Vierte Scene

[36] Krabbe. Julius Krabbe.


JULIUS KRABBE reißt noch immer singend die Thür auf, den Schleppsäbel unter dem Arm tragend, eine brennende Zigarre im Mund, ganz strahlend von Glück; plötzlich erblickt er seinen Vater, das Lied bleibt ihm im Halse stecken, Zigarre und Säbel entfallen ihm, er starrt ihn erschrocken an. Herr Gott, mein Alter! O weh!

KRABBE. O weh? O ja, das: »O weh« soll gleich kommen!

JULIUS KRABBE faßt sich schnell und fällt ihm plötzlich um den Hals. Mein lieber Vater! Sie hier? Verzeihen Sie, die Freude, der Schrecken, die Ueberraschung –

KRABBE. Hätten Dir fast einen Schlagfluß zugezogen – ja – hab's gesehen!

JULIUS KRABBE ganz heiter. Das ist wohl ganz natürlich, lieber Vater! Wie konnt' ich auch hoffen, daß Sie selbst kommen würden, meine Schulden zu bezahlen; so viele Güte verdiene ich ja gar nicht!

KRABBE. Das muß wahr sein! Diese Güte ist mir auch gar nicht eingefallen. Ich komme, Dich heim zu holen; für Deine Schulden kannst Du selbst sorgen.

JULIUS KRABBE ruhig. Mich holen, heim holen? Pah, den Gedanken lassen Sie sich vergehen!

KRABBE aufgebracht. Was? Morgen am Tag fährst Du mit mir nach Glognitz! Die Trude wird vor lauter Sehnsucht nach Dir immer dicker und es ist an der Zeit –

JULIUS KRABBE wie oben. Die Trude kann so dick werden wie Fallstaff, mich bekömmt sie doch nicht, und die Reise nach Glognitz ist jedenfalls für morgen ganz unmöglich, Sie müßten denn heute noch meine[36] Schulden bezahlen wollen! Meine Gläubiger haben eine zu große Anhänglichkeit an mich, um mich ohne Bezahlung ziehen zu lassen.

KRABBE desperat. Hol's der Kuckuk! – Mensch, wie kommst Du zu den Schulden? Vier Jahre warst Du der solideste Studiosus – und seit vier Monaten hast Du mehr Geld gebraucht, als – –

JULIUS KRABBE ihn unterbrechend, pathetisch. Vater, bis vor vier Monaten war ich eine Auster, eine Schnecke, ein Amphibium – ich duselte nur so in's Leben hinein. Jetzt erst bin ich ein Mensch geworden, jetzt erst begreife ich die Pflichten, die den Menschen zum Menschen machen! – Ich habe Geld gebraucht, Vater, aber – ich bin frei, verstehen Sie? – Die Freiheit kostet Geld, sehr viel Geld; ich bin Mitglied verschiedener Klubs, ich bin fliegender Corpsführer, ich nehme Theil an jedem Zweckessen – ich bin socialistisch-communistischer Republikaner, alle Menschen sind meine Brüder – folglich mußte ich Schulden machen.

KRABBE seinen eigenen Kopf mit beiden Händen fassend. Hör' auf mit dem Galimathias, oder ich werde närrisch! Also für Deine Mitbrüder hast Du die Schulden gemacht?

JULIUS KRABBE keck. Für wen sonst? Ich habe gar nichts von meinem Gelde gehabt!

KRABBE. Das glaube ich Dir ohne Schwur! Unglückliches, verlornes Schaf, sage mir, was hast Du zum Beispiel Er zieht eine Rechnung hervor. damit gemacht? Liest. »Ein Körbchen von Gutta- Percha mit glasirten Apfelsinen gefüllt – sechs Thaler

JULIUS KRABBE für sich. Teufel, er hat meine Rechnungen! Laut. Ih, Vater, das habe ich in den Klub für Menschenrechte gestiftet, zur Anfeuchtung, wenn wir heiser werden, denn Sie müssen wissen, wir halten da oft sehr lange und sehr laute Reden.

KRABBE. So? Er nimmt eine zweite Rechnung, liest. »Ein Kästchen von Schildplatt, nebst zwölf Paar Pariser Damen handschuhen – zwanzig Thaler!« Gehört das auch zum Klub?[37]

JULIUS KRABBE sehr ruhig. Natürlich! Das sind die Handschuhe, die ich in den demokratischen Damen-Verein gestiftet, damit sich die zarten Geschöpfe in der Hitze des Gefechts nicht mit ihren scharfen Nägelchen Schaden zufügen können.

KRABBE. Was? Die Narrheit wäre auch unter die Damen gefahren? Bursche, Du hältst mich zum Besten! Das hier Er zieht eine dritte Rechnung hervor. gehört wohl auch zur Klubwirthschaft? Liest. »Fünf Bouquets von frischen Kamelien, ein Kranz von lebendigen Maiblumen nebst Busen bouquet – zehn Thaler!« Was machst Du damit im Klub?

JULIUS KRABBE wie oben. Aber, Vater! Sie blamiren sich fürchterlich, Sie haben doch in Ihrem Krähwinkel gar keinen Begriff von den Bedürfnissen des parlamentarischen Lebens! Womit sollen wir denn unsere großen Volksredner anders bekränzen, als mit Blumen? Das alles gehört ja dazu!

KRABBE schlägt die Hände zusammen. Herr Gott, was man alles zu der Demokratie braucht, da wärst Du ja wohlfeiler Gewürzkrämer geworden!

JULIUS KRABBE verächtlich. Krämer werd ich nie, ich mache im Herbst das Staas-Examen – ich bin mit meiner Jurisprudenz fertig –

KRABBE. Freut mich recht sehr, ich aber noch nicht mit Deinen Rechnungen! Er nimmt wieder eine, liest. »Ein grauer Papagei nebst Käsigt – sechzig Thaler!« – Was der mit der Demokratie thun hat, kann ich nicht begreifen!

JULIUS KRABBE für sich. Ich auch nicht! Jetzt weiß ich nichts mehr! Samiel hilf, oder es läßt mich sitzen! Man hört von ferne die Marseilleaise singen. Gott sei Dank! Laut. Da kommt Julius, der kann Ihnen sagen, daß ich den Papagei in seinem Namen kaufen mußte, es war ein Vielliebchen, das er –

KRABBE. Aber warum bezahlt der Herr Baron nicht?[38]

JULIUS KRABBE. Ih, Papa, die Barone haben grade so gut Schulden wie die Gewürzkrämers-Söhne; Gott Lob, wir sind ja endlich in dem Schooß der Gleichheit angelangt!


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Vatersorgen. Berlin 1849, S. 36-39.
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