Capitul I
Nimmt seine Captationem benevolentiae vom Schulgehen

[7] So jemand glaubt, ich komme, ihn mit diesem traurig zu machen, der wird sich weit betrogen finden. Denn warum sollte ich meinen Nächsten mit einem Übel belegen, das ich etlichermaßen für ärger als den Tod halte? Und mir ist niemals unbekannt gewesen, daß die Traurigkeit ein Gift sei, welches den Menschen viel eher als die stärkste Hydra würget. Deswegen suche ich etwas, welches nur fröhliche Wirkung mit sich führe und tauglich sei, uns in etwas des Schmerzes zu entbinden, welchem alle Menschen, und zwar jeder nach seinem gewissen Maße, ergeben sind. Ich verstehe unter solchem Schmerze die zeitlichen Verdrüßlichkeiten, welche auch die Allergewaltigsten dieser Erde niemals von sich zu legen gewürdigt werden, und darum ist es nötig, daß man den Melancholischen eine Schrift vorlege, die beides, ihre langweiligen Stunden und die wunderlichen Grillen, zu vertreiben nötig sei.

Ist also dieses die Ursach dieser Schrift, nicht daß ich gesinnet sei, dadurch große Streiche zu tun, aber wohl, zu ergötzen diejenigen, welche außer Lesung eines kurzweiligen Buches wenig Ergötzlichkeit finden, sondern von Natur mit höchst beschwerlichen Grillen und tausend Phantasien zu kalmäusern gewohnt sind. Denen lege ich dieses Buch vor, nicht, als ob ich ein Belieben an ihrem traurigen Gemüte, sondern viel mehr ein Erbarmen fühle, welches mir diese geringe Arbeit aus dem Kopf und die gegenwärtigen Zeilen aus der Feder gezogen, und ob ich gleich bei ihnen meinen vorgenommenen Zweck nicht erreiche, ist mir's doch genug, daß ich beim Aufzeichnen dieses Buchs mich selbst bei dem warmen Ofen und einem Glas Wein der Beschwerlichkeit enthoben, welche man in den frostigen Winterszeiten fast durch die halbe Welt empfindet.

Ist demnach anfangs meiner Historia zu wissen, daß ich keiner von Adel oder sonst hocherfahrener Welt-Statist sei. Deswegen wird mir nicht für übel gehalten werden, so ich dort oder da einen oder andern Schnitzer in meine Schrift menge, weil die Reinlichkeit zu schreiben entweder denen zukommt, welche bei Hof erzogen oder aber diesen, so auf hohen Schulen noch vor dem zwanzigsten Jahr ihres Alters Doctores worden. Also ästimiere ich die für klüger als mich, welchen eine so hohe Dignität drei Jahr eher als der Bart conferiert wird, und wird sich demnach niemand über meine schlechte Art zu schreiben verwundern, wenn ich als ein auf der Einöde Wohnender mich um keine große und zu Hof bräuchliche Redeart bekümmere noch mit spitzigen Zähnen fremde Nüsse aufbeiße. Und warum sollte ich um eine hohe Schreibart bekümmert sein, indem ich von gemeinen Sachen rede? Ein gemeiner Handwerksmann wird in einem[7] Silberstück viel mehr geschimpfet als geehret, und ein hinkendes Pferd hat selten einen silbernen Schellenkranz auf dem Halse. Also sieht es mich für gut an, gleiche Sachen mit gleichen Farben abzumalen und so zu reden, daß man von allen verstanden werde.

Ich kann es mit meiner frühzeitigen Jugend mehr als genugsam bezeugen, was für eine große Torheit die Schulmeister begehen, welche ihre anvertrauten Kinder gleich den Hunden in der Schule herumpeitschen. Zu einem solchen unverständigen Kinderhenker ward ich von meinen Eltern getan, welche glaubten, ich würde bei demselben in meiner ersten Jugend nicht allein wohl aufgehoben, sondern auch im Lesen und Schreiben fleißig unterrichtet werden. Aber, bei meiner Treu, ich habe niemals unter einer härteren Disziplin gelebt, und hätte mich meine Jugend nicht überredet, als müsse es so sein, so wäre ich bei dem Bachanten nicht vier Wochen geblieben. Er hatte seine größte Lust, uns arme Kinder zu schmeißen, und ich kann schwören, daß er die meiste Schulzeit nur mit Auskehrung der Ärsche zu tun hatte. Das Herze lachte ihm im Leibe, wenn er hörte, daß einer oder der andere unter seinen Discipuln außer der Schnur gehauen, und demnach band er allezeit neue Ruten, zu strafen die, welche er angegeben und in seine Schreibtafel aufgezeichnet hatte. Das Wohlverhalten der Knaben war seine ärgste Pestilenz, denn dadurch fraß er den heftigsten Gift in sich, weil er in der Schule nichts zu strafen hatte, aus welchem gar leicht kann verstanden werden, welch eine unbeschreibliche Torheit den Phantasten besessen, der sich durch die Tugend seiner Discipuln zum Zorn und Widerwillen reizen ließ. Ja, ich schäme mich, etliche Sachen zu erzählen, welche der Schlingel vorgenommen, nur uns in Strafe zu bringen, und er achtete es wenig, wenn er die Kinder mit Ruten strich, daß das Blut hernach floß. Er strich etliche dermaßen zuschanden, daß sie dem Bruch- und Wundarzt etliche Wochen mußten unter der Hand liegen, und wenn man im Gegenteil ansah den Nutzen von seiner Lehre, so war es zu erbarmen, daß man einem solchen Arschgucker so viel Zweige der unschuldigen Jugend unter die Hand gegeben, welcher sie bis auf den Grund verdorben hat. Ich habe nach meinem erreichten männlichen Alter den Unterschied zwischen einem, der den Staupbesen bekommt, und uns damaligen Schülern genau auf die Wage gelegt, und es ist gewiß, daß wir von unserm ungehobelten Schulmeister viel ärger gestrichen worden als ein Erzschelm, der den Leuten das Ihrige zu Nachtszeit hinter den Hauptkissen hinwegfischet.

»Ha«, sagte der Schulmeister zu uns Knaben, »mein lieber Jung, du wirst mir's noch einmal von Herzen danken, wenn du groß wirst und zu deinen Jahren kommst, daß ich dir den Hintern so wacker ausgekehrt habe!«, aber, bei meiner Seel, ich wollte anjetzo, daß er für jeden Streich, den er mir gegeben, tausend Maulschellen hätte, vielleicht dienten sie ihm besser zur Züchtigung, als seine unchristlichen[8] Schläge zu unserem Aufnehmen. Denn er schlug uns ohne Ursach, und wenn sich einer nur um einen Finger weit von seinem Ort verrückte, bekam er mehr als sechzig Schläge.

Ich müßte große Schwachheiten erzählen, so ich alle seine Fauten erzählen wollte, welche er gegen uns begangen. Aber im Ausgang erfuhren wir, wie nützlich es sei, dergleichen Eseln das junge Kinderfleisch aus den Zähnen zu rücken, weil sie nicht als kluge Menschen, sondern als grausame Wölfe dareinzubeißen pflegen, dessen Schaden man erst dann zu empfinden hat, wenn man sieht, welch ein Vorteil es sei, wenn man der Jugend nicht alle Freiheit benimmt.

Solche Schulmeister soll man mit Buchsbaum besetzen und dem Monsieur Diabolus zum Neuen Jahre verehren, denn sie machen furchtsame Leute, die her nach sich weder zu raten noch zu helfen wissen, und ich wollte dergleichen Leuten hiermit ihre Lectiones wacker herunterlesen, wenn ich mich ihrer Bubenpossen nicht schämte und für tunlicher ansähe, daß man ihr unrechtmäßiges und allzuscharfes Beginnen ihrer eigenen Verantwortung anheimstelle und so die Narren hinlaufen lasse, wohin sie laufen wollen.

Er hatte den Gebrauch, so ein Knabe einen Furz streichen ließ, mußte einer von oben bis unten der Bänke gehen, zu riechen, wer es getan hätte. Daher kam es, daß, wenn der Herumgeschickte diesem oder jenem nicht gut war, er solchen dem Schulmeister als den Täter verriet. Auf solchen regnete es alsdann zentnerschwere Schläge, und [er] mußte wegen eines einzigen Furzes wohl fünf Schillinge halten, er mochte es gleich getan haben oder nicht. Einmal klagte mich einer in diesem Puncto Furzi auch ohne Grund bei dem Schulmeister an, und weil ich mit Gewalt hervorgerissen wurde, die Hosen herunterzunesteln und einen guten Product zu halten, sagte ich in meiner Angst: »Oh, herzliebster Herr Schulmeister, es ist erlogen, ich habe den Furz nicht gelassen, es mag ihn gelassen haben, wer da wolle, drum bitte ich, glaubt meinem Kameraden nicht, sondern riechet selbst an meinem Arsch, da werdet ihr finden, daß ich fälschlich belogen worden.« »Du Hundsfutt«, sagte der Schulmeister, »sollstu mich solche Sachen heißen, ich wollte, daß dich der Teufel holte! Geschwind, ihr Pursche, reißt ihn hervor! Ich will den Galgenvogel lehren, was er mich heißen soll. Halt, du Schlingel, ich will dir zum Arsche riechen, daß du sechs Wochen nicht sollst darauf sitzen können.« Mit diesen Worten griff er selbst zu. Da hat man Schelten, Schreien und Weinen untereinander gehört, und war wegen des Furzes ein solcher Lärm in der Schul, davon die Leute vor den Fenstern auf der Gasse stehen geblieben. Wo ich mich an eine Bank oder an einen Knaben anhalten konnte, da hielt ich mich mit allen Klauen an. Daher geschah es, daß ich bald einen beim Haar, den andern bei seinem Überschlag ergriff, die ich ihnen in kleine Stücke zerriß. Während solchem Herumreißen verknüpfte ich meine Hosennestel wohl mit vierundzwanzig Knöpfen, welches, als es der Schulmeister gewahr ward, wischte er über[9] sein Federmesser, mir die Hosen aufzuschneiden. Aber ich streckte den Bauch weit vor mich, schwenkte mich auch mit dem Leib dergestalt hin und wider, daß er mir nicht leichtlich an die Nestel kommen konnte, aus Furcht, er möchte mich gar in den Bauch schneiden. Endlich warf er mich zu Boden und kriegte mir die Hosen von hinten hinunter. Da hat er wohl mehr als zwei Ruten an mir stumpf und zuschanden geschmissen, so daß ich sowohl unter der Nase als auf dem Fetzer voll Blut war.

Ein so ehrbarer und delikater Gesell war unser Schulmeister. Daher, erwiesen wir ihm in seinem Absein allerlei Possen und hofierten ihm bald in diese, bald in jene Ecke der Schul. Aber die Jungen konnten nicht riechen, wer diese Wächter dahingesetzt hatte, wie sie zuvor die berochen hatten, welche den Wind verfälschet und ein unheiliges Rauchwerk angerichtet. Unterweilen warfen wir ihm auch die Fenster ein und malten ihn mit seiner Rute mit Gassenkot an die Wand und setzten darunter garstige Worte als: Hundsfutt Schulmeister, item den Vers: »Der Schulmeister schiebet gerne Kegel, er ist auch gar ein böser Flegel« und so fort. Da examinierte er uns, wer es getan hätte, und als er's nicht erfahren konnte, strich er uns alle, den Großen sowohl als den Kleinen, nach der Ordnung herum, und, unerachtet Jünglinge unter uns waren, die noch nicht buchstabieren, geschweige lesen oder schreiben konnten, mußten sie doch gleiche Strafe mit den andern ausstehen. Denn er sagte, solches taugte ihnen zur Warnung, damit sie vor solchen Possen dermaleins einen Abscheu hätten. Aber das war ebensoviel, als ob man den Schulmeister aufgehangen hätte, damit er sich vor dem Diebstahl hüten könnte.

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 7-10.
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