[56] Vorige. Faust und Wagner.
KUNIGUNDE.
(Er naht! Bald ist erreicht mein Ziel!)
RÖSCHEN.
(Er naht! Doch Furcht und Grauen
Faßt mich, ihn zu schauen!)
FRANZ.
(Er naht! Auf immer flieht mein Ziel!)
MEPHISTO.
(Er naht! Bald endigt sich das Spiel!)
WAGNER zu Faust.
Nein, das sind nicht Freundes Blicke!
Traue nimmer, kehr' zurücke!
FAUST.
Ein einzig Herz, mir treu ergeben,
Genüget mir, beglückt zu leben!
Es schlägt entgegen mir
In Röschen's Busen hier.
KUNIGUNDE tritt zwischen Faust und Röschen.
Hinweg, Verräther, von ihr!
FAUST sieht Kunigunden.
Wer wagt es – ha! was muß ich sehen?
RÖSCHEN.
Ach, wie soll es mir ergehen!
KUNIGUNDE.
Kennst du mich nicht?
Eh' du ihr nah'st[56]
Entbinde dich
Bei mir von deines Schwures Pflicht!
FAUST zu Mephistopheles.
Was will die Thörin länger hier?
Befreie schnell, Mephisto, mich von ihr!
MEPHISTOPHELES kalt.
Ich habe nimmer Macht an ihr!
FAUST entrüstet.
Verwegener! Gehorche mir!
RÖSCHEN zurückweichend.
Weh! Es ist um mich geschehen!
Ich erliege diesem Schmerz!
Er hat die Treue mir gebrochen,
Nun, so brich auch du, mein Herz!
In Verzweiflung ab.
KUNIGUNDE ihr nachrufend.
Bald bist du Arme gerochen,
Gleich mir bezwinge den Schmerz!
FRANZ U. WAGNER untereinander.
Was will sie beginnen?
Was treibt sie von hier?
Franz folgt ihr.
FAUST zu Wagner.
Auf, folg' ihr und bewahr'
Mir die Theure vor Gefahr!
Wagner ab
MEPHISTOPHELES verbissen, zu Faust.
Sie beschützt nicht Erdenmacht.
Ihr Geschick, es ist vollbracht!
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»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
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