Achte Scene

[24] Die Alte vom Berge. Gertrud.


CHOR hinter der Scene.

Die schwarze Saat

Reift schnell zur That,

Sie kommt, sie naht,

Erfüllend den Rath.

Ihr Schwestern, das Opfer ist bereitet,

Von bösen Geistern wird's hergeleitet.


Während des Gesanges flattern die Raben über die Bühne.


GERTRUD stürzt nach wenig Augenblicken bleich und mit aufgelöstem Haar in die Höhle. Die Musik, begleitet melodramisch die ganze Scene. In fieberhafter Aufregung.

Wie ich versprochen, Weib, hab' ich gethan;

Doch zög're nicht den Lohn mir zu gewähren;

Die Zeit entflieht, schon naht der Mai heran,

Und Rudolph wird zurück zur Heimath kehren;

Begonnen und vollendet sei die That,

Eh' sehnend er dem Kreis der Seinen naht.


Pause.


DIE ALTE.

Mit flüchtigen Sohlen

Eilst Du heran; –

Wie ich befohlen,

Hast Du gethan?

GERTRUD.

Sie hat sich gegeben

In meine Hand;

Daß Wahrheit ich spreche,

Verbürget dies Pfand. –

Hier sind sieben Haare

Von Elsens Haupt,

Sie gab sie freiwillig,

Nicht sind sie geraubt.[24]

DIE ALTE grinsend.

Da warst Du recht fleißig

Lieb' Töchterlein,

Kannst's kaum mehr erwarten,

Willst eilig frei'n. –

Ich muß Dich ja loben;

Doch Tochter fein,

Ich hab' Dich gewarnt,

Sollst blind nicht sein,

Ich will Dir erst zeigen

Das eig'ne Loos,

Ob's gleich noch verhüllet

Der Zeiten Schooß.

GERTRUD.

Mach nicht so viel der überflüß'gen Worte;

Die Gegenwart zu nützen kam ich her. –

Nicht öffne mir der Zukunft düstre Pforte;

Von meiner Bahn giebt's keine Rückkehr mehr.

Wie Du versprachst, die Pflanze laß erstehn,

Daß meine Wünsche ich erfüllt mag sehn.

DIE ALTE.

Dein Loos ist gefallen,

Du hast's erwählt;

Doch frei ist Dein Wille,

Dein Herz sei gestählt.


Sie tritt zu dem Kessel und gießt eine Phiole hinein, alsbald schlägt eine helle Flamme empor.


Hier sind sieben Haare von Elsens Haupt,

Sie gab sie freiwillig, nicht sind sie geraubt.

Gleich wie aus dem Vorsatz entspringet die That,

Erhebe dich Baum aus der giftigen Saat.


Aus dem Kessel entstehen langsam: Erst ein Kranz kolossaler grüner Blätter und Zweige, denen der Aloë ähnlich, dann erhebt sich nach und nach aus den Blättern eine riesengroße purpurrothe Tulpe, auf einem grünen Stamme, welcher immer höher wächst, bis die Pflanze ungefähr Mannshöhe erreicht.


GERTRUD blickt schaudernd hin.[25]

DIE ALTE.

Nicht wahr, Du erbebest, Dein Herzblut erstarrt.

Siehst Du sich gestalten, was längst Du erharrt.

Ermessen nur kannst Du, was jetzt Du gesäet;

Doch nimmermehr ahn'st Du die Frucht, so entstehet.

GERTRUD.

Was soll mir die Pflanze riesengroß?

ALTE.

Reiß kühn von dem Stamme dies Zweiglein Dir los.


Sie deutet auf einen Zweig, an dem eine rothe Knospe hängt.


GERTRUD will darnach greifen, hält aber zögernd inne.

ALTE.

Das wahrst in der Kammer Du sorglich und still,

Auf daß es Dein Wünschen und Hoffen erfüll'.

Im Thau dieses Zweigleins benetz' Dein Gesicht

Bei jeglichen Morgens erwachendem Licht;

Tritt dann vor den Spiegel; denn was Du begehrt,

Das hat Dir die Macht dieser Pflanze gewährt.

GERTRUD sich überwindend.

Es bebt meine Seele, der Herzschlag steht still!

Fort kindisches Grausen! – Es sei denn – ich will!


Sie tritt hinzu und erfaßt mit kräftiger Hand den Zweig, bemüht sich, ihn von dem Stamm zu reißen. Plötzlich schreit sie auf.


Welch wilder Schmerz – weh mir! – mein Herz will brechen.


Sie stürzt mit dem abgerissenen Zweig in der Hand sinnlos zu Boden. Leiser Donner. In diesem Augenblicke entfaltet sich der Kelch der Tulpe und enthält ein kolossales Dömonenhaupt. Zwischen den Blättern werden in einem Kreis unter diesem kleinere, lachende Fratzen sichtbar. Im Hintergrunde spaltet sich die Wand und graue Schattengestalten in Gruppen, blau beleuchtet, werden sichtbar, sie deuten triumphirend auf Gertrud.


DIE ALTE steht plötzlich in einem feuerfarbenen Gewande da.

Es wird die That sich an dem Thäter rächen!


Unter dieser Gruppe und wilder Musik fällt der Vorhang.
[26]

Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 9, Leipzig 1863, S. 24-27.
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