Dritte Szene

[12] Loidl – Josepha – Piccolo – dann Leopold, Martin, Joseph – dann die Portiers vom »Weißen Rößl«, von der »Post«, vom »Grünen Baum«, von der »Rudolfshöhe« – dann ein Gebirgsführer – eine Bäuerin – ein Bauernknabe – Gäste und Reisende – dann Mirzl, Resi, Franz – dann der Kapitän und der Bootsmann des Dampfers – ein Hochtourist – Dr. Bernbach mit Emmy – Rätin Schmidt – Melanie Schmidt – zuletzt Giesecke, Charlotte, Ottilie.


PICCOLO. Gnä' Frau! Die Köchin läßt fragen, ob's heut Backhähndel auf die Speisekarte setzen soll?

JOSEPHA. Wegen meiner!

LOIDL zum Piccolo. Backhähndel gibt's heut'? Du, hörst, da wird für mich eine Portion aufgehoben!

PICCOLO. Ist denn das net zu teuer für Sie?

LOIDL. Dummer Bua, wann's Betteln net mehr so viel tragen sollt', dann danket' ich für das ganze G'schäft!


Ein heiserer Pfiff ertönt hinter der Kulisse.


JOSEPHA. Jesses, da ist ja schon das Dampfschiff! Sie setzt die große Hotelglocke an der Haustüre in Bewegung.


Im Hintergründe entwickelt sich ein lebhaftes Treiben. Die Portiers vom »Weißen Rößl«, vom Hotel »Zur Post«, vom »Grünen Baum« und von der »Rudolfshöhe«, an deren Mützen die Namen der Gasthäuser angebracht sind, gehen an den Landungsplatz und stellen sich in Reih' und Glied auf. Sommergäste treten hinzu, um die Ankunft des Dampfen abzuwarten, teils in städtischer Sommertracht, teils in Gebirgskostüme gekleidet. Dorfkinder drängen sich hinzu, um später beim Tragen der Handkoffer ihre[12] Dienste anzubieten. Zwei Bäuerinnen treten hinzu, die je einen Korb mit Gemüse auf dem Kopf tragen und zwar auf einem farbigen Kopfpolster, wie sie im Gebirge üblich sind. Ein Dorfmädchen bietet Alpensträußchen feil, die auf einer Stange befestigt sind. Einige Gebirgsführer mit Rucksäcken und Gebirgsstöcken bilden weiter abseits eine Gruppe für sich.

Leopold und Franz treten unmittelbar nach dem Läuten heraus.


LEOPOLD. Da san' mer schon, gnä' Frau.

FRANZ. Immer auf dem Posten!


Martin kommt mit einem Schubkarren von rechts aus dem Haus und fährt zur Landungsstelle. Joseph, der zweite Hausdiener, folgt ihm.


JOSEPHA zu den Hausdienern. Joseph, Martin, gebt ordentlich acht auf das Gepäck! Wo ist denn das Stubenmadel?

MIRZL aus dem Haus tretend. Da bin i schon, gnä' Frau.

JOSEPHA. Ja, Mirzl, wie schauen's denn aus? Haben Sie denn keine frische Schürzen?

MIRZL eine frische Schürze umbindend. Ja, gnä' Frau, hab' mir schon eine mitgebracht.

JOSEPHA. Das Stubenmadel ist immer das erste, was sich die Fremden anseh'n. Wann's Stubenmadel net sauber is, – ist das ganze Hotel nix wert. Zu Franzl. Sie, Franz! Von gestern sind noch ein paar Portionen Lungenbraten übrig geblieben, die empfehlen Sie zuerst. Im ersten Hunger essen die Gäste alles!


Das Dampfschiff ist inzwischen sichtbar geworden und fährt langsam mit rauchendem Sehlot zur Mitte der Hinterbühne, während die Bergleute, die man im Vorderteil des Schiffes sieht, einen fröhlichen Ländler spielen. Der Kapitän steht in der Mitte, des Schiffes und kommandiert einige halbverständliche Worte in das Sprachrohr hinein. Der Bootsmann, wirft ein Seil auf die Bühne, das von einem Mann aufgefangen und am den Pfosten gewickelt wird. Dann läßt er die kleine Schiffsbrücke herunter, die vom Dampfer auf die Bühne gelegt

wird.


LOIDL während der Ankunft des Dampfers. Resi, geh' jetzt hinüber auf die Seit', ich will die Leut' auf der andren Seit' abfangen! Nur koanen auslassen!

KAPITÄN auf dem Schiff. Aussteigen, meine Herrschaften!

BOOTSMANN an der Schiffsbrücke. Bitt' um die Karten! Nimmt den aussteigenden Passagieren die Fahrkarten ab.

ERSTER PORTIER. »Hotel zur Post!«

ZWEITER PORTIER. »Zum grünen Baum!«

DRITTER PORTIER. »Zum Weißen Rößl!«

EINE DAME auf die Bühne kommend. Da bist du ja, Linerl!

BÄUERIN. Vielleicht ein Sträuß'l Alpenblumen g'fällig?[13]

SEPP. Wenn's vielleicht einen Führer gebrauchen?

BAUERNJUNGE zu einem Passagier. Darf ich die Handtaschen tragen, Euer Gnaden?

ERSTER PORTIER. »Hotel zur Post!«

DRITTER PORTIER. »Hotel Rudolfshöhe!«

ZWEITER PORTIER. »Zum grünen Baum!«

VIERTER PORTIER. »Zum Weißen Rößl!«

LEOPOLD zu zwei Herren, mit denen er schon vorher, leise gesprochen. Sehr schönes Zimmer wär' frei, – Aussicht auf den See! Zum anderen Kellner. Franz, die Herren auf siebenundzwanzig!

REISENDER zu Franz. Sie, ich möchte auch etwas essen, was können Sie denn empfehlen?

FRANZ. Ein sehr schöner Lungenbraten war da!

REUENDER. Gut, bringen Sie uns zwei Portionen.

PICCOLO. Bier oder Wein gefällig?

REISENDER. Zwei Glas Bier.

JOSEPHA an der Eingangstreppe vom Hotel zu den beiden Reisenden. Ich hoffe, meine Herren, daß es Ihnen im »Rößl« g'fallen wird!

REITENDER. Aber sicher ... wenn man das Glück hat, eine so hübsche ... Will sie in die Backen kneifen.

JOSEPHA schnell ausweichend und auf Mirzl zeigend. Bitt' schön, – das ist das Stubenmadel!

REISENDER. Ach so, dann entschuldigen Sie! Kneift Mirzl in die Wangen. Jedem das Seine!


Die beiden Herren ab in das Haus.

Josepha wendet sich zu den Gästen.


HOCHTOURIST in übertriebenem Gebirgskostüm, mit großem Bergstock, Eishacke und einer um die Schulter geschlungenen Seilrolle, zum Führer. Also morgen früh vier Uhr wecken Sie mich, da geht's hinauf auf den Dachstein!

SEPP. Schön, Euer Gnaden!

HOCHTOURIST. Sind denn die Wege schon schneefrei?

SEPP. Freili', Euer Gnaden! Die Eishacken werden's gar net brauchen.

HOCHTOURIST. Das macht nichts! Ich hacke doch! Wenn ich meinen Eispickel nicht mitnehmen kann, macht mir das Bergsteigen kein Vergnügen. Absteigen möcht' ich über den Höllerkogel.

SEPP. Aber Euer Gnaden, das geht ja kerzengrad! Von der Seit' ist noch kein Mensch abgestiegen.[14]

HOCHTOURIST. Eben deshalb! – Wenn ich der erste bin, dann kommt's in die Zeitung, und wenn ich nicht in die Zeitung komme, dann macht mir das ganze Bergsteigen kein Vergnügen! Zum Leopold. Was für eine Nummer habe ich denn?

LEOPOLD. Bitt' schön, Nummer zehn.

HOCHTOURIST zum Führer. Also merken Sie sich das, wegen des Weckens!

SEPP. Wird pünktlich besorgt, Euer Gnaden! Schnell ab links.

JOSEPHA zu Leopold. Aber was machen's denn da? Nummer zehn ist doch besetzt! Nummer vierzehn ist frei!

HOCHTOURIST. Gut, da nehme ich eben Nummer vierzehn. Aber sagen Sie jedenfalls dem Führer Bescheid! Ab in den Speisesaal.

DR. BERNBACH seine Frau am Arm führend. Also, wir können für eine Nacht hier Unterkunft haben?

LEOPOLD. Aber gewiß, Euer Gnaden! Wünschen Sie ein Zimmer im ersten oder im zweiten Stock?

DR. BERNBACH. Das ist uns ganz gleich.

LEOPOLD. Vielleicht mit Aussicht auf den See?

EMMY an Bernbachs Arm, einen Strauß tragend. Das ist uns ganz gleich.

LEOPOLD. Mit oder ohne Balkon?

BERNBACH mit gesteigertem Ton. Das ist uns ganz gleich.

JOSEPHA. Franz, die Herrschaften auf Nummer sechsunddreißig!

LEOPOLD. Wollen's net wenigstens erst anschau'n, das Zimmer?

EMMY. Aber das ist ja ganz gleich! Mit Bernbach ab in das Haus.

LEOPOLD. Das sein ja merkwürdige Gäst'!

JOSEPHA. Aber haben's denn net g'sehn? Das san doch Hochzeitsreisende! ... Wenn die nur überhaupt a Zimmer kriegen!

LEOPOLD. Hochzeitsreisende! O Gott! O Gott! Zu Josepha. Na, heute san doch g'nug Gäste kommen?

JOSEPHA. Aber der Doktor Siedler ist ausgeblieben – und der wär mir lieber g'wesen als alle anderen zusammen.

LEOPOLD wütend. Immer dieser Dr. Siedler!

MELANIE SCHMIDT kommt mit einer alten Dame in den Vordergrund. Nein, ist das aber hier herzig! – Da muß ich doch gleich meiner Freundin Betty eine Ansichtskarte schicken!

JOSEPHA. Die haben wir sehr schön drin im Speisezimmer! Mit einem sehr hübschen Bilderl! Darf i schön bitt'n? Voraus in den Speisesaal.[15]

MELANIE. Bilderl! ... Wie das klingt! Diese österreichische Mundart ist doch zu herzig! Wenn ich dagegen an unser Berlinisch denke!

RÄTIN SCHMIDT. Ein Glück, daß man's hier nicht zu hören bekommt.


Giesecke noch auf dem Schiff, in einem langen Lodenmantel, setzt sehr energisch in ausgeprägter Berliner Mundart ein.


GIESECKE. Na, det Jeschäft is richtig.

RÄTIN SCHMIDT entsetzt. Da ist ja ein Berliner!

GIESECKE vom Schiff herüberrufend. Aber jewiß doch! Haben Sie schon mal ne Jegend ohne Berliner gesehen? Ich nicht!

MELANIE. Komm' nur, Mama! Ab in den Speisesaal.

GIESECKE zum Bootsmann. Also machen Sie mit mir keenen Krach! Ich habe sie doch nicht mehr.

CHARLOTTE auch auf dem Schiff. Was ist denn, Wilhelm?

GIESECKE. Die Billetts habe ich verloren!

BOOTSMANN. Tut mir leid, Euer Gnaden – aber ohne Karten kann ich Sie nicht vorbeilassen.

GIESECKE sich wieder hinsetzend. Schön! Dann bleiben wir eben drauf auf die Jondel! Sie werden uns schon irgendwo abladen.

OTTILIE im Ischler Bauernkostüm, noch auf dem Schiff. Aber Papa, wegen des einen Guldens! Zum Bootsmann. Geben Sie uns neue Billets!

BOOTSMANN. Ja, das ist etwas anderes.


Giesecke verläßt mit seinen Damen das Schiff und kommt nach vorn. Der Bootsmann gibt mit der Schiffsglocke das Signal zum Einsteigen. Die Bäuerinnen mit ihren Gemüsekörben steigen auf den Dampfer und setzen dort ihre Körbe nieder. Passagiere folgen ihnen, und der Dampfer setzt sieh in Bewegung. Die Bühne ist inzwischen bis auf die handelnden Personen leer geworden, nachdem noch das letzte Gepäckstück vom Schiff auf die Bühne geladen wurde.


Quelle:
Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg: Im weißen Rössl. Berlin 16[o.J.], S. 12-16.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Im weißen Rößl
Im weißen Rößl

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon