Vierte Geschichte

[487] Chichibio, der Koch des Currado Gianfigliazzi, verwandelt durch einen schnellen Einfall den Zorn des Currado in Gelächter und rettet sich vor dem Unheil, mit dem dieser ihn schon bedroht hatte.


Schon schwieg Lauretta, und die Nonna war von allen auf das höchste gelobt worden, als die Königin der Neifile fortzufahren gebot. Diese also begann zu sprechen:

Ihr liebreichen Mädchen, obwohl ein schneller Verstand oft dem Redenden je nach den Umständen treffende und kluge Einfälle an die Hand gibt, so kommt doch das Glück zu Zeiten auch den Furchtsamen zu Hilfe und legt ihnen plötzlich Worte auf die Zunge, welche der Sprechende in ruhigen Augenblicken hätte nie zu ersinnen vermocht. Davon denke ich euch durch meine Geschichte ein Beispiel zu geben.

Currado Gianfigliazzi war, wie jede von euch gesehen und gehört haben mag, stets ein gar freigebiger und gastfreier adeliger Bürger unserer Stadt, der – seiner wichtigeren Leistungen[487] für jetzt zu schweigen – ein ritterliches Leben führte und sich stets mit Hunden und Beizvögeln vergnügte. Als dieser nun eines Tages unfern von Peretola mit einem seiner Falken einen Kranich getötet und diesen jung und fett gefunden hatte, schickte er ihn seinem guten Koch, der Chichibio hieß und ein Venezianer war, und ließ ihm sagen, daß er ihn zum Abendessen braten und wohl zubereiten solle. Chichibio, der wie ein Bruder Leichtfuß aussah und auch wirklich einer war, rupfte den Kranich, steckte ihn an den Spieß und begann ihn sorgsam zu braten. Fast war er schon gar und verbreitete einen prächtigen Wohlgeruch, als ein Dirnchen aus der Umgegend, das Brunetta hieß und in das Chichibio gewaltig verliebt war, in die Küche trat. Kaum roch sie den Duft des Bratens und sah den Kranich am Spieß, so gab sie dem Chichibio die besten Worte, daß er ihr einen Schenkel davon abschneiden möchte. Chichibio antwortete singend: »Ihr kriegt ihn nicht, Donna Brunetta, Ihr kriegt ihn nicht von mir.« Darüber wurde denn das Dirnchen ganz zornig und sagte: »Nun, so wahr wie Gott lebt, gibst du mir nicht einen Schenkel, so kriegst du von mir nicht das mindeste, wozu auch immer du Lust haben magst.« Am Ende löste Chichibio, um sein Mädchen nicht böse zu machen, wirklich einen Schenkel ab und gab ihn ihr.

Als indes dem Currado und seinen paar Gästen der Kranich mit einem Schenkel vorgesetzt ward, ließ jener voll Erstaunen den Chichibio rufen und fragte ihn, was mit dem andern Schenkel geworden sei. Der lügenhafte Venezianer antwortete sogleich: »Herr, die Kraniche haben nur einen Schenkel und ein Bein.« Zornig erwiderte Currado: »Was, zum Teufel, sie hätten nur einen Schenkel und ein Bein? Als ob das der erste Kranich wäre, den ich zu sehen bekomme!« Chichibio aber blieb dabei und sprach: »Herr, es ist so, wie ich Euch sage, und beliebt es Euch, so werde ich es Euch an den lebendigen zeigen.« Currado wollte mit Rücksicht auf die Fremden, die er bei sich hatte, den Wortwechsel nicht weiter fortsetzen; darum antwortete er: »Weil du denn sagst, daß du mir an den lebendigen Vögeln zeigen willst, was ich allerdings noch nie gesehen oder von andern gehört habe, so will ich mir morgen früh die Sache ansehen. Aber beim Leibe Christi, das schwöre ich dir,[488] wenn es sich anders verhält, so lasse ich dich zurichten, daß du mich dein Leben lang in schlechter Erinnerung behalten sollst.«

So endete der Streit für diesen Abend. Am andern Morgen aber erhob sich Currado bei Tagesanbruch noch gar zornig, denn der Ärger hatte ihn nicht schlafen lassen, und gebot, daß die Pferde vorgeführt würden. Dann ließ er den Chichibio auf ein Rößlein aufsitzen und ritt mit ihm nach einer Niederung, wo man am Flußufer in der Morgenfrühe Kraniche anzutreffen pflegte. Im Reiten aber sagte er: »Nun werden wir ja sehen, wer gestern gelogen hat, ich oder du.«

Als Chichibio merkte, daß Currados Zorn noch andauerte und er seiner Lüge überführt werden sollte, ritt er in der größten Angst von der Welt hinter Currado her und wäre gern geflohen, wenn es sich hätte tun lassen. Da sich aber dazu keine Gelegenheit bot, blickte er bald vor-, bald rückwärts, bald nach beiden Seiten, und alles, was ihm vor die Augen kam, schien ihm auszusehen wie Kraniche, die auf zwei Beinen standen. Endlich, als sie schon in die Nähe des Flusses gelangt waren, erblickte er, früher als einer der übrigen, am Ufer wohl ein Dutzend Kraniche, die sämtlich, wie diese Vögel schlafend zu tun pflegen, auf einem Beine standen. Da zeigte er sie schleunigst dem Messer Currado und rief: »Herr, nun könnt Ihr deutlich erkennen, daß ich Euch gestern abend die Wahrheit gesagt habe, wenn ich behauptete, die Kraniche hätten nur einen Schenkel und ein Bein. Seht nur die alle, die dort stehen.« Als Currado sie gewahr wurde, sagte er: »Warte nur, ich will dir schon zeigen, daß sie ihrer zweie haben.« Und indem er ein wenig näher heranritt, rief er: »Ho, ho!« Aufgeschreckt durch diesen Ruf, ließen die Kraniche alsbald den andern Fuß nieder und flogen nach wenigen Schritten alle davon. Da wandte sich Currado zu Chichibio und sprach: »Nun, du Naschmaul, was meinst du jetzt? Glaubst du nun, daß sie zwei Beine haben?« Chichibio war ganz bestürzt, und ohne selbst zu wissen, woher ihm die Antwort zufiel, entgegnete er: »Freilich, Herr, freilich, aber dem Kranich von gestern habt Ihr nicht ›Ho, ho!‹ zugerufen; denn hättet Ihr das getan, hätte er sicher das andere Bein ebenso ausgestreckt, wie vorhin diese hier.«

Den Currado ergötzte diese Antwort so sehr, daß all sein[489] Zorn sich in Scherz und Lachen verkehrte, und er antwortete: »Chichibio, du hast recht, das hätte ich freilich tun sollen.« So also entging Chichibio durch eine schnelle und scherzhafte Erwiderung dem Unheil und wendete den Zorn seines Herrn von sich ab.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 487-490.
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