Frühlingsepistel

[230] Die Mücken spielen und die Bienen schwärmen,

Der Himmel ist atlassen blau und klar;

Das, dächt ich, ist kein Wetter, sich zu härmen,

Vertrauter Freund! Denn es ist offenbar:

Bald werden auch die muntren Stare lärmen,

Und schließlich kommen Nachtigallen gar.[230]

Wirf weg den dummen Kram: den faulen Gram,

Der wie der Spatz von unsres Staren Haus

Besitz von deinem warmen Herzen nahm –

Wirf ihn hinaus!


Wirf ihn hinaus und greife frisch zum Besen!

Zeig, lieber Freund, daß du noch immer bist

Der tapfre Feger, der du stets gewesen,

Wenn irgendwo sich häufte dicker Mist.

Hinaus mit allem ohne Federlesen,

Was muffig, ungesund und klebrig ist!

Dein altes Herz muß wieder hell und rein,

Von jedem Reste schweren Sinns befreit,

Und zum Empfange wohlgerüstet sein

Der Frühlingszeit.


Der Frühlingszeit, die dir das alte Lachen,

Den alten Glauben und den alten Schwung

Bescheren wird mit ihren Siebensachen,

Die selbst die alte Eiche wieder jung

Vor deinem Haus und übermütig machen

In frischen Knospentriebs Beseitgung.

Was red ich viel! Hier hast du meine Hand.

Kein Wort! Ich weiß: du wirst den Druck verstehn,

Und nächstens wolln wir beide über Land

Lustwandeln gehn.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 230-231.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Ausgewählte Gedichte