Siebente Szene

[23] Siedler – dann Josepha.


SIEDLER von links auf die Bühne radelnd. Da sind wir ja wieder. Das nenne ich einen Willkommen. Zitherschlag! Sonnenschein! Und Gesang! Da lacht einem ja gleich der ganze Sommer entgegen.

JOSEPHA aus dem Haus kommend. Mit großer Freude und Herzlichkeit. Jesses – Herr Doktor – da sind's ja doch noch kommen – das is aber schön, daß Sie Wort g'halten haben!

SIEDLER. Ja, haben Sie denn daran gezweifelt? Ihr die Hand drückend. Natürlich bin ich wieder da, meine liebe Frau Josepha! Und ich bin glücklich, daß ich noch alles auf dem alten Fleck finde. Da ist es ja wieder, das liebe Haus, mein altes Wanderziel, und der See und der Wald und Du auch Zum Gebirg hinaufdeutend. mit dem eisgrauen Gipfel! Grüß Dich Gott, Alter! Ich freue mich ja kindisch, daß wir uns wiedersehen.

JOSEPHA. Und wie ich mich erst freue, daß Sie wieder da sind!

SIEDLER. Eigentlich muß ich mich ja schämen – in jedem Jahr nehme ich es mir vor: »Nun ist es aber Zeit, daß du endlich wo anders hingehst! Die Welt ist ja so groß!« Und wenn es dann wieder so weit ist? ... Na, Sie sehen ja! ...

JOSEPHA. Und recht haben's g'habt! Ich war ja schon ganz traurig, wie ich Sie net auf dem Schiff g'sehen hab'. Sind Sie denn mit dem Zug gekommen?

SIEDLER. Ach was! Geradelt bin ich von München bis hierher! Sehen Sie, Frau Josepha, das müssen Sie auch noch lernen![23]

JOSEPHA. Na, sein's so gut! Eine radelnde Gastwirtin, mit dem Schlüsselbund an der Lenkstangen ... ich danke!

SIEDLER. Hilft Ihnen alles nichts! Übers Jahr radeln Sie doch, und hübsch werden Sie aussehen! Sie diskret musternd. Sie haben so alles, was dazu gehört!

JOSEPHA etwas verschämt sich abwendend. Aber Herr Doktor!

SIEDLER. Nein, nein! Lassen Sie sich nur mal ansehen! ... Sapperment, wissen Sie, daß Sie noch hübscher geworden sind?

JOSEPHA scherzend. Aber das war ja gar nimmer möglich!

SIEDLER. Und dabei immer noch Witwe? Ja, sind denn die Leute hierzulande blind?

JOSEPHA. Ui jeh! Wann i nur g'wollt hätt'! Das Gasthaus zum »Weißen Röß'l« würd' gar mancher gern heiraten und nähm die Wirtin auch mit in Kauf! Wann i nur mögen möcht'! – Da konnt' ich dem Herrn Pfarrer schon längst was zum Verdienen geben!

SIEDLER. Na also, warum wollen Sie denn dem alten Mann nichts zukommen lassen?

JOSEPHA. Weil ich den doch nicht krieg', den ich gern haben möcht'!

SIEDLER. Ja, – »möcht« er denn nicht auch?

JOSEPHA. Bewahre, für den Mann bin ich ja viel zu gering.

SIEDLER. Erlauben Sie mal, was kann der Mann mehr beanspruchen? Und wenn Sie weiter nichts in die Ehe mitbringen als Ihre vergnügten Augen und die frischen Lippen und den schönen Hals und ... und ... Abbrechend. Na ja! Ich sage Ihnen, das ist eine Mitgift, wie man sie manchmal in den reichsten Familien nicht kriegt! ... Ja, was will er denn noch, der Mann?

JOSEPHA. Gar nix! Gott sei Dank ... er weiß überhaupt nicht, wie gut ich ihm bin!

SIEDLER. Das hat er nicht gemerkt? Nehmen Sie mir's nicht übel, aber dann muß das ja ein ganz dummer Kerl sein!

JOSEPHA. O nein! Das ist ein sehr gescheiter Herr!

SIEDLER. Darin irren Sie sich! Wenn ich es Ihnen doch sage! Mit dem Mann werde ich überhaupt mal reden. Ich werde ihm schon den Kopf zurecht setzen.

JOSEPHA lachend. Ja, ja, tun Sie's nur!

SIEDLER. Aber im Ehekontrakt – das sage ich Ihnen – da lautet der Paragraph eins: »Der Dr. Siedler wird immer gut aufgenommen im ›Röß'l‹, und ... in jedem Jahr kriegt er sein altes Zimmer!«[24]

JOSEPHA. Aber das wartet ja schon auf Sie!

SIEDLER. Und wie ich erst auf das Zimmer gewartet habe – zehn Monate lang. Glauben Sie mir, es ist ja kein Eigensinn, wenn ich immer wieder Auf den Balkon zeigend. da hinein will! Aber wenn ich die alten vier Wände wiedersehe, wo mir jeder Winkel vertraut ist, und ich trete auf den Balkon heraus, wo ich so oft gesessen habe und geträumt ... da ist es mir gerade, als hätte es zwischen meiner Abreise und meinem Wiederkommen gar keinen Winter gegeben, und als ginge gleich ein Sommer in den anderen über! Ach! Ich sage Ihnen ..., ich freue mich wie ein Schuljunge! Übermütig. Da bin ich wieder!


Er wirft seine Radfahrermütze auf den Balkon und trifft damit den heraustretenden Giesecke in das Gesicht.


Quelle:
Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg: Im weißen Rössl. Berlin 16[o.J.], S. 23-25.
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