Dritter Auftritt.

[109] FIGARO allein.


Er geht heftig auf und nieder und spricht in düsterem Tone:


O Weiber, Weiber, Weiber! schwaches, und doch in Ränken so starkes Geschlecht! Falschheit ist deine Natur, Täuschung dein Beruf! – Mir schlug sie ab, hierher zu kommen, als ich sie darum bat; und – ihm gewährt sie es in demselben Augenblick, wo sie mir feierlich ewige Treue schwört! Er lachte, da er das Brieflein las, und ich stand dabei wie ein Dummkopf. Es schlägt zehn Uhr auf dem Schloßthurm. Er schreit auf. Zehn Uhr! Ihre Stunde, mein Herr Graf! Aber kommen Sie nur, suchen Sie, – Susannen sollen Sie doch nicht finden! Weil Sie ein großer Herr sind, bilden Sie sich ein, auch ein großer Geist zu sein! Geburt, Reichthum, Stand und Rang machen Sie stolz. Was thaten Sie denn, mein Herr Graf, um so viele Vorzüge zu verdienen? Sie gaben sich die Mühe, auf die Welt zu kommen; das war die einzige Arbeit Ihres ganzen Lebens, dessen übrigen Theil Sie als ein ziemlich gewöhnlicher Mensch verpraßt und verprunkt haben! Ich dagegen, das Findelkind aus dem Volk, habe meinen Weg auf eigenen Füßen machen müssen. Um mein Brod zu verdienen, das harte, trockne Brod, habe ich oft in einem einzigen Tage mehr Verstand gebraucht,[109] als die gesammte Regierung der Königreiche von Spanien und Navarra in hundert Jahren. Und Sie wollen sich mit mir messen?! Sie – mit mir, hahaha! Indem er lauscht. Sie kommt ... Nicht doch ... Niemand. Die Nacht ist pechschwarz, und ich spiele hier die einfältige Rolle des Ehemanns, obgleich ich noch keiner bin. Er wirft sich auf die Bank. Giebt es ein seltsameres Geschick als das meinige? Zigeuner stehlen mich, ehe ich von meinen Eltern eine Ahnung habe. Ich entlaufe ihnen, ihres unstäten Vagabundenlebens überdrüssig. Ich suche, strebe, ringe nach einem ehrlichen, anständigen Beruf, und finde alle Wege verschlossen, alle Thüren gesperrt. Mit der Guitarre auf dem Rücken durchwandere ich Spanien, singe maurische Volkslieder auf den Jahrmärkten und heidnische Schelmenstücklein in den Straßen der Städte. In Madrid nimmt der Gesandte des Kaisers von Marocco Anstoß an meiner Kunst; ich habe seinen Glauben verletzt, klagt er, seinen Propheten gehöhnt. Man weist mich aus, – voll Rücksicht und Ehrfurcht für den Sultan, der in seinen Staaten die Christenhunde nach Herzenslust pfählen läßt, ohne daß nur eine Bitte für sie laut zu werden wagt. Weil man den Geist nicht erniedrigen kann, rächt man sich durch Mißhandlungen an ihm. – Die Noth brach herein, ich hungerte, hatte Schulden. Schon sah ich die abscheulichen Gerichtsdiener heranrücken; verzweifelnd raffe ich mich auf. Es war eine Frage an der Tagesordnung: über die Nationalreichthümer, und da man gerade nicht zu haben braucht, worüber man schreibt, schrieb ich, ohne einen Heller in der Tasche, über den Werth des Geldes. Alsbald öffnet sich für mich – das Thor eines Kerkers; ich verliere Hoffnung und Freiheit. Er springt auf. Hätte ich doch hier einen der Mächtigen des Tages, die so leichtsinnig einen Menschen mißhandeln, der nur die Wahrheit sagt. Müde, mich zu ernähren, wirft man mich endlich hinaus. Ich greife wieder zur Feder, werde Schriftsteller. Man sagte mir, Spanien habe Preßfreiheit und ich könnte, natürlich unter Aufsicht von zwei, drei Censoren, schreiben, was mir beliebte, wenn es nur nicht gegen den Staat wäre, oder gegen den Hof, gegen die Kirche, gegen die guten Sitten und schlechte Beamte, gegen privilegirte Tänzerinnen ..... Um diese kostbare[110] Freiheit zu verwerthen, begründe ich eine Zeitung und nenne sie, damit ich Niemandem Konkurrenz mache: »Unnütze Blätter.« Pah – tausend arme Schlucker stehen gegen mich auf, ich bin wiederum ohne Stelle, ohne Brod. Verzweiflung faßt mich. Man denkt mir ein Amt zu; unglücklicher Weise besitze ich den dafür nöthigen Verstand, erhalte es also nicht. Ein Rechner wurde gesucht, – ein Tänzer angestellt. Mir blieb nur noch übrig zu stehlen: ich ward Spieler, hielt Bank. Darauf – über die ehrlichen Leute – werde ich eingeladen und von Standespersonen aufgenommen, die mir die Hälfte meines Gewinnes abnehmen. Ich hätte es zu etwas bringen können, denn ich begann einzusehen, daß zum Fortkommen in der Welt Wissen weniger nöthig ist, als Manieren. Aber da Alles um mich her vom Raube lebte und doch verlangte, ich sollte ehrlich sein, ging ich abermals zu Grunde. Nun hatte ich's auf Erden satt; zwanzig Fuß Wasser sollten mich erlösen, als ein glücklicher Zufall mich zu meinem ersten Handwerk zurückführte. Ich griff wieder zum Scheerbeutel, zum Streichriemen, wanderte als Barbier von Ort zu Ort und lebte endlich ohne Sorgen. Ein vornehmer Herr fand und erkannte mich in Sevilla, der Graf Almaviva. Ich verhelfe ihm zu einer Frau, er stiehlt mir dafür die meinige. Darüber Sturm und Wetter. Ich bin dem Abgrund nah, im Begriff, meine eigene Mutter zu heirathen, als mir auf einmal meine Eltern entgegenkommen. Wiederum Zank, Streit, Sturm: er ist es, ich bin es, nein, ja, ja, nein! Er fällt wieder auf die Bank. Wunderliches Geschick; warum mir dieses und kein anderes auf das Haupt gefallen? Warum dieses gerade mir? Kaum weiß ich, was mein Ich ist, mit dem ich mich so viel beschäftige: eine formlose Mischung unbekannter Elemente, dann ein kleines, hülfloses Wesen, ein leichtsinniger Knabe, ein lebenslustiger Jüngling, zum Genusse mit allen Kräften drängend, alle Berufsarten aufgreifend, nur um leben zu können, bald Herr und bald Diener, wie es dem Zufall beliebt, ehrgeizig aus Eitelkeit, fleißig aus Noth, aber träge von Natur und mit Wonne! Schönredner bei Gelegenheit, Dichter zur Erholung, Musiker nach Bedarf, Liebhaber aus Laune! Alles habe ich gesehen, gethan, genossen. Jede Täuschung ist geschwunden,[111] ich bin nur zu sehr erwacht .... O Susanne, Susanne, welche Qualen du mir bereitest! Ich höre Schritte; man kommt. Der entscheidende Augenblick ist da.


Er zieht sich in die Coulisse zurück.


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 109-112.
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Ausgewählte Ausgaben von
Figaros Hochzeit oder Der tolle Tag
Die Figaro-Trilogie: Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht / Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit / Ein zweiter Tartuffe oder Die Schuld der Mutter