Sechster Auftritt.

[48] Cherubin. Gräfin. Susanne.


SUSANNE mit einer Coiffure zurückkehrend. Ein Siegel? Wozu das?

GRÄFIN. Unter sein Patent, das man ihm schon eingehändigt hat. Ist der Kopfputz da?

SUSANNE. Der hübscheste, den ich finden konnte. Nun, knie Er einmal nieder, – nicht da, – dicht vor der gnädigen Gräfin, damit sie Ihn genau betrachten kann. Cherubin kniet auf einem, von Susannen gebrachten Kissen. Sie setzt ihm den Kopfputz auf. Nein, wie prächtig ihm das steht!

GRÄFIN. Seinen Kragen lege ein wenig weiblicher zurück.

SUSANNE an ihm musternd. So. Sehen gnädige Gräfin, was der Taugenichts für ein reizendes Mädchen geworden ist. Ich bin ganz eifersüchtig auf ihn. Sie kneipt ihm Kinn und Wange. Will er wohl nicht so hübsch sein!

GRÄFIN beschäftigt sich, zurückhaltend, mit ihm. Wenn wir ihm die Aermel etwas aufschlügen, daß die Spitzen besser sichtbar werden! Streift den Aermel des Pagen zurück. Ach, was trägt er denn da um den Arm gewickelt? Ein Band?!

SUSANNE. Obendrein das Band der gnädigen Gräfin. Ich bin froh, daß sie es selbst sieht. Wäre der Herr Graf nicht gekommen, so hätte ich es dem Spitzbuben sicher wieder abgejagt; ich nehme es in Stärke mit ihm auf.

GRÄFIN erschrocken. Was seh' ich? An dem Bande ist Blut!

CHERUBIN zögernd. Als ich heute mein Pferd aufzäumte, um abzureisen, ritzte ich mich an einer Schnalle.

GRÄFIN. Aber wer verbindet sich denn mit einem Seidenband?

SUSANNE. Noch dazu mit einem geraubten! Was er für weiße Arme hat! Wie eine Frau! Wahrhaftig weißer als meine eigenen! Wollen gnädige Gräfin nicht vergleichen?

GRÄFIN abweisend. Hole mir lieber englisches Pflaster und eine Scheere. Susanne giebt im Abgehen dem Pagen einen kleinen Stoß, so daß er wieder vor der Gräfin in die Knie fällt.[48]

GRÄFIN nach einer Pause, während deren Cherubin, dreister werdend, sie bittend und zärtlich angeblickt. Mein Band, mein Sohn, hättest du nicht nehmen sollen. Sie thut böse. Ich bin ernstlich ungehalten darüber. Cherubin sieht sie traurig an, worauf sie begütigend fortfährt. Der Farbe wegen miss' ich es nicht gern.

SUSANNE mit Scheere und Pflaster in einem Etui zurückkehrend, das sie der Gräfin darreicht. Verbinden wir nun die schweren Wunden unseres Helden.

GRÄFIN die Susannen wieder entfernen möchte. Hole indessen deine Kleider herüber und bringe auch ein anderes Band mit. Susanne, mit dem Mantel des Pagen, durch die Thür im Hintergrunde, neben dem Alkoven, ab.

CHERUBIN immer knieend, vor der Gräfin, welche sitzt. Das Band, das man mir nimmt, würde mich über Nacht geheilt haben.

GRÄFIN. Nicht doch! Englisches Pflaster thut bessere Dienste.

CHERUBIN. Die Frau Pathin wissen das nicht: nichts heilt so rasch wie ein Band, das Jemand getragen hat, der uns ... Stockt.

GRÄFIN rasch einfallend. Der uns fremd ist? Das wußt' ich in der That nicht. Aber ich werde es an diesem Bande versuchen, wenn sich einmal Jemand im Hause geschnitten hat.

CHERUBIN weinerlich. Sie nehmen mir mein theures Band weg, und fort soll ich auch.

GRÄFIN. Auf kurze Zeit nur!

CHERUBIN in Thränen. Ach, ich bin recht unglücklich!

GRÄFIN. Er weint. Gewiß denkt er an Figaro's schreckliche Prophezeiung.

CHERUBIN. Daß sie sich erfüllte, daß ich augenblicklich und hier sterben müßte. Vielleicht fände ich dann den Muth, zu gestehen, was ich fühle.

GRÄFIN gerührt. Sei doch still, armes Kind, sei still. Sie trocknet ihm mit ihrem Tuche die Thränen ab. Wenn du wüßtest ... Es wird an die Thür links gepocht. Wer klopft?[49]


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 48-50.
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Figaros Hochzeit oder Der tolle Tag
Die Figaro-Trilogie: Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht / Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit / Ein zweiter Tartuffe oder Die Schuld der Mutter