Sechste Geschichte

[492] Michele Scalza beweist einigen jungen Leuten, daß die Baronci das adeligste Geschlecht in der Welt und in der Maremma sind, und gewinnt damit eine Mahlzeit.


Noch lachten die Damen über Giottos treffliche Antwort, als die Königin der Fiammetta fortzufahren gebot, und diese folgendermaßen zu reden begann:

Daß Panfilo vorhin die Baronci erwähnte, die ihr, liebe Mädchen, vielleicht kennt, hat mir eine Geschichte ins Gedächtnis zurückgerufen, welche, ohne von unserer Aufgabe abzuweichen, dartut, wie alt ihr Adel ist, und die ich euch nun zu erzählen gedenke.

Noch ist es nicht lange her, daß in unserer Stadt ein junger Mann, mit Namen Michele Scalza, lebte, welcher der spaßhafteste[492] und ergötzlichste Gesell von der Welt war und immer die absonderlichsten Einfälle bei der Hand hatte. Deshalb sahen die jungen Florentiner, sooft sie eine muntere Gesellschaft veranstalteten, es besonders gern, wenn sie ihn dafür gewinnen konnten. Als er nun eines Tages mit einigen andern zu Mont' Ughi war, geschah es, daß sich unter ihnen ein Streit entspann, welches von den Florentiner Geschlechtern wohl das edelste und älteste sei. Einige sagten die Uberti, andere die Lamberti, der nannte die Familie und jener eine andere, ein jeder, wie er es eben verstand.

Während Scalza ihnen zuhörte, begann er zu lächeln und sagte: »Geht doch, geht, ihr Tröpfe, die ihr seid. Ihr wißt alle nicht, was ihr redet. Das edelste Geschlecht und das älteste, nicht nur in Florenz, sondern in der ganzen Welt und auch noch in der Maremma, sind die Baronci, und darüber sind die Philosophen und jeder andere, der sie so kennt, wie ich sie kenne, schon lange einig. Damit ihr aber nicht denkt, ich rede von jemand anderem, so sage ich euch, daß ich die Baronci von Santa Maria Maggiore meine, die eure Nachbarn sind.« Die jungen Leute hatten wirklich geglaubt, daß er von andern rede. Bei diesen letzten Worten aber lachten sie ihm ins Gesicht und sprachen: »Du willst uns zum Narren haben, als ob wir die Baronci nicht ebensogut kennten wie du.« »Nein«, sagte Scalza, »bei den heiligen Affenkehlen, das will ich nicht. Ich sage die Wahrheit, und wenn einer unter euch Lust hat und will eine Mahlzeit wetten für sechs Tischgäste, die der Gewinner nach Belieben bestimmen kann, so setze ich gern dagegen. Und noch mehr will ich tun: ich will mich dem Schiedsspruch eines jeden, den ihr haben wollt, unterwerfen.« Da sagte einer von den andern, der Neri Mannini hieß: »Nun, ich bin's zufrieden, die Mahlzeit zu gewinnen.« Hierauf einigten sich beide, daß Piero di Fiorentino, in dessen Hause sie sich eben befanden, Schiedsrichter sein solle, und gingen sofort zu ihm hin. Die andern aber folgten ihnen alle, um zu sehen, wie Scalza die Wette verlöre, und ihn dann zum besten zu haben.

Nachdem sie dem Piero ihre Wette erzählt hatten, hörte dieser, der ein verständiger junger Mann war, sich zuerst an,[493] was Neri vorzubringen hatte, und wandte sich sodann mit den Worten an Scalza: »Nun, wie willst du jetzt beweisen, was du behauptest?« Scalza antwortete: »Wie? Mit solchen Gründen will ich es beweisen, daß nicht nur du, sondern jeder, der es jetzt leugnet, selbst zugestehen soll, daß ich die Wahrheit sage. Ihr wißt, je älter die Geschlechter sind, desto adeliger sind sie, und das war ja auch vorhin euer aller Meinung. Sind nun die Baronci älter als irgendein anderes Geschlecht, so sind sie auch am adeligsten. Wenn ich euch also beweise, daß sie die älteste Familie sind, so habe ich ohne Zweifel die Wette gewonnen.

Ihr müßt wissen, daß unser Herrgott die Baronci zu einer Zeit gemacht hat, wo er erst angefangen hat, malen zu lernen. Alle anderen Menschen sind aber erst geschaffen worden, als er das Malen schon konnte. Um zu sehen, daß ich die Wahrheit sage, so gebt nur einmal auf die Baronci und auf andere Leute acht. Während ihr alle andern mit wohlgebildeten Gesichtern, in denen die einzelnen Teile im richtigen Verhältnis zueinander stehen, seht, könnt ihr wahrnehmen, daß unter den Baronci der eine ein übermäßig langes und schmales Gesicht hat, während dafür das des andern über alle Maßen breit ist. Dieser hat eine gewaltige lange Nase, jener eine kurze; das Kinn eines dritten steht weit vor und ist nach oben gekrümmt, die großen Kinnbacken aber gleichen denen eines Esels. Ja es gibt deren, die ein großes und ein kleines Auge haben, und das eine höher stehend als das andere. Kurz, ihre Gesichter sehen ganz so aus wie die, welche die Kinder machen, wenn sie erst eben anfangen, zeichnen zu lernen. So ergibt sich denn, wie ich euch sagte, gar deutlich, daß unser Herrgott sie gemacht hat, als er erst malen lernte. Daraus folgt aber, daß sie älter sind als die andern Geschlechter und mithin auch adeliger.«

Daß die Baronci wirklich so aussehen, war sowohl dem Piero, der Schiedsrichter sein sollte, als auch dem Neri, der um die Mahlzeit gewettet hatte, und jedem der andern erinnerlich. Daher fingen sie denn bei der spaßhaften Begründung, die Scalza vorbrachte, sämtlich zu lachen an und versicherten wie aus einem Munde, Scalza habe recht, die Mahlzeit gehöre ihm und die Baronci seien ohne jeden Zweifel das adeligste und[494] älteste Geschlecht, das man nicht nur in Florenz, sondern in der ganzen Welt, die Maremma eingeschlossen, finden könne.

Und darum hat Panfilo vorhin, als er die Häßlichkeit von Messer Foreses Gesicht beschreiben wollte, mit Recht sagen dürfen, daß es selbst einen von den Baroncis noch verunziert hätte.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 492-495.
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