Eingang des fünften Gesang's des Mädchens von Orleans

[64] O Freunde! fangen wir ein christlich Leben an!

Wir können zu nichts Klüger'm uns entschliessen;[64]

Früh oder spät wird's doch geschehen müssen.

Ich selbst hing einst den lockern Burschen an,

Die kein Gesetz als ihre Lüste kannten,

Oft auf den Ball, und nie zur Messe rannten,

Die, ach; getäuscht vom jugendlichen Wahn,

Nur Gasterei'n und Freudenmädchen liebten,

Und ihren Witz an Gottesdienern übten.

Doch was geschieht? Der böse Knochenmann

Mit hohler Nas' und fürchterlicher Hiype

Schließt unsern Witzlingen die Lippe:

Ein hitzig Fieber, an dem Styr erzeugt,

Von Atropos1 zum Schweizer groß gesäugt,

Verrücket nun ihr Hirnchen. Gegenwärtig

Sind Priester und Notar; die Wärterin

Frägt ungescheut: Herr, sind sie reisefertig?

Wo wollen sie mit ihrem Leichnam hin? –

Nun kommt den Herr'n die Reue ungebeten,

Obgleich zu spät; der in den Todesnöthen

Frißt Lukaszettel, trinkt Walburgis Oel,

Und der verlobt sich nach Maria Zell.

Man betet, badet im geweihtem Thaue

Den Kranken, psalmodirt und plärrt Latein;

Allein, umsonst: schon harrt mit off'ner Klaue

Am Fuß des Betts der böse Satan sein.

Und wie das Seelchen dann des Leibes Schwelle

Verläßt, so hascht er es im Flug, und führt

Es fort mit sich zum tiefsten Schlund der Hölle,

Dem Ort, der Seelen dieser Art gebührt.

Fußnoten

1 Atropos, diejenige von dem Parzen oder Mören (Schickfalsgöttinen), welche den Faden des menschlichen Lebens abschneidet, und ohne Rücksicht mit ihrer furchtbaren Scheere den Tod der Sterblichen bewirkt.

D.H.


Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 64-65.
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