XIV.

[33] Wer spricht, daß Gott barmherzig sei

Allein, und nicht gerecht dabei,

Der hat Vernunft wie Gäns' und Säu'.


Ein Narr mit einem Pferdejoch auf dem Nacken, einer Büchse um den Hals und einem Salblöffel in der Hand, sonst halb nackt, nähert sich einem Viehstalle, wo Gänse und Säue aus dem Troge fressen.


Von Vermessenheit gegen Gott.

Der schmiert sich wohl mit Eselsschmalz

Und hat die Büchse an dem Hals,

Wer sprechen darf, daß Gott der Herr

Barmherzig sei und zürn' nicht sehr,

Wenn man auch etwa Sünd' vollbringe,

Und wägt die Sünden so geringe,

Daß er sie für ganz menschlich nimmt.

»Den Gänsen sei doch nicht bestimmt

Von Gott des Himmelreiches Pracht,

Drum hab' man allzeit Sünd' vollbracht

Und fang' nicht erst von Neuem an.«

Die Bibel er erzählen kann

Und andere Historien viel,

Daraus er doch nicht merken will,

Daß Strafe überall darnach

Geschrieben steht mit Rach' und Plag',

Und daß es Gott nie lang' vertrug,

Wenn man ihn auf den Backen schlug.

Gott ist kein Böhme und Tatar,

Doch ihre Sprache ist ihm klar;[33]

Ist sein Erbarmen noch so groß,

Ohn' Zahl, Gewicht und Maße los,

So bleibt doch die Gerechtigkeit

Und straft die Sünd' in Ewigkeit

An Allen, die nicht thuen recht,

Gar oft bis in das neunte Geschlecht.

Barmherzigkeit nicht lang' besteht,

Wenn Gottes Gerechtigkeit vergeht.

Wahr ist's, der Himmel kommt nicht zu

Den Gänsen; doch auch keine Kuh,

Kein Narr, Aff', Esel oder Schwein

Kommt je ins Himmelreich hinein;

Denn was gehört in des Teufels Zahl,

Das nimmt ihm Niemand überall.

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 33-34.
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