|
[370] Ein dicker Sack voll Weizen stand
auf einem Speicher an der Wand. –
Da kam das schlaue Volk der Mäuse
und pfiff ihn an in dieser Weise:
»O du da in der Ecke,
großmächtigster der Säcke!
Du bist ja der Gescheitste,
der Dickste und der Breitste!
Respekt und Reverenz
vor Eurer Exzellenz!«
Mit innigem Behagen hört
der Sack, daß man ihn so verehrt.
[370]
Ein Mäuslein hat ihm unterdessen
ganz unbemerkt ein Loch gefressen.
Es rinnt das Korn in leisem Lauf.
Die Mäuse knuspern's emsig auf.
[371] Schon wird er faltig, krumm und matt.
Die Mäuse werden fett und glatt.
[372]
Zuletzt, man kennt ihn kaum noch mehr,
ist er kaputt und hohl und leer.
[373]
Jetzt ziehn sie ihn von seinem Thron;
Ein jedes Mäuslein spricht ihm Hohn;
und jedes, wie es geht, so spricht's:
»Empfehle mich, Herr Habenichts!«
[374]
Ausgewählte Ausgaben von
Stippstörchen für Aeuglein und Oerchen
|
Buchempfehlung
1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.
84 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro