1481.

[302] Wenn das Erntefest gefeiert wird, bringen die Mädchen ihrer Herrschaft den Erntekranz, ein kronenartiges Machwerk aus Laub, Moos, den verschiedenen Getreidearten, bunten Bändern und gewöhnlich zwei Puppen, Schnitter und Binderin darstellend. Zwei Mädchen tragen diesen Kranz auf einer Stange, die übrigen Mädchen begleiten sie. Eine der Trägerinnen spricht nachfolgendes Gedicht. Ein anderes der Mädchen präsentirt auf einem Teller Blumensträuße den anwesenden Personen.


Kranzlied.

Hier läßt sich ein neuer Kranz erscheinen,

Der alte soll abgelöset sein.

Hier bring ich Herrn N. und Madame einen neuen Ohrendkranz,

Diese Ohrend ist geschehen ganz.

Die Garben haben wir gebunden,

Den Kranz haben wir gewunden.

Haben wir die Garben nicht fest gebunden,

Viel fester haben wir den Kranz gewunden.

Dieser Kranz ist gemacht in der Nacht,

Dabei sind die Mädchen gewesen hübsch munter und wacht.

Dieser Kranz ist darum nicht gemacht,

Daß die Mädchen werden veracht.

Dieser Kranz ist blank und fein,

Dabei gehört uns Bier und Branntewein.

Wir möchten wohl sagen römischen Wein,

Es kann ja gar nicht möglich sein.

Wir müssen wohl bleiben auf der Erden,

Damit wir können geholfen werden.

Dieser Kranz ist gemacht von Distel und Dorn,

Darum sein die Herrn nicht unverlorn (?).

Dieser Kranz ist von Blumen und Blätter,

Der liebe Gott hat gegeben gut Wetter,

Gut Korn, gut Flas,

Künftig Jahr gibt der liebe Gott uns wieder das.[302]

Der liebe Gott gibt sie den Segen,

Daß sie künftig Jahr mit uns in Frieden leben.

Der Herr hat gelebt in Frieden und Recht,

Ueber ihn hat nicht zu klagen weder Mädchen noch Knecht.

So mennig gor Ohr,

So mennig gor Johr.

So mennig Garw, so mennig Last,

So mennig hunderttausend Thaler wünsch ich Herrn N. und Madam N. mit ihre Kinder in ihre Tasch.

Ich wünsch Herrn N. und Madam N. ein vergoldetes Hus,

Von Nelken ein Gang,

Von Rosen ein Bank,

Von Demant ein Thür,

Von Rosmarin ein Riegel dafür.

Ich wünsch Herrn N. und Madam N. ein vergoldeten Tisch,

Auf allen vier Ecken ein'n gebratenen Fisch,

Und in der Mitte ein'n Becher mit Wein,

Das soll Herrn N. und Madam N. mit ihre Kinder ihre Gesundheit sein.

Gestern Abend ging ich in meine Kammer und wollte stadiren,

Da kam ein junger Cavalier und thät mich faxiren.

Da hab ich gesessen, da hab ich geessen,

Da hab ich all mein Stadiren vergessen.

Juchhe! Ohrendkranz!

Hier kommen die jungen Gesellen,

Führen die Mädchen auf Tanz.

Sie wollen nicht sparen, weder Füße noch Schuh,

Diese Dęl hört Herrn N. und Madam N. zu;

Dieweil ich nicht kann kumplamentiren,

So will ichs mir künftig Jahr besser liren.

Dieweil ich nicht machen kann viel Wort,

Jetzt gehen wir mit dem Ohrendkranz fort.

Hab ich meine Sache nicht gut gemacht,

So hab ich zu bitten, daß ich nicht werde von die ganze Gesellschaft ausgelacht.


Mitgetheilt von Marie Flöring in Kl.-Luckow. Durch Domänenpächter Behm.
[303]

Vielfach wird diesem Gedicht für jeden der Hausgenossen ein Wunsch hinzugefügt, als z.B.


Der Köksch wünsch ich 'n goldnen Kamm,

Künftig Johr 'n krummpucklichen Mann.

Der Erzieherin wünsch ich einen schieren Mann,

Womit sie fein glücklich leben kann.

Wir wünschen dem Wirthschafter ein goldnes Pferd,

So as es nur sein Herz begehrt.

Wir wünschen Herrn N. einen goldenen Wagen

Da soll er mit seiner Herzallerliebsten in jagen etc.


Behm.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 302-304.
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