Dritter Auftritt

[321] Vorige. Pönches tritt auf.


HERMINE nähert sich. Nun will ich –[321]

PÖNCHES schiebt sie bei Seite. Herr Sekretär, ich bin ein Reisender. Mein Name ist Pönches. Ich komme aus dem Orient. Werden gütigst von mir gehört haben. Ja? Da der Sekretär verneinend den Kopf schüttelt. Schön. Ich komme aus dem Orient. Waren Sie viel auf Reisen, Herr Sekretär?

SEKRETÄR. Meine Amtsgeschäfte erlauben mir nicht – Aber was steht zu Ihren Diensten, Herr Pönches? Was suchen Sie im Handels-Ministerium?

PÖNCHES immer vorlaut. Eigentlich nichts. Ich bin ein unabhängiger Mann, ein reicher Mann. Ich habe nur Eine Passion: das Reisen. Ich komme aus dem Orient. Schon als Kind reiste ich. Es lag einmal der Trieb in mir. »Früh übt sich, was ein Meister werden will.« Wie's heißt im Wilhelm Meister.

SEKRETÄR. Darf ich fragen, was Sie eigentlich bei Sr. Excellenz –?

PÖNCHES. Im Augenblick, Herr Sekretär. Bedenken Sie gütigst, daß ich so ein zehn Jährchen auf Reisen war, im Orient – da erfährt man so Manches, nicht wahr? Besonders, wenn man ohne Zweck reist, wie ich. Ich reiste nach dem Orient ohne alle vorgefaßte Meinungen, und komme zurück nach dem Occident – auch ohne Meinungen. Ich habe keine politischen Ansichten, keine religiösen Tendenzen, kurz gar keine Tendenzen. Ich reise nur, um zu reisen: objektiv – durch und durch objektiv! Aber insofern ich ein Subjekt bin, sammle ich subjektive Notizen: ich reise also subjektiv-objektiv. Ich kenne den ganzen Orient. Ich weiß alles Orientalische, Alles Türkische, Ägyptische. Z.B. Se. Excellenz fragen mich: »Sagen Sie mir, Pönches, was ist denn der Mehemed Ali eigentlich für ein Mann?« So antworte ich: »Euer Excellenz, so und so – der Mann ist nicht so übel, – die Einen loben ihn zu viel – die Andern tadeln ihn zu sehr – aber eigentlich ist er so.« – Das wäre nun die subjektiv- objektive Anschauung von dem Mehemed Ali. Was sagen Sie, Herr Sekretär?

SEKRETÄR. Man sieht den Mann, wie er leibt und lebt.

PÖNCHES. Nicht wahr? Ich kann Ihnen den Ibrahim Pascha eben so beschreiben, Herr Sekretär.

SEKRETÄR. Nicht möglich!:

PÖNCHES. Ja, denn ich kenne den Orient, den ganzen Orient. Ich bin viel als Verstorbener; darin herum gereist. Sie wissen, das ist jetzt die modernste Art zu reisen. Denn warum? Ein Verstorbener braucht sich nicht zu geniren, hat keine Trinkgelder zu geben; man verlangt keine besondere Artigkeit von ihm; ein Verstorbener kehrt überall ein, in Hütten und Pallästen; besonders im Orient. Da ist die Gastfreundschaft zu Hause. Was meinen Sie, Herr Sekretär? Womit traktirt der Orient seine Gäste? Was setzt er ihnen vor? – Etwa Thee mit Butterschnitten, wie in einem deutschen Liederkränzchen? Beileibe! Süßes Hammelfleisch, gekochten Reis, getunkte Früchte, duftigen Mokka- Kaffee und gelben Tabak in langen Pfeifen – und wenn so ein Verstorbener abreist, werden ein Paar niedliche Kamehle mit allerlei Komfort beladen, um die Reise durch die Wüste schmackhaft zu machen. Die Karavane lagert sich in einer Oase, unter Dattelbäumen, im üppigen Grase, am sprudelnden Quell; die Zelte werden ausgebreitet, das Feuer knistert, die Hammel braten, und bald ist unter den Wendekreisen ein leckeres Mahl fertig, wie im Hotel Baur in Zürich. Herr, da verlohnt's der Mühe zu reisen! Und das Alles kostet nichts, als ein Paar lobende Artikel in der allgemeinen Zeitung. Wer sollte sie nicht schreiben! Wer wollte nicht für solche Hospitalität einen Kannibalen und halben Menschenfresser gerührten Herzens mit Titus dem Gütigen und Marc Aurel vergleichen!

SEKRETÄR. Verzeihen Sie, Herr Pönches, allein meine Zeit –

PÖNCHES. Sehr wohl, Herr Sekretär. Aber noch Eins! Was halten Sie von der Sklaven-Emanicipation? Dumme Idee? Nicht wahr? Ob Einer in den Zuckerplantagen, oder in einer englischen Spinn- Fabrik sich zu Tode arbeitet, ist am Ende gleichviel – oder nicht? Und dann – es ist doch Poesie in der echten Sklaverei! So ein schwarzer Mensch, der alle Tage gespießt werden kann, bleibt immer ein poetischer Vorwurf. Und nun vollends eine Sklavin! Ich will nicht ruhen, bis ich eine schwarze Sklavin besitze. Ich will sie bilden. Sie soll Whist spielen lernen und Quadrille tanzen, sie muß die tutti frutti und den Vergnügling lesen, und »hoher Herr« zu mir sagen, wie das Käthchen von Heilbronn. Wenn ich dann im Thier-Garten Arm in Arm mit ihr spazieren gehe, ein kleiner Mohrenknabe hinterdrein mit dem Sonnenschirm, und ein gezähmter Löwe – im Nothfall mit einem[322] Maulkorb – Herr, dann bin ich ein gemachter Mann, und repräsentire die Weltbildung meines Jahrhunderts.

SEKRETÄR. Ohne Zweifel! Aber die Zeit verstreicht –

PÖNCHES. Adieu, Herr Sekretär. Haben der Herr Sekretär nichts nach dem Orient zu bestellen?

SEKRETÄR. Nicht das Geringste.

PÖNCHES. So will ich gehen, Herr Sekretär.

SEKRETÄR. Leben Sie wohl.

PÖNCHES. Herr Sekretär –

SEKRETÄR. Um's Himmels Willen, was haben Sie noch?

PÖNCHES. Ein lieber ungeduldiger Mann, der Herr Sekretär! – Ich wollte Ihnen nur sagen – im Vertrauen, mit Nächsten reise ich nach China. Ein interessantes Land das China – seit der chinesischen Frage. Ueberhaupt – ein Land wird erst dann interessant, wenn es in Frage gestellt wird. Ich bin neugierig, wann es einmal zu einer deutschen Frage kommen wird? Das heißt: wir fragen schon lange, aber Niemand antwortet. Nicht wahr, Herr Sekretär? In vierzehn Tagen komm' ich wieder, um Seine Excellenz zu fragen, nämlich ob Sie mich brauchen können – aber ich hoffe, Sie werden mich ja brauchen können – denn ich bin ohne alle Tendenzen und ich kenne den Orient. Empfehle mich, Herr Sekretär. Ab.


Quelle:
Dichtung aus Österreich. Anthologie in drei Bänden und einem Ergänzungsband, Band 1, Wien und München 1966, S. 321-323.
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