211. An Nanda und Letty Keßler

[116] 211. An Nanda und Letty Keßler


Wiedensahl, Weihnachts-Abend. 1873


Liebs Nandache!

Liebs Lettyche!

Ich wünsche Euch eine helle, fröhliche Weihnacht und ein recht fettes, gemüthliches Neujahr! – ich wünschte auch, daß der Nanda ihr Finger, wo sie sich mit dem großen, scharfen Brodmeßer hinein geschnitten hat, bald wieder beßer wäre, daß sie denn wieder die Feder halten und einen schönen Brief schreiben könnte!

Ich war aber dieser Tage in einem Dorfe Namens Ebergötzen auf Besuch bei meinem Freunde dem Müller in der Mühle; das ist ein altes, altes Haus; da braust und rauscht ein Bach dran vorbei, der geht über das Mühlrad und dreht es, und das Mühlrad setzt das Mühlwerk in Bewegung, das geht denn immer rickeracke! rickeracke! bei Tag und bei Nacht, so daß ich recht schön gewiegt und gerüttelt wurde, wenn ich im Bette lag. Nur ein einziges Mal in der Woche da stand die Mühle still, das war des Sonntag Morgens, wenn die Glocken an zu läuten fingen und die Leute in die Kirche gingen, da war's mitme Mal so still im Haus, als wenn wir gestorben wären. Diesen Sonntag Abend aber waren wir bei einem Freunde des Müllers eingeladen, und wir waren unserer fünf, und es wurde aufgetragen auf den Tisch für sechs Personen Schinken und für fünfundzwanzig Personen Wurst; dazu tranken wir erst Thee mit Rum, dann Chocolate, dann Bier, dann Wein, bis uns der Knopf aus der Weste sprang. – Den andern Tag gingen wir auch einmal den Bach hinunter spatzieren, und wo die Weiden stehn da war eine recht tiefe Stelle, und da sahen wir, daß Forellen drin schwammen. Schnell riefen wir zwei Mühlenburschen, die kamen mit Spaten und Eimern; das Waßer wurde abgedämmt, die tiefe Stelle leer geschöpft, und herauf an's hohe Ufer wurden die Fische geworfen, die zappelten und wären gerne wieder in's Waßer gesprungen, aber da hieß es: Federmeßer raus! durch den Schwanz gestochen, daß das Blut heraus lief, und Abends lagen sie in der Pfanne und brieten und brodelten. Ihr lieben Mädercher! wäret Ihr nur da gewesen, Ihr hättet auch Was abgekriegt. –

Na, und wie geht's Euch denn alleweil, Euch und der Mama und Allen? Und heut ist ja heilger Abend; und schön wird's werden, denk ich mir. Aber wie? Aber was? das müßt Ihr mir aber auch bald mal schreiben, schreiben, schreiben! Mir, der ich bin und bleibe

für immer

Euer getreuer Onkel

Wilhelm

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 116.
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