143. Der Hund des Jan von Nivelle

[115] Zu Nivelle geschah es, daß Bouchard V., Herr von Montmorency, das Kloster von Sankt Gertrud besuchte, dessen Äbtissin gleichsam als die Herrin der Stadt angesehen wurde, und dessen Fräulein morgens geistliche, abends aber weltliche Kleidung trugen, auch, wenn es ihnen gefiel, das Kloster verlassen und heiraten konnten. Eines dieser Klosterfräulein gefiel dem Herr von Montmorency über die Maßen wohl, er liebte es und ward wieder geliebt, doch konnte er es nicht ehelichen. Die Frucht dieser Liebe war ein Sohn, der empfing den Namen Jan von Nivelle, und als derselbe herangewachsen war, schenkte oder kaufte ihm sein Vater ein kleines Gut mit einem Schlößchen, und der junge Herr zog abenteuernd in der Welt umher, erkämpfte manchen Dank und erwarb am Hofe Gottfrieds des Beherzten auch die Liebe einer schönen Dame, die ihm willig zu folgen verhieß, als er ihr antrug, ihm auf sein Schlößchen bei Nivelle zu folgen. Er setzte seine Angebetete hinter sich auf das Pferd, sein treuer Hund lief nebenher, und so ritten sie miteinander eine gute Strecke und wechselten manch süßes minnigliches Wort. Siehe, da kam ein stattlicher und schöner Ritter dem Jan von Nivelle entgegen, der bot ihm nach abenteuernder Ritter Brauch so gleich Kampf an und forderte, daß er mit ihm um die Dame eine Lanze brechen solle, und wer obsiege, dem solle sie gehören.

Jan von Nivelle war tapfer genug, um keinem Abenteuer sich zu entziehen, hier aber sprach er: Weshalb soll ich kämpfen um das, was schon mein ist? Die Jungfrau wird wohl wissen, wem sie folgen will, sie allein mag entscheiden, wem sie gehört, nicht Schwert und Lanze! – Wohlan, edle Jungfrau, so entscheidet Ihr! sprach mit höhnischem Blick auf Jan von Nivelle der fremde Ritter, und siehe, die Jungfrau sprang vom Roß herab und ließ sich von dem Fremden auf das seine heben, sei es, daß dieser ihr besser gefiel, sei es, daß sie bereits im Einverständnis mit ihm war. Jan von Nivelle verlor über diese Treulosigkeit kein Wort; er grüßte seinen Gegner nach Rittersitte und ritt mit seinem Hunde weiter, nachdenkend über des Weibes Art und Launen. Er war aber noch gar nicht weit geritten, so kam sein Gegner ihm nachgesprengt, der die Schöne einstweilen seiner harren ließ, und rief: Meine Herrin hat gar ein großes Wohlgefallen an Euerem Hunde, edler Ritter! Wolltet Ihr mir den lassen ohne Gefährde? Außer dem müßten wir dennoch einen Gang miteinander tun.

Jan von Nivelle blieb auch bei dieser sehr wenig bescheidenen Forderung ganz[115] ruhig und erwiderte: Ich habe die Jungfrau nicht gehalten, nach eigener Wahl zu handeln, ich halte auch meinen Hund nicht; wen von uns zweien er erwählt, der nehme ihn hin. – Des war der Ritter sehr erfreut und lockte den Hund und bot ihm gute Bissen, aber der bleckte die Zähne gegen ihn und knurrte ihn grimmig an und wäre ihm vielleicht gleich in das Gesicht gesprungen, wenn sein Herr ihn nicht abgerufen. Dieser lenkte jetzt ohne Gruß sein Roß von dannen, der Hund schoß mit freudigem Bellen an ihm vorbei, und jener Ritter wandte sich beschämt zu der Jungfrau zurück, die an Treue der Hund beschämte. Das ist der Sagenstoff zu Bürgers Gedicht Das Lied von Treue.

Es hat auch noch einen Jan Nivelle den Zweiten gegeben, der machte Bekanntschaft mit dem Zauberer Heinrich Cornelius Agrippa, und da dieser einst durch Nivelle kam, lud er ihn gastlich auf sein Schloß und bewirtete und herbergte den berühmten Mann allda auf das köstlichste, erzählte ihm die vorstehende Geschichte und wünschte sich auch einen so treuen Hund. Zum Danke verehrte Agrippa dem Schloßherrn einen schwarzen Hund – den haben viele für einen schlimmen Geist gehalten, und der Hund hatte einen ganz geheimnisvollen Namen, und niemand kannte ihn als sein Herr, Jan von Nivelle, allein. Diesen Hund mochte rufen und anlocken, wer da wollte, er hörte auf niemand als auf seinen Herrn. Dieser Jan von Nivelle-Montmorency soll der Großvater des Grafen Horn gewesen sein, der mit Egmont in Brüssel zugleich enthauptet wurde. Seine Mutter war Gudula Vilain von Gent.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 115-116.
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