VIII. Von dem in der Graffschafft Stolberg bei Angsdorff gelegenen Hunger-See, sonst auch der Baurengrabe und Baurenstein genannt.

[97] In dem Hoch-Gräfflichen Stolbergischen Ambt Rosla lieget nach dem Unter-Vor-Hartz zu, nicht weit von Breitungen, in der Gegend Angsdorff ein langer und breiter, aber nicht sehr tieffer Graben, welcher etliche Aecker in sich hält, und von denen Einwohnern insgemein der Bauren Grabe genennet wird; Dieser hat gegen Mittag etliche aus einem Kalck-Steine bestehende Stein-Klippen, welche mit vielen Ritzen und Löchern ausgehölet sind, dahero auch unterschiedene veranlasset worden, den Graben von diesem Ort den Bauren-Stein zu heissen. Aus diesem Stein-Felsen quillet durch ein soderbahres Spiel der Natur gantz unvermuthet in ungewissen Jahren auch offtmahls in der trocknesten Sommer-Zeit eine solche grosse Menge Wassers, daß davon nicht allein der gantze Graben nach und nach voll Wasser wird, sondern auch derselbe gar übergehet, und die darunter gegen Breitungen über gelegene Aecker überschwemmet: weilen aber aus der Menge solches Wassers gleichsam ein See wird, und die Benachbarten vor Alters gewiß davor gehalten haben, daß es ein zukünfftigen Hunger und theure Zeit im gantzen Lande bedeute. Wenn sich dieses Wasser also ergiesse, so ist demselben der Name Hunger-See gegeben worden, welchen es noch auff diese Stunde behalten, ohnerachtet die Erfahrung zum öfftern bezeuget hat, daß solche Meinung falsch sei, und nicht allemahl eintreffe. Gleichwie nun dieses See-Gewässer zu keiner gewissen Zeit, sondern offtmahls nur in sechs, acht,[97] weniger oder mehr Jahren ankömmet, also pfleget auch dasselbe keine gewisse Zeit daselbst zu verbleiben, nachdem es öffters nur etliche Wochen, zu Zeiten aber über ein Jahr, auch länger, welches doch selten geschiehet, gestanden, sich wieder durch den Ort, da es heraus gequollen, entweder in geschwinder Eile, oder doch in kurtzer Zeit, wieder zu verlaufen und sich zu verlieren, wobei dasselbe vor denen ausgehöleten Stein-Felsen einen ziemlich starcken Strudel oder Wirbel verursachet, indem solches mit Gewalt durch deren Löcher zurück fället. Hernach wenn der Bauren-Grabe wieder trocken worden, wird die darinnen befindliche Länderei von denen Besitzern derselben mit Sommer-Früchten besäet, massen die Winter-Früchte daselbst nicht auffkommen können, weilen jährlich im Früh-Jahr viel Schnee- und Regen-Wasser sich der Orten versammlet, und die Winter-Saat ersäuffet oder ersticket. Dieser See kömmet etlicher massen mit dem berühmten im Hertzogthum Crain gelegenen Zirckni zer-See überein, dessen die Acta Anglicana A. 1669 mens. Decembr. p.m. 897 ingleichen die Acta Lipsiensia A. 1689 mens. Novemb. p. 558 gedencken, und welchen offt hochgedachter Herr Baron Valvasor in seiner Beschreibung des Hertzogthums Crain Tom. 1 libr. 4 cap. 47 fol. 630 als eine Rarität und sonderbahres Wunder-Werck der Natur lobet, und mit vielen Umständen beschreibet. Der Unterschied aber zwischen diesen Seen bestehet mehrentheils darinnen, daß der Hunger-See bei seiner Ergiessung keine blinde und nackichte Enten, und fast gar keine, oder doch nicht so viele Fische, als der Zircknizer-See, mit sich bringet, auch das Wasser nicht so hoch, als derselbe, über sich wirffet: dahero man auch dem Zircknizer-See gerne den Vorzug gönnet. Unterdessen ist doch nicht zu leugnen, daß der Hunger-See nicht auch ein sehr curieuses Werck und merck-würdiges Wunder der Natur sei; Denn man dergleichen weit und breit nicht viel findet. Die Ursache dieses Sees ist mehrentheils das unterirdische Wasser, dessen es in selbiger Gegend, wie in diesem und nachfolgendem Capitel unter dem Titel von Brunnen und wässerigen Erd-Fällen zu ersehen, viel giebet, wie denn auch der Bauren-Grabe an sich selbst nichts anders als ein grosser flacher und trockener, so wohl von dem unterirdischen[98] als auch jährlich im Früh-Jahr darinnen vorhandenen Schnee- und Regen-Wasser verursachter Erd-Fall, zu sein scheinet. Dieses Wasser wird durch verborgene unterirdische Canäle und Wasser-Gänge zu- und abgeführet, ob man schon nicht eigentlich weiß, wo solches herkömmet. Da nun die wahre Beschaffenheit derer Oerter, worinnen gedachte Oerter sich befinden, nicht bekannt ist, so kan man auch nicht gewiß sagen, auff was Art dessen wunderlicher Zu- und Abfluß geschiehet. Soll aber alhier das Muthmassen so viel als Beweisen gelten, so will ich denen Curiosis ein Meinung offenbahren, vermelde also, wie ich supponire und davor halte, daß zum wenigsten zwei Wasser-Pfüle oder Seen in der Gegend des Hunger-Sees vorhanden sein müssen, davon der eine nicht ferne von dem Bauren-Stein unter der Erde in einer Kalck-steinichten Höle sei, die entweder in oder über ihren Boden einen Ausfluß oder Löcher habe, und mit dem Grunde des Baurengrabens in einer Linie oder gleiche liege; der andere aber weiter davon an einem Orte unter oder über der Erde, und zwar höher als der vorige sich befinde: Ist nun diese Hypothesis oder beliebte Grund-Regel richtig, so kan es auch nicht anders sein, als daß das Wasser aus der obern See in die untere falle, und daselbst durch die Löcher, deren die kalckichte Stein-Felsen bewuster massen gemeiniglich haben, wieder aus- und an einen andern Ort unter die Erde fliesse, so lange nun solches ohnverhindert geschiehet, darff man nicht dencken, daß der Bauren- Grabe von solchem Wasser angefüllet werde: weilen aber dasselbe fast zu jederzeit einen Schlamm bei sich führet, welcher so wohl aus der obern See herrühret, als auch von denen Wasser-Gängen abgespület wird, so müssen davon die Löcher in der untern Höle nach und nach verstopffet, und die Höle voll Wasser werden, welches endlich, wegen des aus der obern See continuirlich nachfallenden Wassers, mit Gewalt durch den Bauren-Stein in den Bauren-Graben dringet, und also den gemeldeten Hunger-See verursachet. Wenn denn solche Löcher nicht allein mit einem zähen und leimichten Schlamm, sondern auch mit einigen von der Höle herab gefallenen Steinen sich sehr feste verstopffet haben, ist die Eröffnung dererselben so bald nicht zu hoffen, muß dieserwegen der Hunger-See länger,[99] als sonst geschiehet, stehen bleiben, da hingegen, wenn die Verstopffung solcher Löcher nicht gar zu groß, und nur mit einem leichten sandichten Schlamm geschehen ist, sich das Wasser daselbst nicht so lange aufhält, sondern, seiner Schwere wegen, den versperreten Paß bald wieder eröffnet, und durch denselben aus dem Bauren-Graben wieder abgehet, und zurück fället. Hieraus erhellet auch, woher es komme, daß der Hunger-See offtmahls viele Jahre ausbleibe, massen solches geschiehet, wenn es nicht viele nasse Jahre mit starcken Schlag-Regen giebet, als welche sonst den Schlamm und Zulauff des Wassers vermehren, und also verursachen, daß der niedrige und gewöhnliche Ausfluß der untern See desto eher versetzet und verstopffet werde. Ingleichen kan man auch daraus ersehen, warum dieser See zu keiner gewissen Zeit im Jahre, sondern offtmahl mitten im Sommer, wenn grosse Dürre vorhanden, ankomme, denn die vor gedachte Verstopffung des Ausflusses nicht zu gewisser, sondern ungewisser, Zeit geschiehet, wornach sich der See richten, und wenn solche geschiehet, es mag nun sein zu welcher Zeit es wolle, ergiessen muß. Dieses sind nun meine wenige und unmasgebliche Gedancken und Anmerckungen über den Hunger-See: Solte aber ein anderer etwas besser aus denen Fundamentis Hydrotechnicis derer Herren Mathematicorum auff die Bahn bringen, will ich gerne von meinen Gedancken abstehen, und demselben Glauben beimessen. Es möchte aber mancher sich verwundern, daß, weilen im Vorhergehenden gedacht worden, wie der Hunger-See etlicher massen mit dem Zircknizer-See überein komme, ich doch dessen ohngeacht des Hoch-gedachten Herrn Baron Valvasors Meinung von dem Ursprung dieser See nicht behalten hätte: da er doch ex Principiis Hydraulicis genugsam dargethan habe, daß dessen Zu- und Abfluß, vermöge vieler wie zurück gebogene Heber gestalte, verborgene, unterirdische Canäle geschehe, als wodurch das aus etlichen unterirdischen Seen zusammen lauffende Wasser in den Zircknizer-See einfalle, und wieder heraus fliesse, wenn die Heber dasselbe wieder an sich zögen; ich antworte aber hierauff, daß, ob schon solche Meinung nach denen Principiis Heronis und Portæ sehr gelehrt sei, und mit der Beschaffenheit des[100] Zircknitzer-See wohl überein komme, doch dieselbe sich auff den Hunger-See nicht schicke, weilen derselbe, seiner verborgenen Wasser-Gänge halber, von besagtem See unterschieden ist, und dieserwegen bei seiner Ergiessung das Wasser vor dem Einfluß nicht hoch über sich wirffet: da hingegen in dem Zircknizer-See das Wasser aus den Canälen drei biß vier Klaffter hoch, als eine Wasser-Kunst, über sich spritzet.

Quelle:
Behrens, Georg Henning: Hercynia Curiosa oder Curiöser Hartz=Wald [...], Nordhausen 1899 [Nach der Ausgabe Nordhausen 1703], S. 97-101.
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