Stein wagte Niemand zu berühren, und auch als die Kapelle verfiel und der ehemalige Kirchhof sich in Acker verwandelte, blieb er unangetastet. So hatte er viele Jahre gestanden, als man einst des Morgens und später auch zu andern Tagesstunden eine schwarze Krähe darauf sitzen sah. Alle hielten dieselbe für einen bösen Geist und wer vorüberging, bekreuzte sich. Einstmals warf ein Knecht, der den Acker dort umpflügte, mit einem Steine nach ihr und traf den ohrenförmigen Ansatz des Kopfes, der herunterfiel. Die Krähe ward seitdem nicht mehr gesehen, der Knecht aber siechte dahin und starb noch denselben Monat. Das abgeworfene Ohr wird noch in einer daneben stehenden Scheune bewahrt.


Lehrer Pechel bei Niederh. 1, 172 ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 430-431.
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