Erster Auftritt.

[235] Gadhi. Maja. Gadhi ist beschäftigt, mit Matten und Buschwerk eine Lücke der Hinterwand zu verstopfen.


MAJA erschreckt und ängstlich ausrufend.

Mein Kind!


Sie eilt in die Kammer und kommt bald etwas beruhigter zurück.
[235]

GADHI.

Geliebtes Weib! schläft unser Knabe?

MAJA.

Er schläft. Horch, wie die Stürme brausen! Fürchterlich

Dräut das Gewitter, und der Regen gießt

In Strömen nieder. Was die schwache Hand

Des Menschen baut, kann heute nicht beschützen.

GADHI.

Wie ich's vermocht, hab' ich die Wand gesichert,

Ein ew'ges Dach wölbt uns der heil'ge Baum;

Sein greises Haupt hat oft das Flammenauge

Des Blitzes unversehrt geschaut. Der Donner

Rollt machtlos über ihm, – ich zitt're nicht.

MAJA.

O wär' ich stark wie du, und schlüge frei,

Sich keiner Schuld bewußt, dies bange Herz!

Dein edler Blick, der in die reinen Tiefen

Der eignen Brust geschaut, darf muthgestählt

Sich zu des Himmels dunkelm Antlitz wenden.

Ich aber zitt're, wenn die Erde zittert;

Und wie der Sturmwind durch die Wipfel saust,

Bewegt ein nimmer schlummerndes Gefühl

Dies schuld'ge Herz. –

GADHI.

Geliebte, frevle nicht!

Wer nennt sich rein, wenn du dein edles Selbst

Mit strengem Worte unbedachtsam schmähst?[236]

Nicht, was du Frevel nennst, erschüttert dich

Bei dieses Donners Schlägen; nicht den Muth,

Der freudlos mich beseelt, ersehne dir.

Den herben Keim zu dieser bittern Frucht

Hat Schmach gesät auf öden Lebenssteppen.

Ihr Thau sind Thränen, und dem Jammer nur

Wächst sie zum blutigen Genuß empor.

Nicht die gemeinen Schrecken der Natur,

Gleichmäßig dräuend jeglichem Geschöpf,

Nicht feindlich offene Gewalt befürcht' ich.

Hinausgetrieben aus des Lebens Reihen,

Geschleudert aus der Welt gesell'gem Strome,

Bin ich befreundet in der Wälder Nacht,

Wo die Hyäne und das Pantherthier

In friedlich blutiger Gemeinschaft hausen.

Mein Leben wag' ich täglich, es zu fristen,

Und furchtlos, nicht der Felsen steile Höh',

Nicht list'ger Tiger blut'ge Nähe scheuend,

Jag' ich der Beute nach: doch tief entsetzt

Erbebt mein Herz, wenn des Maquarah Schall

In diesem gräßlich ungeheuern Kampf

Des Menschen fürchterliche Näh' verkündigt,

Die Trommel dröhnt, und von verborg'ner Senne

Des list'gen Jägers schwirrt der ehrne Pfeil,

Das Unthier schreckend mit durchbohrten Weichen,

Da theilt's noch einmal die bewegten Lüfte,

Ein zweiter Pfeil, – er trifft mein zuckend Herz –

Der Jäger jauchzt und schlägt den Freudenwirbel;

Denn Brama lächelt, wenn ein Paria fällt.


Heftiger Blitz und Donner.
[237]

MAJA.

O Gadhi! Donn're nicht, gewalt'ger Gott!

Dein Zorn ist furchtbar.

GADHI.

Furchtbar! Weine, weine,

Unglücklich Weib, und dank dem Himmel noch,

Daß er dir Thränen ließ, – ich habe keine.

Mein Leben ist ein elendes Gewimmer,

Der leise Seufzer des getret'nen Wurms,

Den vor dem Dasein schon ein ew'ger Fluch

Verdammt, im Staub sich ächzend hinzuwenden,

Indeß vor seinem Blick in Sonnenhöhe

Die Mitgeschöpfe, reich beflügelt, schwinden,

Laß diese Thränen der Erinn'rung fließen;

Einst hast auch du des Lebens Glanz geschaut,

Und deine Kindheit sah beglückte Tage.

MAJA.

Nicht jene Tage sehn' ich mir zurück;

Dein ist dies Leben, das du mir gerettet;

Und säh' ich dich zufrieden, wähnst du wohl,

Mich drückten diese niedrigen Beschwerden?

Was kümmert mich der äußern Güter Schein?

Des Weibes Herz kennt nur ein Glück auf Erden;

Dies Glück heißt: lieben und geliebt zu sein.

GADHI.

O meine Liebe ist ein elend Glück!

Verworfen –[238]

MAJA.

Du – verworfen? –

GADHI.

Bin ich's nicht?

Ist's nicht das Kind, das deine Brüste säugten? –

Wird's nicht der Enkel mit gebeugtem Haupt,

Wird's nicht mit heißen Thränen der Bedrückung

Ein ganzes folgendes Geschlecht beweinen,

Daß unsre Liebe ihm das Dasein gab? –

Wenn deine Stimme Donner ist, dein Name

Gerechtigkeit und Langmuth, großer Brama,

Gieb Antwort: Warum folgt dein ew'ger Haß

Dem unglücksel'gen Stamm, der mich erzeugt?

Weil einst, vielleicht in grauer Fabelzeit,

Ein Paria die Huld'gung dir geweigert,

Den Gott verhöhnt, der zu der Erde Prüfung

Sein lichtes Dasein mit Gestalt umgürtet,

Lehrt deiner Priester Schar, so weit die Fluth

Des Ganges wogt, daß unsre Nähe schändet,

Daß sich allein von uns in Zornes Gluth

Dein heilig, Gnade strömend Antlitz wendet.

MAJA.

Nein, nein! das Meisterwerk der Schöpfung ist

Ein Herz, das edel fühlt wie deines. – Der Schöpfer nicht

Wird solch ein Herz mit seinen Flüchen drücken;

Die Priester lügen.[239]

GADHI.

Ja, sie lügen, Maja,

Und glaubt' ich's nicht, mein Glaube würde irr'

An dem, dem ihre Opfer Läst'rung dampfen.

Brama ist gut und freundlich: strömt sein Blick

Nicht den befruchtend segensreichen Strahl?

Hat seine Hand mit sturmesfesten Zweigen

Nicht der Banane schützend Dach gewölbt?

Ist er der Vater nicht der ew'gen Mutter,

Der allumfassend liebenden Natur?

Ihr heiliges Gesetz heißt Lieb' und Duldung,

Und was sie gleich gebildet an Gestalt,

Knüpft friedlich auch ein gleiches Band der Seele.

In ihrem Reich ist nichts gering und fremd:

Das weite Meer verschmäht den Tropfen nicht,

Den dieser Regen gießt aus trüben Wolken;

Mit brüderlichen Armen wälzt der Strom

Ihn fort und fort in seinen ew'gen Wellen,

Gleich seiner bergentstürzten Silberfluth.

Der Mensch allein zerstört mit frecher Hand

Den gleichen Spiegel seines edeln Wesens,

Und Glauben, – Glauben nennt er seinen Wahn.

Doch Brama lächelt schonend, sich ins Licht

Der Wahrheit tauchend, bis auch wir zum Tag

Des Wissens aus der Nacht des Irrthums scheiden.

MAJA.

So will ich dich, mein Gadhi! Du entbehrst

Das Schlecht're nur; des Lebens bess're Güter

Sind dein in unvergänglichem Besitze![240]

Dein edler Glaube und mein treues Herz,

Das mit dir fühlt und mit dir glaubt und leidet.

GADHI sie umfassend.

Zwei Edelsteine unschätzbaren Werths,

Die ich gefunden in dem Schacht des Elends.

Ihr Glanz erleuchtet meine dunkle Bahn,

Beglückt mein Herz, erfüllt, was ich bedarf

Als Mensch; doch ich bin Mann – der Mann will mehr.

Im Männerbusen drängend wohnt die Kraft,

Die nur am Licht der That sich kann entfalten.

Dürft' ich nur Mensch sein unter Menschen! – Ach!

Es ist so wenig doch begehrt, so wenig!

Sie schmeicheln ihrem Hund und ihrem Rosse,

Und scheuen uns, als hätt' uns die Natur

Zur Larve Menschenbildung nur gegeben.

Stellt mich euch gleich und seht, ob ich euch gleiche!


Mit steigender Kraft.


Ich hab' ein Vaterland, ich will's beschützen.

Gebt mir ein Leben und ich zahl's mit Wucher,

Wo die Gefahr der Schlacht mit ehrnen Zungen

Die Opfer heischt, und an des Lebens Fülle

Sich bis zur Uebersätt'gung nährt und stirbt.

Wagt's und erprobt des Unterdrückten Kraft!

Schon seh' ich mich mit thatensücht'gem Muth

Hinstürzen in das tödtlichste Gewühl,

Umsaust von Speeren und umblitzt von Pfeilen;

Fest steh' ich, wie beim Donner des Gewölks.

Mir nach, mir nach! – Seht ihr den Knaben mir

Zur Seite steh'n? Das ist mein Kind – mein Kind![241]

Aus meinem Blut ist er entsprossen; seht,

Wie er die Lanzen wirft! getroffen sinkt

Der Feind, ihm fluchend: – segn' ihn, Vaterland,

Es ist mein Kind; es hat für dich gestritten,

Sein Vater ist für dich gefallen. –

MAJA.

Nein,

Du bleibst – verlaß mich nicht – du kannst nicht fort,

Und wenn du's könntest, nimmer solltest du's.

GADHI.

Was ist dir, Maja? Was ergreift dich?

MAJA.

Weh!

GADHI.

Dich ängstet nur ein Traum – ein Paria bin ich,

Ich darf nicht streiten für mein Vaterland.

MAJA.

Kein Traum – mich ängstet Wirklichkeit – ich kann,

Ich darf dir's länger nicht verschweigen – mich

Ergreift die Ahnung von Gefahren –

GADHI.

Rede, rede![242]

MAJA.

Erzitt're und vergieb mir, mein Geliebter – –

Dies Felsenthal, das unsre Hütt' umschließt –

GADHI.

Das ich dich nimmer zu verlassen bat?

MAJA.

Verlassen hab' ich es –

GADHI in höchster Angst.

Und wardst gesehen.

MAJA bejaht es schweigend.

GADHI wendet sich mit einem Laute des Entsetzens ab.

MAJA nach einer Pause.

Kaum sind sechs Sonnen unter – und ich ging

Ins nahe Gärtchen, Früchte suchend. Ruhig

Ließ ich den Knaben, auf der Matte schlummernd,

In unsrer Hütte. – Als ich wiederkehre,

Ist Matt' und Hütte leer, das Kind ist fort.

Umsonst durchsuch' ich Thal und Garten, ruf' umsonst

Den theuren Namen, leer bringt mir die Luft

Die eig'nen Jammertöne nur zurück.

Da, mich ergriff die fürchterlichste Angst,

Mit scheuem Blick rings an der Felswand späh' ich –

GADHI.

Wir sind verloren![243]

MAJA.

Wir? Fragt eine Mutter,

Was außer ihrem Kind noch lebt und wünscht,

Wenn sie ihr Kind vermißt? – Ein steiler Pfad

Führt aufwärts; raschen Schritts erklimm' ich ihn,

Und finde jenseits mich des Thals, umschattet

Von einem Hain, der seine Palmendächer

Weit über viel verschlung'nen Wegen breitet.

Nicht Mühe scheu' ich noch Gefahren, winde

Mich durchs Gebüsch, und plötzlich vor mir seh' ich

Mein Kind – und einen Jäger neben ihm

Vom Stamm der Rajahs, Früchte mit ihm theilend.

Hin stürz' ich, meinen Knaben fest umschlingend,

Und halt' ihn lang' – bis des Entzückens Gluth

Den Quell des Aug's, den mir die Angst erstarrte,

In reichen Strömen heißer Thränen löste.

Aufblickend endlich trifft mein feuchtes Auge

Das glühende des Jägers; Angst ergreift mich;

Dank stammelnd, meinen Knaben fassend, will

Ich flieh'n; er aber, fest mich haltend, ruft:

»Weib! wunderbar ergriff dein Anblick mich,

Mein Herz durchzucken nie gefühlte Flammen,

Wer du auch seist – du folgest mir.«

GADHI.

Hörst du's, Brama!

MAJA.

Ich aber ihm erwiedernd: »Herr! mein harrt

Und meines Kindes der besorgte Gatte[244]

In ferner Hütte« – will entwinden mich

Den starken Armen, doch nur fester drückt

Der Rasende mich an sein wallend Herz,

Bestürmend mich mit frechen Liebesworten.

Die Angst der Mutter – jetzt der Gattin Qual –

Ein Nebel deckte mir die Sinne – da

Zischt eine Natter aus dem Grase auf,

Die giftigste von allen – streckt das Haupt

Mit Gier nach meinem Kinde aus: ich seh's,

Und Mutterliebe giebt mir Riesenkraft.

Weit von mir schleudr' ich den gewalt'gen Mann,

Und hoch mein Kind mit beiden Händen schwingend,

Flieh' ich, das Unthier deutend dem Verweg'nen.

Nichts hemmt die Eil' der Flucht, und als ich scheu

Die Blicke wende, den Verfolger fürchtend,

War er entschwunden in der Nacht des Waldes.

GADHI.

Entschwunden! wenn er's nicht auf immer wäre?

Wenn ihn die List der wüthenden Begier

Den Weg zu unsrer Hütte finden lehrte!

Halt' fest, mein Herz – ich kenne diese Rajahs,

Sie scheuen uns, gleich wie der Pest Berühren;

Doch wallt ihr Blut von frecher Lust durchglüht,

Gleich gilt es diesem rasenden Geschlecht,

Ob es Befried'gung findet im Palast,

Ob in des Paria fluchbelad'ner Hütte.

MAJA.

Er komme nur – er wag' es nur zu nahen![245]

GADHI.

Es rächt ein Gott mit unverhofften Blitzen,

Doch wenn er dem verworf'nen Bettler droht

Sein letztes Gut zu rauben – –

MAJA ihm in die Arme sinkend.

Soll's der Tod

Eh' als der Räuber unsers Glücks besitzen.

GADHI.

Mein Weib! mein theures, heißgeliebtes Weib!

MAJA aus seinen Armen aufschreckend.

Horch, Gadhi! hörst du nichts?

GADHI.

Das dumpfe Rollen

Des fernen Donners.

MAJA.

Schrecklicher als Donner

Schallt's näher mir und näher –

GADHI.

Stimmen! horch,

Und Tritte naher Menschen!

STIMMEN von außen.

Hierher! Licht![246]

MAJA.

Wir sind verloren! Schütz' uns, großer Brama!

GADHI.

In jener Kammer, theures Weib, verbirg dich.

MAJA.

Nicht ohne dich.

GADHI.

Hier will ich weilen.

MAJA.

Nimmer!

Schnell reizt die Rohen der unsel'ge Anblick

Des Paria zu rascher Wuth. – Verbirg dich!

Ein Blick auf diese Hütte wird sie's lehren,

Wer sie bewohnt, und wenn ihr Auge nicht

Dem Wirth begegnet, flieh'n sie rasch von dannen.

GADHI.

Wenn sie verirrt –

MAJA.

Nicht der erzürnte Himmel,

Nicht das Entsetzen öder Wildniß schreckt

Sie mehr als deine unheilvolle Nähe.

Hinweg! sie nah'n! Dort sind wir sicher.[247]

GADHI ihr mit Widerstreben folgend.

Sicher?

Entsetzenvolle Sicherheit der Schmach!


Beide ab ins zweite Gemach.


Quelle:
Michael Beer: Sämmtliche Werke. Leipzig 1835, S. 235-248.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon