Am Vorabend von Rosens Geburtstag

[388] Lauschend am Fenster sitzt der Poet. –

Draußen die Blumen und Pflänzchen

Halten ihr Abendkränzchen

Auf dem Gartenbeet.


Der Mond in Silberlivree,

Leise geschäftig,

Kredenzt den Tau, den Blütentee,

Anregend und kräftig.


Und von Kelch zu Kelche

Geht ein Geflüster:

Also morgen ist er!


Frau Ehrenpreis (Veronika).


Ja, morgen feiert sie

Ihren werten Entsprießungstag –


Taubnessel (mit dem Hörrohr).


Hä, was? Hä, welche?


Frau Ehrenpreis (lauter).


– – Drüben im Garten die schöne Frau Rose – –


Taubnessel.


Ah! mit den zwei Knospen die!


Frau Ehrenpreis.


– – die tadel- und dornenlose – –


Distel (für sich).


Wer's glauben mag!


Frau Ehrenpreis.


– Von Duft und Glanz umwoben.


[389] Distel.


Man weiß, man weiß!

Die gute Frau Ehrenpreis

Muß immer loben.

Und doch hat unser Röschen, das feine,

Allerlei kleine

Grillen und Räupchen

Unter dem zierlichen Häubchen.


Gänseblümchen.


Oh, wie reizend!


Distel.


Bald steht sie da so mildiglich

Und senkt die Blätter,

Bald rüttelt, schüttelt und spreizt sie sich,

Je nach dem Wetter.


Gänseblümchen.


Oh, wie reizend!


Klatschrose.


Ja, reizend, das wollt ich meinen!

Drum sieht man auch häufig den Löwenzahn,

Den Rittersporn und den Baldrian

Dort wachsen und erscheinen.


Gänseblümchen.


Oh, wie reizend!


Klatschrose.


Ja, reizend, ganz recht!

Und dann dieser Musenknecht,

Dieser Dichter –


Distel.


Der Versetrichter –


Klatschrose.


– mit den langen Locken –
[390]

Distel.


– mit dem Loch im Socken.


Gänseblümchen.


Oh, wie reizend!


Klatschrose.


Alltäglich kläglich mit Gefühl

In ihrer Nähe

Entlockt er seinem Saitenspiel

Lieblich Getön

Und singt so schön –


Distel.


– wie 'ne Mantelkrähe.


Klatschrose.


Zum Beispiel, noch gestern – –


Lilie (sanft).


Geliebte Schwestern! –


Frau Ehrenpreis.


Ihr Muster der Milde!

Ihr Tugendgebilde!


Lilie.


Wen sollte der festliche Tag nicht rühren!

Ich denke doch – –


Levkoje, Tulpe, Päonie, Flox usw.


Ja, ja, wir alle gratulieren!!


Frau Ehrenpreis.


Ein Schöngeist blüht in unsrer Mitte,

Ein hochgeschickter –

Fräulein Federnelke –


Federnelke.


Oh, bitte!


[391] Distel. (für sich).


Blaustrumpf, verrückter!


Frau Ehrenpreis.


– – Federnelke, die wundersame,

So lautet ihr holder botanischer Name.

Vielleicht läßt sie sich freundlich erweichen

Und schreibt und dichtet ein Billett,

Duftend, geistvoll und nett.

Das möge dann die dienende Biene,

Unsere süße, geflügelte Schleckerkathrine,

Hinschwebend im frühesten Morgenwind,

Dem hohen Geburtstagskind

Ehrfurchtsvoll sumsend überreichen.


Gänseblümchen.


Oh, wie reizend!


Federnelke (schreibt und liest).


»Veredelte Rose und Nachbarin!

Nehmet dies Brieflein gnädig hin,

Sintemalen dasselbe geschrieben

Von allerlei Pflanzen, welche Euch lieben.

Verleihe der Himmel Euer Gnaden

Beständig ein sanftes Sonnenlicht

Und frischen Tau und meinetwegen

Auch hie und da ein wenig Regen,

Nur Sturmwind nicht,

Denn dieser tut der Schönheit schaden.

Ergebenst mit Herz und Honigmund

Das Blumenkränzchen: Tugendbund.«


Gänseblümchen.


Oh, wie reizend!


Federnelke.


Ich denke, es macht sich so!


[392] Alle.


Bravo bravissimo!


Mond.


Noch'n Täßchen Tee gefällig?


Levkoje.


Ich trank schon drei.


Flox.


Ich fünf.


Tulpe.


Ich acht.


Päonie.


Mein Mieder kracht!


Alle.


Gute Nacht, gute Nacht!


(Die Blumen nicken. Der Mond geht unter. Der Poet, nachdem er noch einen Blick in die Nacht hinausgebohrt, schließt leise das Fenster.)


Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 388-393.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schein und Sein
Kritik des Herzens: Nachdenkliche Betrachtungen des heiteren Philosophen über Schein und Sein
Schein und Sein

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon