XXV. Die Luftjagd.

[102] Schwebt hoch herauf ihr Geister aus tiefem Bergesschacht,

Und leibet euch Gewänder der alten Mitternacht;

Leiht von dem Sturmwind Stimme, leiht Flügel vom Orkan,

Und sucht euch in den Lüften der Meteore Bahn! –


»Mephisto!« donnert Faustus: »Mephisto, sei zur Hand!

Und um mein Elend hänge der Freude Prachtgewand!

Und meine Unlust kleide mit Lust, mit Lust mein Leid,

Je mehr ich dulde, leide, je heller sei mein Kleid!«


»Ausbreite Deinen Mantel zur Luftfahrt, auf Gesell!

Und führe mich nach Leipzig windschnell, gedankenschnell!

Dort im Gewühl der Menge will ich, ein Krämer, schrein:

Wer kauft mir ab den Jammer, wer löst mir ab die Pein?«


»Ja, bringe mich nur eilig zur schönen Lindenstadt,

Dort sieht an heitern Bildern das Auge sich nicht satt.

Vielleicht dass meine Seele dort Heiterkeit empfängt,

Und dass ihr Strahl die Schatten des Grames mir verdrängt!« –[102]


Zwei seltne Gäste hegte die Lindenstadt zugleich,

Zwei Herrscher, die gebieten in einem Geisterreich.

Von Norden kam der eine, Faustus voll innrer Qual,

Von Süden kam der andre, aus Rom ein Cardinal.


Mit Ehr' und Pomp den zweiten empfängt der Magistrat,

Es fährt im goldnen Wagen der Cardinallegat.

Den frommen Herrn verlanget den ersten Gast zu schaun,

Ihn würd' ein Zauberkunststück mehr als ein Psalm erbaun.


Es stand am Hof des Papstes Magie gar hoch im Preis,

Und mancher heilge Vater weiht' ihr den regsten Fleiss.

Die Herrschaft über Geister ist lockend, reizesvoll,

Wie lange Rom sie übte, weiss die Geschichte wohl. –


Der Bäume Wipfel rauschen im wilden Rosenthal,

Dort geht in ihrem Schatten Faust mit dem Cardinal.

Von tiefen Dingen reden sie heimlich und vertraut,

Und wandeln im Gehölz hin, bis Abenddämmer graut.


»Und soll ich, Faustus, glauben, was Euer Mund mir sagt,

Und ist an Euch die Bitte nicht allzukühn gewagt,

So lasset mir ein Probstück von Euerm Zauber schn!«

So Jener – Faustus neigt sich, und spricht: »Das soll geschehn.«


Bald tost ein dumpfes Brausen hoch überm Rosenthal,

Und Geisterschaaren nahen in ungeheurer Zahl,

Ein ferner Hornklang tönet mit tiefem Klagelaut,

Verwundert und erschüttert steht der Prälat und schaut.[103]


Und zwischen Hirsch und Eber, und Reh, und Wolf und Bär,

Schwebt mit verzerrtem Antlitz manch Menschenbild daher.

Wie Heulen der Verzweiflung, wie Stimmen aus der Gruft,

So gellt und schallt ein Zetern betäubend in der Luft.


Bald hoch auf zu der Höhe der Wolken wogt die Schaar,

Bald nach den Baumeswipfeln treibt sie Prästigiar;

Bis sie zur Ferne schwinden, bis fern der Schall verweht,

Und einsam bei dem Magus der Sohn der Kirche steht.


»Wie seid ihr mächtig Faustus!« der Priester nun beginnt:

»Reich ist, wer Eure Freundschaft, wer Eure Gunst gewinnt.

Nicht einen Zaubrer wüsst' ich, der so die Geister bannt,

Und der gleich Euch begabt ist, erhabner Nekromant!«


»Folgt mir nach Rom! Wir ehren geheime Wissenschaft,

Dort winken schönre Ziele für Eure hohe Kraft!

Der Ehre reichste Kränze blühn Euch, o Faustus, dort,

Zum Stuhl des heilgen Vaters geleit' ich Euch sofort.«


Doch Faustus neigt sich höflich und redet mit Verstand:

»Mir blühn genug der Ehren in meinem Vaterland.

Es soll dem Papst nicht dienen, wer einem Herrn gebent,

Vor dem sich oft demüthigt des Papstes Heiligkeit.«


»Einst hab' ich nach den Kronen des Ruhmes heiss begehrt,

Der Lichtkranz der Bewundrung schien mir so wünschenswerth.

Nun hab' ich Ruhm, doch achtet mein Herz der Kränze kaum,

Mein Dasein ist umnachtet von einem schweren Traum.«[104]


»Ich rief herauf die Geister aus tiefer Höhlen Schacht,

Mein eigner Geist geht unter in noch viel tiefrer Nacht.

Und wie der Stromfall fortreisst den ruderlosen Kahn,

Hinstürm' ich ruh – und rastlos zum Abgrund meine Bahn.« –[105]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 102-106.
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Faustus. Ein Gedicht
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