Capitul VIII
Was für eine artige Comödie sie mit der Magd angefangen

[28] Ich kam gleich zu Herrn Lorenzen in das Zimmer, als er wie ein Pickelhäring mit dem Glas Branntwein um den Tisch herumsprang. »Vivat bonus gratias!« sprach er, »lieber Hans, es gilt aller Maikäferflügel gute Gesundheit! Was macht der Spielmann, wird er bald kommen?« »Herr«, sagte ich, »alsobald. Er hat zwar eine Hochzeit über Feld zu geigen gehabt, aber er will doch kommen und Euch aufwarten.« »So ist's auch recht«, sprach Herr Lorenz. »Sapperment, Hans, der Torwärter ist mein bestallter Hof-Musicus, der muß mir die allerschönsten Stücklein von der ganzen Welt aufmusizieren. Bald französisch, bald burgundisch, bald türkisch, bald italienisch, bald siebenbürgisch, bald tyrolisch, in summa summarum, Hans, alles muß er mir aufgeigen.« »Herr«, sagte ich, »seid Ihr denn ein großer Liebhaber der Musik?« »Freilich«, sagte er, »das kannstu wohl gedenken, du Narr, aber ich meine keine Bauernmusik, wie die Bettler danach tanzen, sondern rechtschaffene Virtuosi und gute Künstler ästimiere ich, wie mein Torwärter und seinesgleichen ist. Der kann's herunterquintillieren, schöner als die Nachtigallen. Hans, wenn er componieren könnte, ich wollte ihn in die vornehmste Capell bringen. Würde er gleich anfangs nicht Capellmeister, so müßte er halt Calcant werden, du Narr, die Blasebälge sind am nächsten bei der[28] Orgel, also ist auch der Calcant am nächsten an dem Organisten. Potz hundert gute Jahre, ein Musicus muß so wohl von unten auf dienen wie ein Soldat. Vor diesem habe ich ein wenig auf der Dregel-Geigen gelernet, aber mein Lehrmeister sagte, die Mistgabel taugte viel besser in meine Faust als der Fiedelbogen, und ich hab in einem Tag so schrecklich viel gelernet, daß ich den andern Tag nicht ein Drecklein davon wußte. Aber der Torwärter, der hat ein Ingenium, Saprament, Hans, ein Haupt-Ingenium hat er! Wenn man ihm heute eine Ohrfeige gibt, so denkt er länger als acht Jahr hintereinander dran.«

Indem kommt der Christel Schlick-den-Preyn – so heißt der Torwärter – mit seiner Raspel zu uns, und Herr Lorenz begehrte an ihn, daß er möchte das Lied vom Hänsel beim Bach aufgeigen. Solchergestalten erhebte sich die liebliche Harmonie dieses Erzkünstlers, welcher sich bei dem Ofen auf einen Stuhl gesetzet und zu seinen Melodeien mit dem Fuß den Tact gegeben. Unter solchem Musizieren sang mein Herr allerlei Lieder und soff mich und den Torwärter so voll in den Branntwein, daß einer den andern kaum mehr kannte, noch die Farb unserer Kleider entscheiden konnten. »So lebet man«, sprach Herr Lorenz, »recht fürstlich und vergnügt. Ha, ich schere mich nicht viel um hohe und vornehme Gesellschaften. Mancher meinet, er könne nicht lustig sein, wenn er nicht großmächtige Herrn und Cavaliere um sich oder in seiner Gesellschaft hat. Nein, mein lieber Hans, es ist nur eine bloße und eitle Meinung. Ich weiß die Sach um eine Spanne besser zu finden. Wer also lebet, wie ich lebe, der darf nicht fürchten oder in Sorgen stehen, ob er in der Compagnie nicht diesen oder jenen beleidiget habe, ob er genug und sattsame Complimenten gemachet habe, item ob er sauber genug sei oder nicht. So darf er sich auch wegen des fickermentischen Vorgangs und der ausgedörrten Praecedenz nicht viel bekümmern, hat auch nicht zu befürchten, daß er mit überhäufigen Gesundheittrünken überschüttet werde. So ist er auch noch überdies nicht verobligieret, große und mannigfältige Discurs anzufangen, zu beantworten und auszuführen. Nein, mein lieber Hans, ich weiß die rechte Lust rechtschaffen zu gebrauchen. Wie oft geschieht es und ist leider geschehen, daß man sich in Zusammenkünften zanket, hernach in die Haare fällt und morgen früh auf die Kling herausfordert, da man Leib und Seele zugleich verlieret! Gelt, Hans, das kostet mehr als eine neue Kehrbürste? Wie oft ist es geschehen und geschiehet noch, daß man sich über dem Gesundheittrinken anderer Leute die Schwindsucht an seinen eigenen Hals hinansäufet oder sonsten in eine Krankheit fällt, davon man in die Apotheke all sein Lebtag zinsen muß! Solche Früchte trägt man von dem heutigen Schmausieren, und mancher hätte noch eine frische Haut auf den Markt zu tragen, welcher schon vor zwölf Jahren durch das leidige Gesäufe und täglich gepflogene Compagnie in das Gras gebissen. O lieber Hans, das war eben meinen[29] zwei Vettern so sehr in dem Kropf gestecket, ich solle mein Geldlein, meinen sie, nicht zu Hause verzehren, sondern mit demselben unter die Leute wischen wie eine Feuer-Rakete in die Luft. Und also hätten sie mich gern in der Welt, daß ich ihre Kinder in den Compagnien freihielte. Aber sie machen mir keine Nase. Ich habe ohnedem eine wie eine Pfundbirne. Nein, Hans, nein, zu Hause geblieben und geschlafen dafür, das schmeckt Herrn Lorenzen besser, als solche Torheiten zu begehen, dafür man euch wacker auslachte. Vivat, es gilt eins auf die Gesundheit aller ehrlichen Hundsfütter!«

Zu solcher Gesundheit strich der Torwärter auf allen vier Saiten zugleich tapfer Lärmen, und ich sättigte mich wacker mit der geräucherten Zunge, welche zum Branntwein besser schmeckte als gebratene Hufnägel. Endlich zogen wir die Wämser, nach diesen die Schuh und Strümpfe aus. So oft es nur eine Gesundheit galt, schmissen wir ein Stück zu dem Fenster hinunter, bis es letztlich gar über die Hosen und Hemden herging. Also saßen wir da wie im Paradies, und ich muß auch lachen, wenn ich daran denke, wie hurtig der nackigte Torwärter im Zimmer herumgesprungen.

In solchem Springen kam die Magd zu uns, weil sie willens war, dem Herrn Geld abzufordern. Sie hatte aber die Tür kaum so bald eröffnet, als sie schon wieder zurückgeloffen, gleich als brannte ihr der Kopf samt dem Nacken. »Pfui!« sagte sie, »sind das nicht Flegel, recht abscheuliche Teufel sind sie! Springen in dem Zimmer ganz nackigt herum wie die Irrwische! Welcher Henker hat sie solche mores gelernet? Möcht sich doch ein unschuldig Mensch zu Tod ärgern! Das sind Schlingel! Das sind Bärenhäuter! Der kleine Jung macht auch mit, wie wenn er dazu verdungen und bestellet wäre. Pfui Teufel, wie wird mir so übel! Es steigt mir im Leibe auf, wie wenn ich Brücken und Capern gefressen hätte. Die ist eine Hure, die noch zwei Wochen im Schlosse bleibet. Treiben's doch die Hundsfütter wie die jungen Grasteufel mit einander! Pfui!« rief sie außer der Tür, »schämt Euch in den Arsch hinein, Herr Lorenz! Ihr wollet ein Edelmann sein und treibt solche närrische Sachen!« »Ha«, antwortete Herr Lorenz, »du Hure, was geht dich mein Adel an? Komm her und lecke mich dafür im Arsche! Sagstu mir noch ein Wort, so will ich den Torwärter um dich hinausschicken, der soll dich wider deinen Willen zu uns hereinbringen.« Die Magd wollte sich noch nicht zufriedengeben, darum eilte der Torwärter hinaus und zog sie mit Gewalt mit sich hinein, allwo sie Lorenz mit unserer Hilfe fasennackigt ausgezogen und ihre Kleider gleich den unsrigen über das Fenster in den Hof hinuntergeworfen. Sie wollte schmähen und versteckte sich hinter den Ofen, aber ich mußte etliche, Kannen Wasser holen, mit welchen sie Herr Lorenz wieder hervortrieb, und also sahen wir alle Lust, wie hurtig die nackigte Magd in dem Zimmer herumsprang.

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 28-30.
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