Dir, Frau Fortuna mit der Distel, widme ich dies Buch

[262] [Maultrommel und Flöte]


Du bist mein Glück: die nackte Bäuerin,

Die kugeltanzen kann und Disteln trägt:

Derb, doch gelenkig, deutsch von dazumal,

Als Grazie mit der Schwere sich vertrug

Und Lust mit Frömmigkeit. Ich liebe dich,

Die stets mich schlug, wenn sie zu schenken kam,

Und, wenn sie mich beraubte, streichelte.


Die große Schwester mit dem Goldpokal,

Die machtvoll prächtige Patrizierin,

Die auf der Kugel durch die Lüfte schwebt

Und sich nur niederläßt, wo Reichtum ihr

Den schwergeschnitzten Thronstuhl unterschiebt,

Ist mir zu üppig, massig, ungelenk.
[262]

Langweilig wäre mir die Gegenwart

Der Distellosen, die nicht schlägt, doch drückt.

Auch sie raubt viel, doch ohne Zärtlichkeit.

Sie fühlt sich Majestät und streichelt nie.

Sie ist mir fremd wie Schminke auf der Haut

Und Öl im Haar. Es ist die Sammlerin,

Aus Überfülle unfruchtbar: Genuß

Ist ihr armseliges Geschenk. Ich mag sie nicht.


Du aber treibst, indem du gibst: und raubst,

Damit ich selbst nicht müde werde, stets

Auf neue Beutezüge auszuziehn,

Ein Jäger, Räuber meines Glücks: ein Mann

Des heftigen Begehrens bis zum Schluß.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 262-263.
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