268. II. Von dem heiligen Blutritt, so an dem nächsten Freitag nach der Auffahrt Christi zu Weingarten jährlich gehalten ward bis zum Jahr 1700.

[259] Der hl. Blut-Ritt, eine herrliche Prozession, in welcher an dem Freitag nach der Auffahrt Christi (als an dem Titular- und Principal-Fest der hl. Blut-Bruderschafft, allwo dessen Brüder und Schwestern einen vollkommenen Ablaß zu gewinnen haben) das heiligiste Blut durch den Löbl. Flecken Altdorff, und sofort durch die nächst gelegenen Felder jährlich herumgetragen, und darmit die Benachbarte Landschaft mit viermal widerholter Verrichtung der gewiß außbündig-schönen und kräfftigen Wetter-Gebettern gesegnet wird.

Dise Procession wird der H. Blut-Ritt genannt, nit als wann keine Fußgänger sich dabey einfindeten; sondern weilen nur die Reitende in ein wol eingerichte Ordnung außgetheilt werden, und solche biß zu End des Umgangs zu erhalten sich embsig angelegen seyn lassen: da indessen besagte Fußgänger, so gemeinglich ein zwey-, drey- oder vier-mal grössere Anzahl außmachen, den außgesteckten Processions-Weg mit eyfrigist- und auferbäulichisten beten zwar durchwandern, aber dabey kein gewissen Platz oder Stellung beobachten, sondern vor- nach- und neben dem H. Blut gehen, wie einen jeden sein Willen und Andacht anleitet.

Gedachte Reiterey wird in sovil Troppen und Compagnieen eingetheilet, als sovil Herrschaften und Aembter seynd, die ihre Underthanne das heiligiste Blut an diesem Tag sonderlich zu beehren und zu verehren hieher beorderen. Eine jede Compagnie pranget mit einem klingenden Spiel, wie auch mit sowol kostbarlich-gestickten, als schön-außgearbeiteten[260] Standarti, und befleisset sich, sovil bey einem dißfahls ungeübten Volk möglich, ein in dem Krieg gebräuchliche Ordnung zu halten, welches dann überauß angenehm, und sehr anmüthig anzusehen vorfallet.

Die Anzahl dieser Reittenden H. Blut-Wahlfahrteren, wann der Krieg, oder eine ansteckende Seüch kein Hindernuß machen, ist jährlich groß, und zwar dergestalten, daß sie bey unseren letsteren Zeiten um ein merkliches angewachsen und Abzehlungen nur etlicher Jahren, so wir aufgezeichnet gefunden, leichtlich zuerachten.

Anno 1646 H. Blut-Reitter 1400. Anno 1679 haben den H. Blut-Ritt vermehret und gezieret 2 durch die Nachbarschafft in das Quartier herum gelegte Compagnien, eine von dem Haranthischen, die andere von dem Trautmansdorffischen Regiment.


Anno 1699, H., Blut-Reiter, 1180.

Anno 1716, H., Blut-Reiter, 3334.

Anno 1719, H., Blut-Reiter, 3280.

Anno 1720, H., Blut-Reiter, 4287.

Anno 1721, H., Blut-Reiter, 3724.

Anno 1722, H., Blut-Reiter, 4843.

Anno 1724, H., Blut-Reiter, 4054.

Anno 1725, H., Blut-Reiter, 4296.

Anno 1726, H., Blut-Reiter, 5045.

Anno 1732, H., Blut-Reiter, 5524.

Anno 1733, H., Blut-Reiter, 5325.


In dem letst-verwichenen Jahr 1734 hat sich die Anzahl der Reitenden auf 5444 erstrecket, unangesehen, daß zu selbiger Zeit die grosse Kriegs-Gefährlichkeiten immerdar stark anhalteten. Vor anderen haben disem unseren H. Blut-Ritt ein besondere Zierd und Ansehen gemacht Seine Hochgräfl.[261] Excellentz, der Hochgebohren Herr Carl Seyfrid deß Heil. Röm. Reichs Graf zu Königsegg, und Rothenfels, Freiherr zu Aulendorff, Ebenweyler, und Wald etc. der Röm. Kayserl. auch Königl. Catholischen Majestät wirklicher geheimer Rat, Cammerer und Landt-Vogt in Ober- und Nideren-Schwaben etc., da hochdieselbe mit ihrer gantzen Hofstatt, und kostbaren Equipage die völlige Procession hindurch das heiligiste Blut mit großer Auferbäulichkeit persönlich zu Pferd begleitet haben. Und damit das gantze Hochgräfl. Hauß Königsegg Aulendorff an einem so Volkreichen Tag offentlich zeigete, mit was grosser Hochachtung es dem zu Weingarten aufbehaltenen heiligisten Hertz- und Seiten-Blut Christi Jesu zugethan seye, haben oben-ersagt Herrn Grafen Landt-Vogtens von Königsegg Herr Bruder, der Hochwürdige, Hochgebohrne Herr Joan. Ernestus deß H. Röm. Reichs Graf von Königsegg Aulendorf etc. bei der Ertz- und Hoch-Stiffter Cölle und Costantz Canonicus Capitulares des auß denen Felderen zurück kommende heiligiste Blut in Priesterlichen Paramentis solenniter empfangen, und sodann auf Weiß und Art, wie gleich hernach solle gemeldet werden, mit zartister Andacht in die Kirchen übertragen.

Uebrigens ist sich bey diser jährlichen H. Blut-Procession nit wenig zu verwundern, daß währender solcher in so grossem Getümmel, bey so vilen entweders unerfahrenen oder ungewohnten Reittern kein sonders zugestandenes Unglück bißhero bemerket worden; da doch manchesmal höchst-gefährliche Fäll und Pferdt-Stürtzungen geschehen, daß alle Zusehende erstaunet, wann die Gefallene oder Gestürtzte gesund und unverletzt aufgestanden, und ohne alle Verhindernuß wie vor, so nach mit anderen fortgeritten seynd.

Mehr berührte Procession nimbt den Anfang Morgen[262] Früh um 6 Uhr, und erstrecket sich wegen ihrem theils Reitend- theils Gehenden Volkreichen Zug biß gegen- oder auch über 11 Uhr, da doch sonsten der gantze Umgangs-Kreiß in einer Stund beyläuffig durchloffen werden kunte. In der Widerkunfft wird das hochheilige Blut von dem gantzen Weingartischen Convent, und dessen jeweiligen Hochwürdigen Herrn Prälaten (wann nit etwann einem Geistlichen hochen Ehren-Gast sothane herrliche Kirchen-Function zu verrichten angetragen wird) in Pontificalibus andächtig empfangen, durch die gantze in schönster Ordnung gestellte Reitterey unter Absüngung deß 79. Psalmen: Qni. Regis Israël, intende: offentlich in die Kirchen getragen, und sodann darmit über das allgemeine liebe Vatterland, sonderlich über das Anwesende Fromme Christen-Volk der letste Segen gegeben, mithin die Procession zwar geendiget, aber der Anfang gemacht eines höchst-feyerlichen Hoch-Ambts von unserem gegenwärtigen heiligisten Seiten-Blut Christi Jesu, welches schon vor- und von vilen Jahren her beobachtet worden122.

122

Erster Theil. Gründlicher Bericht von dem Allerheiligisten Seiten-Blut Christi Jesu Welches In dem Gotteshauß Weingarten schon von langer Zeit her Ehrerbiethigst aufbehalten, und andächtigst verehret wird. Altdorff 1735. S. 144. § 1.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 259-263.
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