XXXIX. Zweite Prophezeihung.

[157] »Und mehr von künftgen Thaten les' ich im Zukunftbuch,

Und vor mir aufgeschlagen ist mancher düstre Zug,

Dass ich kaum weiss zu deuten, was dort mein Auge trifft;

Die Schrift im Buch der Zeiten ist Hieroglyphenschrift.«


»Krieg ist das Spiel der Kön'ge, Krieg ist ein schönes Schach,

Drauf jeder Zug ein Feldzug, das spielt sich ganz gemach.

Drauf jeder Schlag 'ne Schlacht ist, das mag recht lustig sein,

Und auf blutrothen Feldern jeder Stein ein Leichenstein.«


»Dort schwingt ein Hahn die Flügel, sein Kamm ist blutgeschwellt;

Es fliegt sein lautes Krähen furchtbar durch alle Welt.

Und was er kräht, klingt Freiheit! und Freiheit! hallt es nach,

Durch alle Lande rollend wie lauter Donnerschlag.«


»Stets ist ein neuer Götze willkommen blindem Wahn;

Er würgt ihm Menschenopfer und betet knie'nd ihn an.

Er färbt sich roth sein Käpplein im Opferblut, umtanzt

Den Freiheitsbaum, den Wahnsinn auf Königsgräber pflanzt.«[157]


»Da schwebt ein Aar herüber vom Felseninselhorst,

Der stählt die jungen Schwingen im starren Lanzenforst.

Der schleudert nach den Bäumen der Freiheit kühn den Blitz;

Todt liegt der dumme Schreier, der Hahn, am Herrschersitz.«


»Und weil der Aar die Blitze so gut zu schleudern weiss;

Und ihn das Volk vergöttert, dünkt er sich selber Zeus.

Und setzt, denn solchen Aaren ist Kühnstes schon erlaubt,

Die Krone der Cäsaren auf sein gewaltges Haupt.«


»Doch ist der Aar ein Raubthier, taugt nicht ins Hühnerhaus;

Er streckt nach Süd- und Nordland die scharfen Krallen aus.

Für sich und sein Geschwister trägt er viel Raub ins Nest;

Ihr Königsgeier haltet nur Eure Kronen fest!«


»Nur nicht zu hoch, mein Adler, zu tollkühn nicht den Flug!

Der Flügel wurde treulos, der Ikarus einst trug;

Der schmolz in Gluth. O dass Du die Flügel nicht verlierst,

Und wahre wohl die Schwingen, dass Du sie nicht – erfrierst!«


»Ha, wie die Völker ringen, wie's gen den Adler zieht,

Der mit gelähmten Schwingen grimmvoll zur Heimath flieht!

Wie Schlachtendonner tosen, wie Völker Freiheit schrein!

Nun nach dem kranken Löwen schlägt auch das Eselein!«


»Da fallen Königskronen herab vom Zeitenbaum;

Da wird's leer auf den Thronen, drauf mancher sass im Traum.

Ein König soll nicht träumen, sonst wird sein Land nicht froh;

Nicht stets den Joseph findet ein Träumer-Pharao.«[158]


»Einst werden Kön'ge träumen von einem heilgen Bund,

Den Frieden zu befesten auf diesem Erdenrund;

Wie locker auch die Parze des Bundes Faden spinnt,

So lange bleibt's doch Frieden, – bis neuer Krieg beginnt.«


»Und einen Phönix seh' ich, der steigt aus Asch' und Brand;

Und von zersprengten Ketten fliegt heller Klang durchs Land.

Und wieder nennt sich Freiheit ein flammendes Panier,

Wo das auch wird entfaltet, Blut kostet's dort, wie hier.«


»Und ob die Herrscher blinzeln hin in das Morgenlicht,

Den Phönix ganz zu retten verstattet Klugheit nicht.

Was will der Wundervogel? Ziemt ihm ein Diadem?

Den Halbmond lasst in Frieden, stört nicht das Weltsystem!«


»Dort äfft ein neuer König dem alten Nero nach,

Ein schlechter Histrione, den Schande trifft und Schmach.

Dort werden Herrscher flüchtig, und Freiheit ruft's auf's Neu.

Die wird durch alle Lande das laute Feldgeschrei.«


»Die Menschheit steht erwartend der Dinge, die geschehn;

Und schaudernd soll ihr Auge das Ungeheure sehn.

Dort wüthen Krieg und Flammen, dort Pest und Hungersnoth,

Und über Völkergräbern frohlockend tanzt der Tod.« –


»O Freiheit, wahre Freiheit, Du hohes Ideal,

Wann bricht durch Nacht und Grauen Dein schöner Segensstrahl!

Wann leuchtet allen Geistern Dein gottentflammter Stern?

Zeit, der die Völker harren, bleibst Du noch lange fern?«[159]


»Du Freiheit, wahre Freiheit des Geistes und des Lichts,

Du bist der Hort der Völker, und nur an Dir gebrichts!

O komm, Du Gottgeborner, Du Weltmessias, komm,

Und mache froh die Menschheit, und glücklich, gut und fromm!« –


»Nichts mehr von künftgen Tagen les' ich im Zukunftbuch,

Die Blätter sind verdunkelt von Völkerblut und Fluch.

Auch nichts von bessern Zeiten mein Aug' erblicket hat;

Die bessre Zeit, die steht wohl auf einem andern Blatt.« –[160]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 157-161.
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