Achte Scene

[54] Bertha, als Klarisserin, tief verschleiert. Käthchen, legt gleich beim Eintritt die verhüllte Bibel auf das Tischchen im Hintergrund. Vorige.


GUTTENBERG sieht sie staunend an. Wie, was seh' ich? – Neckt mich ein Traumgesicht? Er eilt auf Käthchen zu. Katharina – Ihr in meinem Kerker, Eure milden Züge erhellen noch einmal meine Nacht! – Und wer ist die Nonne? Was bringt Ihr mir?[54]

KÄTHE mit bebender Stimme, in seinem Anblick versunken. Ach, theurer Herr, was sie Euch bringt, mir däucht, es kommt gerade noch zur rechten Zeit! Wie habt Ihr Euch verwandelt! Doch Eurer Prüfung schwerste Zeit ist um! Ehrwürd'ge Schwester, naht Euch doch, und laßt es ihn endlich wissen.


Bertha wankt in heftiger Bewegung näher, und reicht ihm mit zitternder Hand eine Pergamentrolle.


GUTTENBERG sieht sie befremdet an. Wer seid Ihr?


Bertha deutet mit abgewandtem Gesicht auf Käthchen.


KÄTHE. Es ist Eure Schwester Agnes!

GUTTENBERG rasch auf sie zu. Ist's möglich? – Du Agnes, Du? Endlich willst Du doch den verlassenen Bruder wiedersehen? Er will ihre Hand fassen.


Bertha weicht zurück, und bedeckt das Gesicht mit beiden Händen.


KÄTHE. Quält sie nicht mit Fragen, lieber Herr! ihr Herz blutet ob dem, was sie an Euch verschuldet! Gott hat ihre Seele erleuchtet, sie ist genesen von dem sünd'gen Wahne, der sie umstrickt, voll Reue naht sie Euch! Sie hat Dispens erhalten, um Euch zu führen, wenn Ihr folgen wollt, Euch zu geleiten zu einer friedlichen Freistätte. Ein heiliges Gelübde legte sie ab, auf diesem weiten Weg weder die Lippen zu öffnen, noch ihr Antlitz vor eines Menschen Blick zu entschleiern. Durch diese Entsagung hofft sie zu sühnen, was sie an Euch verbrach.

GUTTENBERG. Ist mir's doch immer noch, als ob ich träumte! Mich führen, bin ich denn frei? – Und Du, meine herzliebe Agnes, lagst Du denn nicht darnieder in schwerem Siechthum?

KÄTHCHEN mit Beziehung. Wohl lag sie in schwerem Siechthum, doch Ihr seht, sie ist genesen! les't doch, ich bitte Euch! –

GUTTENBERG öffnet das Pergament, woran ein Siegel hängt, lies't. Es ist meine Freilassung, wie konnte das geschehen?[55]

KÄTHCHEN auf Bertha deutend. Sie hat Euch befreit, sie will Euch aus dem Kerker führen, und in ein Land, wo Eurem müden Geiste Friede und Erholung werden soll! Begeistert. Ja, Guttenberg, es wird noch Alles gut! Am Ende Eures Pfades seh' ich den grünen Lorbeerkranz, und offen liegt die Bahn, auf der Euch die ewige Gerechtigkeit siegend leitet.

GUTTENBERG schüttelt das Haupt. Ja, offen liegt die Bahn – ich wandle sie am Bettlerstabe! – Mir mangelt Alles, was mir nöthig, um mich wieder zu erheben; jetzt erst, in diesem Augenblicke empfinde ich im innersten Kern meines Lebens, daß die Freiheit, die sie mir nahmen, nicht der schlimmste Raub war, der an mir begangen ward. Ich bin frei – und gehe doch gefesselt und gelähmt von dannen! – Meine Seele, mein Leben bleibt hier zurück! Den Ruhm der Erfindung, die meines Daseins Ziel, sie haben ihn mir entrissen, verlachen würde man den Bettler, träte er mit solchen Ansprüchen vor den hohen Rath; meine Bibel darf ich nicht vollendet schauen, Bitter lächelnd. mir bleibt nicht einmal so viel, um mir ein Exemplar des Werks zu erkaufen, das ich mit Tausenden bezahlt. Resignirt. Für diese Zeit ist's aus mit mir. –

KÄTHE. Guttenberg, wollt Ihr mir einen Wunsch erfüllen?

GUTTENBERG. Ihr fragt mich, Käthchen? – Habe ich das um Euch verdient?

KÄTHE zieht ein Schreiben aus der Brust. Wenn Ihr den Zufluchtsort erreicht, den Ihr an ihrer Hand wohl bald finden werdet – wenn in Euer gepreßtes Herz einmal wieder die Freude einzieht – dann denkt des armen Käthchens zu Mainz, und sendet diesen Brief aus Eurer neuen Heimath an Johannes Fust, meinem Vater! Aus Eurer Hand soll er ihn empfangen.

GUTTENBERG sieht sie verwundert an. Käthchen![56]

KÄTHCHEN dringend. Versprecht Ihr mir's?

GUTTENBERG. Ich verspreche es Euch!

KÄTHCHEN. Nun, so lebt wohl, Guttenberg, und vergönnt mir, Euch den Stab zu reichen, an dem Eure Seele sich erheben wird. Sie geht nach dem Hintergrunde, wo sie die Bibel niederlegte, reißt das seidene Tuch ab, und hält mit beiden Händen das Buch aufgeschlagen empor. Johannes Guttenberg, schaut her!

GUTTENBERG sieht in freudigem Erstarren auf das Buch, faßt es mit zitternden Händen an, und schreit laut auf. Die heilige Bibel – Gottes Wort – das erste Buch – mein Werk – mein Werk! – Er stürzt auf beide Kniee, hebt das Buch gen Himmel und ruft begeistert. O Gott – o großer Herr der Welten – im Staube dankt dir der Staub, den du unsterblich schufst! – Ich habe mein Ziel erreicht, mein Werk vollendet geschaut, mein Leben ist gelebt, jetzt laß mich enden! Er sinkt mit dem Gesichte vorwärts gebeugt auf die Bibel.


Bertha sinkt laut weinend an Käthchens Brust, und fällt dann vor ihr nieder.


KÄTHCHEN entzückt. Ich habe diesen Augenblick gesehen, der Lichtstrahl leuchtet freudig durch mein ganzes künft'ges Leben! Sie umschlingt Bertha, indem sie dieselbe zu sich erhebt.

GUTTENBERG springt auf und schlägt beide Arme über das Buch. Jetzt fort – laßt mich fliehen mit meinem Schatz, weit fort von hier! weit fort von allen Menschen! – Ich habe hier nichts weiter mehr zu suchen; Haß, Verfolgung und Undank laß ich hinter mir – und hoch über dem Pfuhl schwebt Dein Bild, Zu Käthchen gewendet. Du reine Taube, die mir gegeben, was kein Wort Dir lohnen kann, den rückkehrenden Glauben an Gott und Menschheit! O, diese Wohlthat ist namenlos! Leb' wohl, mein Käthchen – Er umschlingt sie, mild. Friede sei mit Dir, gedenke Deines Bruders! Aus Deiner Hand empfing ich den Begleiter, der meine Stütze sein wird, wenn ich wanke, das Kissen meines Hauptes, wenn ich ruhe, der Trost meiner Seele, wenn ich verzage – denn[57] es ist das Buch der Bücher, der Quell des Heils! In seine ewig klaren Fluthen will ich mich versenken, bis die kranke Seele mir gesundet! – Gott sei mit Dir! – Nun, Schwester, führe mich denn, muthig vorwärts!


Er faßt Bertha's Hand und zieht sie mit sich fort, Lorenz folgt.

Käthe steht mit ausgebreiteten Armen und sieht ihm nach, dann eilt sie zum Fenster.

Der Vorhang fällt.
[58]

Fußnoten

1 Historisch.


2 Historisch.



Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Johannes Guttenberg. Berlin 21840, S. 59.
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