Vierte Scene

[46] Else. Küfnermeister Steffens. Ohles.


ELSE. Hier kommen Leute – ist das Alles wirklich – wirklich?

OHLES. Ich sage Euch, Gevatter, wenn Ihr so fortwackelt, sehen wir von dem Huldigungsacte nichts mehr.

STEFFENS. Ihr habt gut reden, Ihr wandelt auf Storchbeinen, aber mich schaut an, mich, den stattlichsten Schmeerbauch im ganzen Gau.

ELSE schüchtern ihnen in den Weg tretend. Vergebt mir, Ihr Herrn, wenn ich Euren Gang aufhalte.

OHLES verdrüßlich. Was soll's!

STEFFENS freundlicher. Was steht zu Diensten, Frau?

ELSE. Wollt mir doch sagen, wo ich hier bin und wie man die Stadt dort in der Ferne nennt?

STEFFENS sieht Ohles betroffen an. Das ist eine curiose Frage. Ihr habt uns wohl zum Besten? Das dort ist Wolfenbüttel und hier sind wir im Wolfenbüttelschen Gebiet.

ELSE. Wolfenbüttel? Die Stadt hörte ich in meinem Leben[46] nicht nennen. Großer Gott! Da bin ich wohl weit – weit von der Heimath fern?

OHLES. Die Frau kommt mir seltsam vor! Wo ist denn Eure Heimath?

ELSE. Ich bin in – Sie erschrickt plötzlich, sinnt nach und sagt dann in staunender Angst. Ist's möglich? Der Name meines Geburtsortes fällt mir nicht ein. –

STEFFENS. Nun, aber woher Ihr seid, das müßt Ihr doch wissen?

ELSE. Ja wohl, lieber Herr, ja wohl! Daheim im Vaterland ist ein großes Hammerwerk unser, und eine reiche Sensenschmiede, welche zwischen hohen Felsen liegt, das Land durchströmt ein prächtiger Fluß, der blühende Gauen befruchtet, Wohlstand und Redlichkeit gehen Hand in Hand, die Fluren lachen wie der Menschen Antlitz; doch wo sie liegt die theure Heimath, wie man sie nennt und wie ich hierher gekommen, dies, liebe Herren, vermag ich nicht zu sagen.

STEFFENS sieht Ohles kopfschüttelnd an. Aber, wie Ihr heißt, das werdet Ihr doch wissen?

ELSE. Ei freilich! Mein Name ist – Sie sinnt eine Weile und ruft dann verzweifelnd. Allmächtiger! ich bin meiner gesunden Sinne beraubt! Herr, auch meinen Namen weiß ich nicht zu nennen.

STEFFENS ungeduldig. Hört Frau, nun reißt mir die Geduld. Ich stehe hier aus purer, klarer Güte, verplaudere die Zeit, indeß unser junger Herzog sich huldigen läßt, versäume das prächtige Fest; Alles um mich zum Besten halten zu lassen von einer – Landstreicherin – darnach seht Ihr mir so ziemlich aus, daß ich's nur gerade heraussage.[47]

ELSE. O, womit habe ich denn so großen Jammer verdient, mein Herr und Gott? Mein Kopf ist wüst – meine Gedanken verwirren sich, und wenn ich mein Gedächtniß martere, so kann ich, wie ich hierher kam, nicht enträthseln. – Nichts, nichts ist mir klar, als daß daheim ein liebender Gatte, ein theures Kind nach mir rufen und daß ich verbannt bin aus dem Vaterlande vielleicht für ewig. Ach ich weiß ja nicht einmal, wie weit mich die Ferne trennt von den Meinen, nur daß ich elend bin und verzweifle.

OHLES. Ihr thut dem Weibe unrecht, das ist keine Landstreicherin, es ist eine Wahnsinnige! Laßt uns gehen, wir können ihr doch nicht helfen. Sie wenden sich zum Gehen.

ELSE ihnen nacheilend, indem sie vor Steffens niedersinkt. Mann, Ihr habt ein Antlitz, das Mitleid und Herzensgüte ausspricht, seid menschlich, erbarmt Euch einer Elenden, nehmt mich mit Euch, verlaßt mich nicht.


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 9, Leipzig 1863, S. 46-48.
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