[339] Zimmer der Königin Karoline Mathilde.
Königin Mathilde. Gräfin Uhlfeld. Gräfin Reez.
MATHILDE zur Gräfin Uhlfeld, die ein Buch in der Hand hält.
Nicht weiter, liebe Gräfin. Mich erschüttert's
Zu tief und zu gewaltsam. Diese Bitten,
Die von den Lippen dieses zarten Arthurs
Ans wilde Herz des Mörders dringen, treffen
Mein eigenes so mächtig, daß ich kaum
Dem heißen Strom des zärtlichen Erbarmens
Und meines Busens leisem Grau'n gebiete.
Aufstehend.
Genug für heute. Dieser Shakspeare ist
Ein Halbgott, der die alten Sagen mir
Verwirklicht von der Sänger heil'gem Zauber
Und ihrer Macht, der Menschen bebend Herz
Zu rühren und die Felsen zu erweichen.[339]
Es blühen keine Palmen auf der Welt,
Die würdig sind, dem Göttlichen zu lohnen,
Der seines Busens wundervolle Himmel
Dem dürft'gen Aug' der Sterblichen erschließt,
Und ihres Lebens ärmliche Gestalten
In seiner Seele reinem Feuer läutert.
GRÄFIN UHLFELD.
Wie tief fühlt meine gnäd'ge Königin
Des Dichters kühnen Geist, der mir zu brausend
Die mächt'gen Flügel schwingt. Ich fass' ihn nicht
Und stets bewundert' ich die große Seele
Der Königin Elisabeth, die oft
In ihrer Nähe diesen kühnen Liebling
Mit königlicher Huld geduldet.
GRÄFIN REEZ.
Wahrlich!
Das that die Königin Elisabeth?
MATHILDE.
Und nimmt's euch Wunder, daß sie's that? Ich denke,
Der Fürst der Dichter meines Englands hat
So tief ins Herz der Könige geschaut,
Daß er in seiner Kön'gin Nähe nur
An seinem Platz, bei seines Gleichen war.
Wie ihr mich staunend anblickt, liebe Gräfin!
Der Frevel wider alle Majestät
Ist nur in meinem Mund zu dulden, nicht?
Doch sprach ich's aus, und wiederholen würd' ich's,[340]
Wenn meine fürstlichen Genossen alle
Vor mir versammelt wären. Diesem Shakspeare
Liegt wie ein aufgeschlagnes Buch das Herz
Der Völker und der Kön'ge vor. Blickt hieher.
Ihr Buch aufschlagend.
Hier steht die Wahrheit wie ein ew'ges Licht,
Ist's heut' wie eh'mals nicht? Zur blut'gen Schlachtbank
Führt man die Völker für ein heilig Recht,
Und doch verträgt um kleinen Vortheils willen
Sich Frankreich mit dem räub'rischen Johann.
Und gleicht das Schicksal jener Nichte Englands,
Der holden Blanca von Castilien, nicht
Dem Loos der Fürstentöchter aller Zeiten?
Wie schildert er so rührend und so wahr
Die süße Trauer der bescheid'nen Blüthe!
Vom mütterlichen Stamme weggerissen,
Schwankt sie in neuen sturmbewegten Pflichten.
Kaum kennt ihr junges Herz den mächt'gen Laut
Des Willens und der Wünsche, und sie muß
Entscheiden für das Leben. Sie besiegelt
Mit ihrem Herzblut schändliche Verträge,
Und folgt, da ihn ihr Auge kaum erblickte,
Dem fürstlichen Gemahl zur fernen Heimath.
Wer weiß, zu welcher reuevollen Zukunft,
Wer weiß, mit wie viel Thränen sie's bejammert,
Daß ihre Mitgift eine Krone war!
GRÄFIN REEZ da die Königin sich abwendet, ihre Aufwallung zu verbergen, heimlich zur Gräfin Uhlfeld.
Wie königlich![341]
GRÄFIN UHLFELD.
Wie tief und wie verständlich!
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