459.

[118] Andere lassen den Kranken während der vierzehn Tage vom Vollmond bis zum Neumond ein ihm um Gottes Willen geschenktes Hemd tragen, welches, wenn jener ein Mann ist, von einer Frau sein muß, und umgekehrt. Nach Ablauf dieser Zeit wird das Hemd stillschweigend ausgezogen und vor Sonnenaufgang in einen Ameisenhaufen vergraben. Wenn der Geber und der Empfänger an einem und demselben Tage geboren sind, was eigentliche Bedingung, aber nicht immer zu erfüllen ist, hilfts jedesmal, sonst ›kann mans wenigstens versuchen‹. Der Kranke muß aber vorsichtig sein, er darf beim An- und Ausziehen des Hemdes, ebenso beim Gange nach und von dem Ameisenhaufen nicht sprechen.

Man kann nach der Volksmeinung die Abzehrung auch dadurch heilen, daß man dem Kranken Morgens nüchtern etwas Bier trinken läßt, welches über eine ›Adder, einen Schweinigel und eine Kröte‹ abgezogen wurde, ferner durch Bier, welches über Urtica dioica gestanden hat (hilft auch gegen Würmer).

Die Abzehrung ist übrigens eine Krankheit, welche sowohl dem Menschen wie dem Vieh gewöhnlich durch Böswilligkeit feindlich gesinnter Dritter beigebracht wird. Solches geschieht z.B., wenn sie das Rasenstück, auf dem Jemand mit bloßen Füßen gestanden oder ein Vieh gelegen hat (vgl. die Mittel gegen Diebe) an eine heiße Stelle bringen und eintrocknen lassen, oder wenn sie in die Fußspur eines Menschen Buchsbaum pflanzen, mit dessen Gedeihen jener abzehrt, oder wenn sie etwas von einem Dritten, Blut oder ein Stück vom Nagel oder ein Stück des mit Schweiß getränkten Hemdes in den Schornstein hängen u. dgl. m. Durch feindselige Handlungen dieser Art suchen Hexen theils aus bloßer Lust am Bösen, theils aus Rache und anderen Leidenschaften dem Nächsten zu schaden.


FS. 527 f.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 118.
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