Zehnte Szene

[47] Giesecke – Siedler – Kathi.


KATHI aus dem Hotel. Bitt' schön! Ein eingeschriebener Brief aus Sangerhausen für Herrn von Giesecke.

GIESECKE. Geben Sie nur her!

KATHI ihm zunächst den Postschein übergebend. Darf ich auch um eine Legitimation bitten?

GIESECKE den Postschein unterschreibend. Wieso denn?

KATHI. Ja, sonst darf ich Ihnen den Brief nicht ausfolgen.

GIESECKE. Erlauben Sie, – es nimmt doch kein Mensch auf einer Gebirgsreise eine Postvollmacht mit.

KATHI. Na, das wäre auch ja net nötig, wenn Sie nur jemand ausweist Vielleicht ist der Herr Doktor Siedler so freundlich? Zu Siedler. Sie sind ja auch aus Berlin, kennen Sie vielleicht den Herrn?[47]

SIEDLER. Bedaure, habe nicht das Vergnügen!

GIESECKE. Erlauben Sie mal!

SIEDLER. Früher kannte ich allerdings einen Herrn Giesecke, aber den habe ich soeben vollständig vergessen.

GIESECKE. Na, det Jeschäft ist richtig!

KATHI achselzuckend. Ja dann ...

GIESECKE. Aber wenn ich Ihnen nun sage, daß ich den Brief mit größter Ungeduld erwarte, können Sie denn nicht auf mein ehrliches Gesicht ...

KATHI. Tut mir sehr leid, aber meine Vorschrift ...

GIESECKE. Na, dann hilft's also nichts. Zu Siedler gehend, mit komischer Förmlichkeit. Dann erlauben Sie wohl, daß ich mich Ihnen wieder vorstelle. – Wilhelm Giesecke.

SIEDLER. Sehr angenehm, habe schon viel von Ihnen gehört. Sich vorstellend. Otto Siedler! Mit besonderer Betonung. Rechtsanwalt!

GIESECKE. Auch angenehm ... Habe auch von Ihnen schon viel gehört! Und nun sind Sie wohl so gut?

SIEDLER. Aber gern! Zu Kathi. Ich kenne den Herrn.

KATHI den Brief an Herrn Giesecke übergebend. Alsdann bitt' schön.

GIESECKE. Na endlich! Kneift Kathi in die Backen. Das erstemal, daß ich einen Briefträger in die Backen gekniffen habe! Öffnet den Brief.

SIEDLER zu Kathi. Sie können ganz ruhig sein. Ich werde es später dem Postmeister bestätigen. Gibt ihr ein Trinkgeld.

KATHI. Aber bitte, wenn Sie es sagen – wir kennen den Herrn von Siedler ja schon seit sieben Jahren. Hab' die Ehre! Ab hinten rechts.

GIESECKE der inzwischen den Brief gelesen hat, mit großer Freude. Na, das hätten wir ja also gefingert, und da wir uns nun doch wieder kennengelernt haben ... kommen Sie mal her!

SIEDLER. Sie wünschen?

GIESECKE. Nun werde ich Ihnen einmal zeigen, daß ich doch ein hellerer Kopf bin, als Sie glauben, wenn ich auch kein Rechtsanwalt bin. Siedler den Brief zeigend. Kennen Sie die Handschrift?

SIEDLER. Ah, von Herrn Sülzheimer.

GIESECKE. Jawoll. Ich habe ihm nämlich auch einen Vorschlag gemacht, und soeben zeigt er mir an, daß er darauf eingeht.

SIEDLER. Wahrhaftig?[48]

GIESECKE. Es handelt sich jetzt nur noch darum, daß die Geschichte recht diplomatisch gedeichselt wird.

SIEDLER. Nun, Herr Giesecke, ich bin nicht eigensinnig, und wenn mein Klient sich auf einem anderen Wege mit Ihnen verständigen will, so werde ich Sie jedenfalls unterstützen.

GIESECKE. Das wollen Sie wirklich?

SIEDLER. Gewiß, und ich habe es sogar schon Ihrem Fräulein Tochter versprochen.

GIESECKE. Um meine Tochter handelt es sich gerade.

SIEDLER verwundert. Um das gnädige Fräulein? Verzeihen Sie, daß ich das nicht gleich begreife ... aber ich sehe wirklich keinen Zusammenhang zwischen Ihrer Tochter und Ihren Glühstrümpfen.

GIESECKE. Ja, Sie wissen vielleicht nicht, daß Herr Sülzheimer einen. Sohn hat?

SIEDLER. Das weiß ich allerdings. Aber meines Wissens hat er sich doch nicht seinen Sohn patentieren lassen, sondern seine Beleuchtungskörper.

GIESECKE. Aber Menschenskind, sehen Sie denn nicht, wo ich hinaus will? Wenn die jungen Menschen sich kennenlernen und finden Gefallen aneinander und heiraten sich, dann legen wir einfach die Strümpfe zusammen, und die Sache ist in Ordnung. Sehen Sie, das nenne ich einen Vergleich schließen!

SIEDLER. Und die Hand Ihrer Tochter ist das Vergleichsobjekt. Ja, was sagt denn das gnädige Fräulein dazu?

GIESECKE. Die weiß vorläufig noch gär nichts, aber wenn der junge Herr Sülzheimer erst hier ist ...

SIEDLER. Was, Sie erwarten ihn?

GIESECKE. Natürlich! Er kann jeden Augenblick hier eintreffen! Hören Sie doch nur, was der Alte mir schreibt. Den Brief vorlesend. »In postwendender Erledigung Ihres geschätzten Schreibens habe ich soeben meinen Sohn nach dort geschickt, um sich Ihnen vorzustellen. Den Zweck seiner Reise habe ich ihm vorläufig verschwiegen, damit die jungen Leute sich ganz unbefangen kennenlernen. Ihre weiteren Nachrichten gern abwartend, hochachtungsvoll C.F. Sülzheimer«. Entzückt. Was der Mann für einen Stil schreibt. Großartig!

SIEDLER. So so ... Jetzt verstehe ich! Also der junge Mann reist gewissermaßen mit versiegelter Ordre![49]

GIESECKE. Das ist ja eben der Witz. So auf Reisen, da läßt sich das zwangslos machen, und wissen Sie, im Gebirge gerade – da fädelt sich so etwas viel leichter ein.

SIEDLER. Natürlich ... Dazu sind ja die Gebirge hauptsächlich da.

GIESECKE. Und sehen Sie, Doktorchen, dabei könnten Sie mir eigentlich noch helfen.

SIEDLER. Bei dem Einfädeln?

GIESECKE. Ja! Na – was sagen Sie zu dem Plänchen?

SIEDLER. Ich muß sagen, ungemein sinnreich.

GIESECKE. Und dabei so einfach.

SIEDLER. Ja – und so billig. Du, der alte Sülzheimer, gibst mir dein Patent, und du, der junge Sülzheimer, bekommst dafür meine Tochter – wie auf der Börse, ich gebe, ich nehme! Abgemacht! – Mein Kompliment, Herr Giesecke – darauf wäre ich nicht gekommen.

GIESECKE stolz. Ja, ich habe aber auch lange dar über nachgedacht.

SIEDLER. Schade, daß Sie nicht im fünfzehnten Jahrhundert in Verona gelebt haben! – Wenn Sie der alte Capulet gewesen wären, Sie hätten einfach dem alten Montecchi einen bewährten Heiratsvermittler geschickt, mit einem Auszug aus Ihrem Giro-Conto auf der Reichsbank ... und Romeo und Julia wären die glücklichsten Leute geworden.

GIESECKE. Ich weiß gar nicht, was Sie mir da von Capulet und Julia erzählen, die Leute kenne ich ja gar nicht.

SIEDLER. Erlauben Sie mir nur eine einzige Frage ... wenn nun der junge Sülzheimer Ihrer Tochter nicht gefällt?

GIESECKE. Ach Gott – wissen Sie – da muß man eben gehörig zureden.

SIEDLER. Zureden? So, so! Und Sie glauben, das hilft?

GIESECKE vertraulich. Was meinen Sie, was sie meiner Frau haben zureden müssen, bis sie mich genommen hat. Und nachher bin ich doch ganz glücklich geworden. Und sehen Sie, Doktor – wenn Sie mir da beistehen wollen ...

SIEDLER. Bei dem Zureden?

GIESECKE. Ja, es ist doch Ihr Jeschäft. Ich kann ja die Rechtsanwälte offen gestanden nicht leiden – aber eins muß man ihnen lassen – reden können die Brüder.

SIEDLER. Na, etwas müssen wir doch können.

GIESECKE. Und dann wissen Sie auch besser mit Liebesgeschichten Bescheid als ich. Ich habe mich in den letzten zehn Jahren so viel mit den Lampen beschäftigt, da verlernt man das.[50]

SIEDLER. Aber wissen Sie denn auch, Herr Giesecke, was Sie da von mir verlangen? Wie denken Sie sich denn eigentlich meine Tätigkeit bei dem »Einfädeln«?

GIESECKE. Na, vor allen Dingen müßten Sie das Vertrauen meiner Tochter gewinnen.

SIEDLER. Das ist allerdings mein ehrlicher Wunsch.

GIESECKE. Dann müßten Sie ihr so recht zu Herzen reden.

SIEDLER. Das wird freilich die Hauptsache sein.

GIESECKE. Und nicht eher dürfen Sie locker lassen, als bis sie »Ja« gesagt hat.

SIEDLER. Sehr richtig. Aber, sehen Sie, Herr Giesecke, wenn ich das erreichen soll, dann müssen Sie mir auch recht oft Gelegenheit geben, Ihr Fräulein Tochter zu sehen.

GIESECKE. Mach' ich.

SIEDLER. Und ungestört mit ihr allein zu sprechen.

GIESECKE gesteigert. Mach' ich.

SIEDLER. Ja, dann allerdings, Herr Giesecke, zögere ich keinen Augenblick mehr, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen, und wenn mir der Himmel nur ein bißchen gnädig ist, dann verspreche ich Ihnen – Sie werden das Salzkammergut nicht verlassen, ohne daß Ihre Tochter verlobt ist.

GIESECKE. Abjemacht? Ihm die Hand reichend.

SIEDLER einschlagend. Abjemacht.

GIESECKE. Ach, Doktor – wenn Sie mir das durchsetzen, ich sage Ihnen, Sie kriegen ein Honorar von mir ... ein Honorar ...

SIEDLER ablehnend. Aber, Herr Giesecke.

GIESECKE. Zeit Ihres Lebens liefere ich Ihnen die Jlühstrümpfe für Ihr Bureau umso ... Will »umsonst« sagen, hält aber plötzlich inne und fährt dann fort. um so viel billiger wie irgend möglich! Geben Sie mir Ihre Hand, Doktor – Sie sind zwar Rechtsanwalt, aber trotzdem ein sehr netter Mensch.

SIEDLER. Ich danke Ihnen im Namen aller meiner Kollegen.


Quelle:
Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg: Im weißen Rössl. Berlin 16[o.J.], S. 47-51.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Im weißen Rößl
Im weißen Rößl

Buchempfehlung

Anonym

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.

298 Seiten, 15.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon