XLV. Verzweiflung.

[181] Wach auf, wach auf! Was liegst Du so träg, fast leblos da?

Wach auf Du Gottverworfner, Dein letzter Tag ist nah!

Ob grausendes Entsetzen Dir durch die Nerven bebt,

Dein Sand ist ausgelaufen, Faustus hat ausgelebt!


»Weh mir! Weh mir! Was wollt ihr, ihr Stimmen schwarzer Nacht?

Ihr, die mit furchtbar'm Weckruf mein Herz erzittern macht?

Und die Gedanken zittern, zerstäuben, kreiselnd drehn?

Wie wird mir! Wehe, wehe! – Ist's schon um mich gescheh'n?«


»Halt! Wartet noch ein wenig! Dort – noch ein Körnlein Sand!

Halt! Schüttelt an der Uhr nicht! Lasst stehn sie, wo sie stand.

Habt Ihr so eilig, Teufel! Könnt Zeit erwarten nicht,

Bis sie zu Scherben schmettert, bis sie in Splitter bricht?« –[181]


»Es trägt der Baum des Lebens verschiedne Blüth' und Frucht;

Die einen sind gesegnet, die andern sind verflucht!

Auch die verfluchten schimmern, geschmückt von Gottes Hand,

Doch innen sind sie Moder, Gewürm und Asch' und Brand!«


»Ich bin die Frucht Gomorras, die in sich selbst zerfüllt,

Der Wüste Koloquinte, die Süssigkeit vergällt.

O bitter, bitter alles, ein giftiger Genuss!

Mein Honig ward zur Galle, längst Lust zum Ueberdruss!«


»Von Ewigkeit bestimmt sein zu solch endloser Qual,

Das nenn' ich Vatergüte, das nenn' ich Gnadenwahl!

Fluch ihr, die mich verflucht hat! Die mich verworfen! – Wie?

Wir haben uns überworfen, verworfen sie mich – ich sie!« –


»Ich bin verflucht! Das ist es; vom Anbeginn verflucht!

Verflucht, eh' ich erzeugt ward! Hab' ich denn Gott versucht?

Hab' ich denn Gott gelästert? – Es ist kein Kind so rein;

Nur der Bestimmung folgt' ich, und muss verloren sein!«


»Bestimmung! Wort, das flammend die Welten überweht,

Du bist die ehrne Pforte, durch die das Leben geht!

Durch Himmel fliegen Sterne, süss tönt ihr Flügelschlag,

Sie kommen still gehorsam, all' der Bestimmung nach.«


»Auch ich! Auch ich, ich komme! Ruft ihr, und ist's nun Zeit?

Ich bin zum letzten Gang schon, bin zum Triumph bereit!

Schmück' Hölle Deine Hallen mit hellem Flammenschein,

Und lass Dein Heulen schallen, gleich zieht Dein König ein!«[182]


»Ich, ich – ich bin Dein König! Mir Deine Krone, mir!

Wie glühend glänzt der Goldreif, des Hauptes stolze Zier!

Den Herrscher stürz' ich nieder, dem dieses Reich gehört,

Nicht vor dem Teufel zittert, wer sich gen Gott empört!«


»Ich Faustus, ich Dein König! Schreibt es ans Firmament,

Dass hell die Schrift den Herrscher der Welt ins Auge brennt!

Ruft es in allen Landen laut aus, und kommt heran!

Könnt ihr auch beten, Teufel? Vor mir dann betet an!«


»Von mir ist schon geweissagt! Ich bin der Abbadon!

Ich bin des Abgrunds Engel, bin der Apollyon!

Ein Schänder, ein Verderber – vom Richter schon gerichtet,

Ein nichtig Nichts, ein Giftstaub, vom Hauch des Herrn vernichtet!« –


»Ich habe Dich gelästert, zerschmettre mein Gebein!

Und Donnerkeile schleudre, lass sie Vernichtung sein!

Raff' mich in Windeswirbeln hinweg! Du warst mir Spott!

Nimm Rache durch Vernichtung, mein – nein, nein, nicht mein Gott!« –


»Wie's auf der Stirn mir kalt liegt, wie feuchtes kaltes Eis!

Wie die Gedanken brennen, so glühend, glühendheiss!

Wer will Gedanken kaufen? Wer giebt mir Gift darum?

Ha denken, denken! Wehe, das Denken bringt mich um!«


»Gebt mir ein Schwert, zu spiessen im Hirn die Mückenbrut,

Die mir mit ihrem Summen so weh, so wehe thut!

Oh! – Ha, dort seh' ich blinken und winken scharfen Stahl!

Komm, hülfreich Messer, ende die Qual mit einemmal!«[183]


»Leb' wohl, mein süsses Leben! Leb' wohl, Ade! Ade!

Rasch! – Oh, da sinkt die Waffe, da lahmt die Hand! O weh!

Ich kann nicht sterben, soll nicht! Das Werkzeug widerstrebt;

Was höhnt ihr mich? Ihr rieft doch: Faustus hat ausgebebt!« –[184]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 181-185.
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